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Zerstörtes Mariupol: "Es ist ein klarer Fall von gerechtem Widerstand gegen eine ungerechte Kriegsaggression", sagt Phil Klay zum Krieg in der Ukraine.

Foto: Reuters / Alexander Ermochenko

Es wird nicht sein erster Besuch hier sein, erzählt der US-Autor Phil Klay am Zoom-Bildschirm, wenn er Anfang April zu den Erich-Fried-Tagen nach Wien kommt. Er wird aus New York anreisen, wo er mit seiner aus Kolumbien stammenden Frau und seinem Kind in Brooklyn lebt, in "sicherer Distanz" zu den Kriegsgeschehen, wie er es formuliert.

US-Autor Phil Klay: "Es gibt auch eine Art Kriegsfieber."
Foto: Hannah Dunphy / Suhrkamp Verlag

STANDARD: Was hat Sie dazu bewogen, einen Roman über Kolumbien zu schreiben?

Phil Klay: Ich schreibe und denke seit mehr als zehn Jahren über Krieg nach, und je mehr ich darüber nachdachte, desto unzureichender erschien es mir, nur über einen einzelnen Krieg zu schreiben, wenn man die Präsenz Amerikas in der Welt von heute verstehen will. Am Ende meines Romans gibt es eine Szene, in der ein kolumbianischer Söldner auf einem emiratischen Luftwaffenstützpunkt durch das Fernrohr einer chinesischen Drohne schaut, die über schwedische Technologie mit einem Piloten kommuniziert, der eine Bombe auf jemenitische Stammesangehörige abwirft. Das habe ich nicht zusammenfantasiert. So kämpfen wir heute einfach. Für mich wurde es wichtig, die Zusammenhänge zwischen Kriegen zu untersuchen, und das führte mich nach Kolumbien. Dass meine Frau kolumbianische Amerikanerin ist, spielte sicher auch eine Rolle.

STANDARD: Kolumbien ist ein Staat, der vor allem durch den Krieg "gegen die Drogen" wichtig wurde.

Klay: Seit dem Ende der Clinton-Regierung ist Kolumbien der größte Empfänger von US-Militärhilfe in der westlichen Hemisphäre. Es gibt politische Maßnahmen, die für die Art und Weise, wie Amerika Gewalt in der Welt einsetzt, von großer Bedeutung sind, zum Beispiel gezielte Tötungen. Einige der Methoden, mit denen wir das tun, haben ihre Wurzeln in der Jagd auf Pablo Escobar in den 80er- und 90er-Jahren. Diese Techniken wurden im Irak zu einem industriellen Maßstab. Die amerikanischen Streitkräfte führten Razzien durch, weil sich das ganze System änderte. Mitte der 2000er wurde dies wieder auf Kolumbien übertragen, wo gezielt hochrangige Mitglieder der linksradikalen Guerilla Farc getötet wurden.

STANDARD: Wie haben Sie sich eine Figur wie Abel ausgedacht, der ein Opfer der Gewalt ist, dann aber die Seite wechselt?

Klay: Ich habe sechs Jahre lang an dem Buch gearbeitet, und ein großer Teil davon war Recherche: Politikwissenschaft, Anthropologie, Geschichte, sogar Poesie und natürlich Romane, dazu Interviews mit Menschen. Und es waren nicht nur Recherchen für die Figuren in Kolumbien. Um über einen Sanitäter in Afghanistan zu schreiben, braucht man auch ein großes Maß an Fachwissen. All diese Recherchen erfordern Demut. Ich bin sehr offen dafür, Informationen herauszufinden, und dann entwickelt man langsam eine Figur. Ich habe meine Karriere lang darüber nachgedacht, wie Menschen auf Gewalt reagieren und sich darauf einstellen. Eine Figur zu schreiben, deren ganzes Leben von Konflikten geprägt ist, wie es Abels Leben ist, erschien mir in gewisser Weise natürlich.

STANDARD: Können Sie beschreiben, wie Sie eine Szene wie die Ermordung eines Bürgermeisters mit einer Kettensäge gestalten, während seine Tochter auf einem öffentlichen Platz Klavier spielt?

Klay: Die kolumbianischen paramilitärischen Gruppen nahmen sich Dörfer vor, je nachdem, wie diese bei Wahlen abstimmten. Diese Szene ist politisches Theater, sie ist nicht nur sinnlose Grausamkeit. Sie ist Teil einer gezielten Terrorkampagne, die darauf abzielt, eine Gemeinschaft zu zerstören. Sobald der paramilitärische Anführer das Gefühl hat, dass die Stimmung richtig ist, um den Geist der Menschen vollständig zu brechen, gehen sie hinein und verüben einen orchestrierten Mord. Dies ist ein gewalttätiges Buch, das muss es auch sein. Aber ich möchte nicht, dass die Gewalt pornografisch wird. Sie sollte niemals nur ein Spektakel sein. Es fällt uns leicht, uns an Gewalt zu erfreuen, aber es ist schwierig, über das Leiden nachzudenken.

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass die Literatur sogar zu gut, zu technisch brillant ist, um einem solchen Ereignis gerecht zu werden?

