Mehr als zwölf Fußballfelder Boden werden in Österreich jeden Tag für neue Straßen, Parkplätze oder Häuser versiegelt.

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Man kann den jährlichen Bodenverbrauch am besten mit Fußballfeldern vergleichen. Weil man sich das besser vorstellen kann als große Zahlen – und weil ein Fußballfeld ungefähr einem Hektar Fläche entspricht. Bestünde die Fläche, die jedes Jahr in Österreich versiegelt wird, wirklich aus Fußballfeldern, dann wäre Österreich international wohl schon zur Spitzenfußballnation aufgestiegen. Denn jeden Tag werden hierzulande mehr als zwölf Fußballfelder verbaut – viermal mehr, als es sich die Regierung schon vor mehr als zehn Jahren zum Ziel gesetzt hat. Vor wenigen Tagen wurde laut der Umweltschutzorganisation WWF auch in diesem Jahr bereits die Zielgrenze überschritten.

Bodenverbrauch heißt, einfach ausgedrückt, dass Grünflächen in Straßen, Gebäude, Einkaufszentren, Betriebsflächen oder Parkplätze verwandelt werden. Damit etwa am Ortsrand das neue Einkaufszentrum Platz findet, ebenso wie die neue Einfamilienhaussiedlung im Speckgürtel oder das Chaletdorf am Berg. "Platz haben wir in diesem Land genug", war lange die Devise. Deshalb steht jeder Österreicherin und jedem Österreicher heute im Schnitt um die Hälfte mehr Einkaufsfläche als Italienern oder Spaniern oder um ein Drittel mehr Autobahnkilometer als etwa den Deutschen zur Verfügung. Aber warum sollte uns das kümmern?

Schleichende Katastrophe

"Bodenverbrauch ist eine schleichende Katastrophe", sagt Kirsten Von Elverfeldt, Geografin an der Universität Klagenfurt, im Rahmen einer Diskussion von Diskurs Wissenschaftsnetz. Schleichend, weil die Entwicklung meist langsam vorangehe und die Konsequenzen erst spürbar werden, wenn es bereits zu spät ist. Als "Tyrannei der kleinen Entscheidungen" bezeichnet die Expertin das: Ein Einfamilienhaus da, eine neue Straße dort – das seien für sich genommen kleine Entscheidungen, die in der Summe aber unser aller Zukunft gefährden könnten.

Denn durch die Versiegelung würden nicht nur wichtige landwirtschaftliche Böden verloren gehen, was die Nahrungsversorgung einschränkt, sondern auch der Klimawandel vorangetrieben. Es könnte künftig zu mehr Hitzeinseln in Städten und mehr Tropennächten kommen. Da der Boden normalerweise Wasser speichert, Straßen und Parkplätze jedoch nicht, könnte es bald auch vermehrt Hochwasser geben.

CO2-Speicher

Böden speichern aber auch CO2, was für den Klimaschutz wichtig ist, sagt Andreas Baumgarten, Experte für Bodengesundheit bei der Ages. Zudem fungieren sie wie Filter, wodurch sich die Qualität des Grundwassers verbessert. Das Problem sei, dass sich durch den Klimawandel die Produktivität von Böden in den nächsten 20 bis 30 Jahren österreichweit um rund 20 Prozent reduzieren könnte. Gerade deshalb sei es wichtig, jene landwirtschaftlichen Flächen, die es gibt, nicht noch weiter zu verbauen.

Aber wer ist verantwortlich für den hohen Bodenverbrauch? Auf diese Frage scheint es, ebenso wie beim Klimawandel, keine leichte Antwort zu geben. "Das Problem zieht sich durch alle Ebenen", sagt Arthur Kanonier, Experte für Boden- und Raumordnungspolitik an der TU Wien. Der Bund vergebe Förderungen, die wenig hilfreich seien, in der Raumordnung werde dem Bodenschutz deutlich weniger Gewicht beigemessen als anderen Kriterien wie Wirtschaftswachstum oder neuer Wohnfläche, und auf individueller Ebene gebe es "Häuslbauer, die Dinge bauen, wo man sich einfach nur wundert".

Druck auf Flächen zugenommen

Insgesamt habe der Druck auf Flächen in den vergangenen Jahren enorm zugenommen, vor allem weil Bauen in Österreich immer noch als positiv beurteilt werde. "Viele sind eben stolz auf ihr Einfamilienhaus mit Doppelgarage", sagt Kanonier. Diese Wertvorstellung herauszubekommen sei allerdings extrem schwierig. "Das Bewusstsein für das Problem ist leider noch nicht in der Bevölkerung durchgedrungen."

Dabei würden die Lösungen vielerorts bereits auf dem Tisch liegen. Künftig könnten Flächen beispielsweise mehrfach genutzt werden, wie etwa bei Agroforst, bei der auf einer landwirtschaftlichen Fläche auch Bäume angepflanzt werden, was der Biodiversität und dem Mikroklima zugutekomme, sagt Elverfeldt. Oder es könnte die Agrophotovoltaik, bei der PV-Anlagen mit Landwirtschaft kombiniert werden, ausgebaut werden.

Pendlerpauschale überdenken

Laut Kanonier braucht es stärkere überörtliche Siedlungsgrenzen und Kriterien, in die die Bodenfunktion stärker einfließt, anstatt die Flächenwidmung nur in den Wirkungsbereich der Gemeinden zu legen. Zudem seien rund 30 Prozent des gewidmeten Baulands derzeit nicht bebaut. Eine Möglichkeit wäre es daher, diese Flächen in Grünland rückzuwidmen, was jedoch schwierige grundrechtliche Fragen aufwerfe. Außerdem wäre es sinnvoll, die Wohnbauförderung oder auch die aktuell erhöhte Pendlerpauschale zu überdenken, die Strukturen fördern, die wieder zu mehr Bodenverbrauch führen, sagt Kanonier.

Nicht zuletzt brauche es neue Ideen, wie Flächen neu genutzt werden können. Denn leere Einkaufszentren, die wie Hüllen am Stadtrand stehen, könnte es künftig noch mehr geben. Dabei gibt es noch nicht einmal verlässliche und valide Daten zum Leerstand in Österreich, sagt Kanonier.

Mehr Lebensqualität

Gelingt es, den Bodenverbrauch zu reduzieren, könne das mehr Lebensqualität und Erholungsraum für alle bedeuten. "Niemand will, dass die Zugänge zu Seen oder Bergen immer mehr zugebaut sind", sagt Elverfeldt. Gleichzeitig sollte man sich bei jedem neuen Haus, jedem Auto und jeder Straße fragen, ob man sie jetzt oder in Zukunft überhaupt brauche. Denn diese Infrastruktur werde unser Klima und unsere Umwelt noch die nächsten hundert Jahre beeinflussen. "Das Zeitfenster für Veränderungen schließt sich schnell."

Baumgarten sieht jedenfalls bereits einen ersten Sinneswandel in der Bevölkerung und in der Politik. Der Gesundheit des Bodens werde langsam mehr Wichtigkeit zuerkannt. Trotzdem ist er überzeugt: "Wir werden, wenn wir unsere Böden schützen wollen, auch in den sauren Apfel beißen müssen." (Jakob Pallinger, 27.3.2022)