Ein sofortiger Boykott von russischem Erdöl und Erdgas wäre für die Ökonomen von Wifo und IHS mit schweren Einbußen der Wirtschaftsleistung verbunden. Ohne "wirtschaftliche Verwerfungen" sei dies für Österreich "nicht umzusetzen", sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr am Freitag bei der Präsentation der Konjunkturprognose beider Institute. Er rechnet in diesem Fall mit einem BIP-Rückgang um zwei bis vier Prozent, also einer schweren Rezession in Österreich.

Genau sei dies allerdings nur sehr schwer zu prognostizieren. Manche Teile der Industrie würden ohne Erdgas gar nicht funktionieren, betonte Felbermayr, andere Bereiche wie die Landwirtschaft seien wiederum über die Düngerproduktion von Gas abhängig. "Kriegen wir kein günstiges russisches Gas mehr, sind ganze Industriezweige infrage gestellt", sagte der Wifo-Chef. Eine Reduktion des russischen Gases um zehn Prozent würde das BIP um 1,1 Prozent senken, ergänzte IHS-Ökonom Helmut Hofer unter Verweis auf eine Studie der Europäischen Zentralbank.

Aus dem "Würgegriff"

Um sich aus dem "Würgegriff" zu befreien – also die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, sodass eine Abkehr ohne wirtschaftliche Verwerfungen möglich wäre –, würde Österreich zumindest zwei bis drei Jahre benötigen, sagte Felbermayr am Rande der Veranstaltung. Dies wäre auch mit Einschnitten wie weniger Konsum verbunden, da hohe Investitionen zu tätigen seien. Langfristig sieht der Wifo-Chef ohne russisches Gas um 0,5 Prozentpunkte weniger Wachstum.

Auch abgesehen von solchen Überlegungen sind die Bremsspuren des Ukraine-Kriegs lang. Ab dem zweiten Quartal wird die Industrie Felbermayr zufolge schrumpfen, nur dank des guten Jahresstarts werde der produzierende Sektor heuer in Summe stagnieren. Dass Österreichs Wirtschaft laut Wifo trotzdem um 3,9 Prozent wachsen soll, ist dem Dienstleistungssektor zu verdanken. Allein die Erholung der durch die Corona-Restriktionen zuvor gebeutelten Bereiche Gastronomie und Tourismus sollen die Hälfte des Wachstums beisteuern.

Die Verbraucherpreise dürften hoch bleiben. So mancher und manche wird sich auch deswegen in Konsumzurückhaltung üben (müssen).
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"Ein Krieg in Europa macht uns alle ärmer", sagte Felbermayr, "das sehen wir bei den Reallöhnen." Ohne die Steuerreform der Regierung würde es heuer mit minus 2,3 Prozent zum stärksten je erfassten Rückgang der inflationsbereinigten Einkommen kommen, so werde das Minus nur 1,1 Prozent betragen. Dass die Haushalte dennoch über ausreichend Geld für Konsum verfügen, führt Felbermayr auf die während der Corona-Krise aufgebauten "Sparpolster" zurück.

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Die Energiepreisschocks belasten Unternehmen und Konsumenten.
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"Es ist nicht so, dass es viel zu verteilen gibt", sagt Felbermayr mit Blick auf die anstehenden "schwierigen Lohnrunden". Man müsse damit umgehen, dass der Kuchen insgesamt kleiner geworden sei. Hohe Lohnabschlüsse im Herbst würden die Arbeitskosten erhöhen, was wiederum zu steigenden Preisen beitrage. "Eine echte Lohn-Preis-Spirale sehe ich im Moment nicht", ergänzte der Wifo-Chef. Die Inflation wird ihm zufolge im Jahresschnitt 5,8 Prozent betragen.

Etwas geringeren Preisauftrieb erwartet das IHS mit heuer 5,5 Prozent und nächstes Jahr 2,3 Prozent – wobei eine Entlastung der angespannten Lieferketten gegen Jahresende den Druck verringern werde. Ökonom Hofer betont jedoch die Aufwärtsrisiken der Inflationsprognose. Wie das Wifo senkt auch das IHS wegen des Ukraine-Kriegs die Wachstumserwartung, um zwar auf 3,6 Prozent. Statt einer Beschleunigung im zweiten und dritten Quartal werde es nur "ein Miniwachstum" geben, erklärte Hofer die Prognosesenkung. (Alexander Hahn, 26.3.2022)