Klay: Man hat eine Verpflichtung gegenüber der Wahrheit. Krieg ist auch spannend und manchmal schön, er ist ästhetisch, spirituell und moralisch zwingend. In gewisser Weise übt er sogar in seinem Schrecken einen gewissen Reiz aus. Teilhard de Chardin schrieb 1917 einen Aufsatz: Heimweh nach der Front. Er hatte an den großen Schlachten des Ersten Weltkriegs teilgenommen. Er fragte sich selbst: Warum will ich, sobald ich die Front verlasse, wieder dorthin zurück? Was ist das in mir, im Menschen, das diesen Ort der Zerstörung so anziehend findet? Es ist sehr wichtig, diese Anziehungskraft zu verstehen. Im Moment steht hinter dem ukrainischen Widerstand gegen einen Angriffskrieg ein ganz klarer moralischer Imperativ, aber es gibt auch eine Art Kriegsfieber. Die Menschen teilen Bilder von russischen Einheiten, die angegriffen werden, und von Menschenleben, die ausgelöscht werden. Wir könnten den ukrainischen Erfolg auch begrüßen, ohne ein ungetrübtes Gefühl der Freude zu empfinden, wenn wir sehen, wie ein Haufen russischer Wehrpflichtiger in einem Krieg verbrennt, von dem ihnen niemand etwas erzählt hat.

STANDARD: Wie sehen Sie den Krieg in der Ukraine?

Klay: Es ist ein so klarer Fall von gerechtem Widerstand gegen eine ungerechte Kriegsaggression, wie man ihn sich nur wünschen kann. Es gibt immer noch einige Instinkte in der Linken, für die ich Verständnis habe, weil sie sich vor dem Kriegsfieber fürchten. Gewalt ist ein sehr stumpfes Werkzeug. Sie kann leicht eine Spirale auslösen und die Kreise der Zerstörung ausweiten. Angesichts der simplifizierenden Propaganda auf beiden Seiten ist ein gewisses Maß an Besonnenheit erforderlich. In Amerika gibt es einen Rand des rechten Flügels, der eine Faszination für Putin zeigt, die wahrscheinlich nur nackte Machtanbetung ist. Sie erniedrigen sich selbst.

STANDARD: Wenn Sie die Nachrichten über den Krieg lesen, gibt es für Sie als Kriegsexperten etwas zwischen den Zeilen? Etwas, das die breite Öffentlichkeit aus strategischen Gründen nicht erfahren soll?

Klay: Es gibt viele Spekulationen. Das Offensichtlichste, was die USA beisteuern, sind nachrichtendienstliche Informationen, die ich vermuten kann. Die USA waren in der Lage, die Tödlichkeit des kolumbianischen Militärs in bemerkenswertem Maße zu erhöhen. Es würde mich wundern, wenn sie das nicht auch in der Ukraine tun würden.

STANDARD: Sie haben sich 2005 zum Militär gemeldet. Warum?

Klay: Als ich aufs College ging, passierte 9/11, und da dachte ich, ich sollte mitmachen.

STANDARD: Sie sind also als Patriot in den Irak gegangen und nicht als Intellektueller? Als aufstrebender Schriftsteller auf der Suche nach einem Thema?

Klay: Ja. Ich habe nach meiner Rückkehr aus dem Irak angefangen, mein erstes Buch Wir erschossen auch Hunde( Redeployment) zu schreiben. Schreiben ist der beste Weg, um der Welt einen Sinn zu geben. Wir haben diese sauberen, ideologisch geprägten Vorstellungen von der Welt. In der Fiktion fallen sie auseinander. Stellen Sie sich einen Fleischhauer vor, der ein Tier aufschneidet und das Fleisch von den Knochen löst, um daraus verpackte Steaks zu machen. Ein echter Romanautor möchte mit dem ganzen Tierkörper arbeiten. Als ich aus Übersee zurückkam, versuchte ich, in den Aspekten der Kriegserfahrung zu wühlen, die weggeworfen wurden, die man nicht sehen konnte. Das ist es, was ich am Schreiben immer geliebt habe, schon als Kind. Beim Schreiben von Romanen fühlte ich mich am verletzlichsten.

STANDARD: Was genau haben Sie im Irak gemacht?

Klay: Ich habe mit Medien zusammengearbeitet, etwa mit Journalisten, die uns zugeteilt wurden. Es lag in der Natur der Aufgabe, dass ich viel Zeit mit verschiedenen Arten von Einheiten verbrachte. Das hat sich auf die Form des ersten Buches ausgewirkt. Jede Geschichte wird aus einer anderen Perspektive erzählt. Die Leute neigen dazu, das so zu lesen: Na ja, er hat im Irak gedient, also beschreibt er, was er gesehen hat. Aber ich habe auch für dieses Buch sehr viel recherchiert.

STANDARD: Was sind die Aspekte des globalen Krieges? Sie führen ja Kolumbien, Irak, Afghanistan, Jemen zusammen.

DER STANDARD

Klay: Ein Artefakt ist das amerikanische Kommando: Es entwickelt sich um Zugriffe (raids). Wie die Ausschaltung von Osama bin Laden. Erzählerisch gesehen funktioniert das gut. Ein Zugriff hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Es gibt einen Bösewicht. Es ist eine kleine moralische Lektion. Was mich frustriert, ist, dass diese Geschichten mit einem befriedigenden Abschluss am Ende eines Zugriffs nicht falscher sein könnten. Wenn man jemanden tötet, der irgendwo in der Welt eine Machtposition innehat, in der es keine stabile Machtstruktur gibt, was passiert dann? Ich schreibe über einen Zugriff, für den es eine reale Vorlage gibt. Ein Sender in einem Teddybär dient dazu, das Ziel zu identifizieren. In meinem Buch ist der Zugriff nicht das Ende, sondern mittendrin. Ich bin sehr daran interessiert, was nach der Gewalt passiert. Eine militarisierte Anti-Drogen-Politik, die Menschen tötet und ausschaltet, ist eine Sache. Aber was passiert danach in der Gemeinschaft? Gibt es einen Grund, warum sich dieser Ort radikal verändern sollte?

STANDARD: Was ist Ihr familiärer Hintergrund?

Klay: Mein Großvater mütterlicherseits war ein amerikanischer Diplomat, und zwar ein Botschafter in der ČSSR in den 1970er-Jahren. Darüber schreibe ich gerade meinen nächsten Roman. Ich bin in einem Vorort von New York City aufgewachsen. Mein Vater war Banker und hat als junger Mann auch im Peace Corps gearbeitet. Meine Mutter hat jahrelang in der internationalen medizinischen Hilfe gearbeitet. Ich besuchte eine Jesuiten-Highschool in New York namens Regis, die mich wirklich geprägt hat. Meine Eltern waren immer Demokraten. Mein Großvater mütterlicherseits war im Außenministerium tätig, er arbeitete in den 1990er-Jahren in der Ukraine, als sie sich vom Kommunismus löste. Der Vater meiner Großmutter war ein Arbeiterführer, der Katholizismus und die Arbeiterbewegung waren Teil der Familie meiner Mutter. Mein Vater stammte aus einer sehr kleinen Stadt in Ohio namens Lima, einem Ort im Mittleren Westen.

STANDARD: Die amerikanische Demokratie scheint in Gefahr zu sein. Wie besorgt sind Sie?

Klay: Ich denke, wir werden es schaffen. Wenn es um Themen geht, die den Menschen wirklich am Herzen liegen, schwindet die Fähigkeit von Scharlatanen, die Menschen zu verwirren. Wir hatten einige katastrophale, tragikomische und schreckliche politische Entwicklungen, das ist unbestreitbar. Der 6. Jänner 2021, der Sturm auf das Kapitol, war mit Sicherheit ein Tiefpunkt. Ich glaube, dass die Demokratie ein chaotischer Prozess ist, in dem vieles schlecht funktioniert. Aber ich glaube nicht, dass wir uns an einem Krisenpunkt befinden. Ich denke nur, dass noch viel harte Arbeit zu leisten ist, was in demokratischen Systemen eigentlich immer der Fall ist. Man sollte Hysterie vermeiden, die lähmend sein kann, aber man sollte ein Gefühl der Dringlichkeit haben.

STANDARD: Wir sprechen für dieses Interview über einen digitalen Kanal. In Ihrem Hintergrund sehe ich eine Kinderzeichnung. Sie haben das sichere Leben eines Amerikaners, in das Sie immer zurückkehren können. Wie gehen Sie mit all den Dingen um, über die Sie schreiben?

Klay: Ich glaube nicht, dass ich mich abschotten kann. Es ist wichtig, ein Gefühl für das menschliche Leben in seiner ganzen Fülle zu haben. Ein Gespür für das Grauen zu haben bedeutet auch, ein Gespür für die Schönheit zu haben. Es gibt eine Art von Kriegsberichterstattung, die mit dem Nihilismus kokettiert. Ich habe einmal in Chicago eine Rede über das Leid gehalten, das man im Krieg sieht. Im Publikum saßen Veteranen. Einer von ihnen erzählte mir, dass er nach seiner Rückkehr aus Afghanistan aufgehört hatte, an Gott zu glauben, weil er es so besser ertragen konnte. Wenn es keinen Gott gab, brauchte er sich keine schwierigen Fragen zu stellen. Ich bin praktizierender Katholik. Als ich im Irak war, bin ich vom Glauben abgefallen. Mit der Zeit kehrte ich dann zum Glauben zurück. Während meiner Zeit im Irak entwickelte ich eine selbstgefällige, blasierte Haltung. Das ging Hand in Hand mit diesen Operationen, die damals erfolgreich zu sein schienen. Heute denke ich, dass ich ein weniger großspuriges Selbstverständnis und ein größeres Bewusstsein für die Komplexität des Lebens habe. Daher sehe ich keinen so großen Unterschied zwischen dem Nachdenken über den Krieg und dem Leben eines liebenden Vaters. (Bert Rebhandl, ALBUM, 26.3.2022)