Haben Sie schon das von den Featheringtons gehört? Der nächste Skandal erschüttert Familie Bridgerton. Es wird nicht der letzte gewesen sein. Auf Netflix ist jetzt die zweite Staffel abrufbar.

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Die Filmwissenschafterin Melanie Letschnig unterrichtet Filmtheorie und -analyse an der Uni Wien.

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Die zweite Staffel von Bridgerton gefiel Melanie Letschnig weniger als die erste. Erzählstränge wurden fallengelassen, Frauenfiguren vernachlässigt, insgesamt wirkt vieles gehetzter, sagt die Filmwissenschafterin. Dass sie die neuen Folgen des Netflix-Schmachthits immer noch mit sieben von zehn möglichen Punkten bewertet, hat vor allem mit dem Schauwert der Serie zu tun und ihrer trotz alledem immer noch vorhandenen politischen, feministischen und diversen Kraft. Bridgerton sei jedenfalls auch in der zweiten Staffel mehr als "Rosamunde Pilcher mit Sex".

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STANDARD: Worin bestehen die Schwächen der zweiten Staffel?

Letschnig: Mich hätte interessiert, wie es mit Daphne und dem Duke weitergegangen wäre, auch ohne den Darsteller Regé-Jean Page, der für die zweite Staffel nicht mehr zur Verfügung stand. Dieses Mal geht es um zwei Schwestern, die es auf denselben Mann abgesehen haben – ein sehr altmodisches Konzept. Ich vermisse die selbstständigen Frauenfiguren, und ich bin unzufrieden mit den Krisen, die zwischen den Frauen aufgebaut werden.

STANDARD: Abgesehen davon, dass es viel weniger davon gibt – wie haben sich die Sexszenen verändert?

Letschnig: In Bezug auf die erste Staffel muss man sagen, diese Liebesnacht zwischen dem Duke und seiner frisch angetrauten Ehefrau in diesem Gasthaus ist gemessen an anderen Sexszenen in Netflix-Serien relativ aufregend. Das hat damit zu tun, wie die Szene gefilmt ist, mit der Lichtsetzung und damit, wie sich bei der sexuellen Spannung zwischen den beiden relativ viel Zeit genommen wird, um diese aufzubauen. Das ist in der zweiten Staffel anders. Die sexuelle Spannung zwischen Anthony und Kate wird relativ schnell in den Raum gestellt, und daran arbeiten sie sich ab. Der Sex in der zweiten Staffel wirkt sehr gehetzt. Das soll Leidenschaft darstellen, löst beim Zuschauen aber das Gegenteil aus.

STANDARD: Entweder man liebt die Serie oder man hasst sie. Was sagt die Wissenschaft?

Letschnig: Die Position der Wissenschaft ist glücklicherweise etwas differenzierter. Ich kann das zusammenfassen anhand eines Gesprächs mit einem Kollegen und einer Kollegin über diese Serie. Sie sagte, die Serie funktioniere gut als Identifikationsangebot – etwa mit Color-blind Casting, also Figuren ohne Rücksicht auf Hautfarbe und Sexualität zu besetzen. Er sagte, dass genau das die Serie um Möglichkeiten bringt. Das sind im Wesentlichen die Positionen, die in der Wissenschaft zu dieser Serie formuliert werden.

STANDARD: Unter Zuschauern gibt es nur dafür oder dagegen. Wieso polarisiert die Serie?

Letschnig: Melodramatische Erzählformen sind oft auf schnelle Reaktionen aus. Da geht es nicht um intellektuelle Verarbeitung, sondern um Affekte. Und insofern kommt es beim Schauen wahrscheinlich sehr schnell zu einer strengen Reaktion.

STANDARD: Welche Aussagen über die Geschlechter trifft Bridgerton?

Letschnig: Es werden ganz viele Stereotype bedient, und es ist klar, dass Daphnes Heirat etwas anderes bedeutet, als wenn Anthony heiratet. Aber es gibt immer wieder Situationen, wo sie an diesen Vorstellungen und Erwartungshaltungen scheitern. Die Frauen in der Serie verstoßen gegen die Geschlechterkonventionen, weil sie doch des Öfteren formulieren, was sie möchten. Und sie dienen nicht, sondern sie handeln durchaus nach ihren Vorstellungen.

STANDARD: Ist Bridgerton eine feministische Serie?

Letschnig: Bridgerton ist in Teilen eine feministische Serie. Wenn man sie in den Kontext eines größeren Ganzen setzt, ist das Konzept aber sehr ausbaufähig.

STANDARD: Welche Bedeutung wird der Serie hinsichtlich des Color-blind Casting eingeräumt?

Letschnig: In der Wissenschaft gibt es dazu eine große Diskussion. Felipe Espinoza Garrido, Marlena Tronicke und Julian Wacker kritisieren Color-blind Casting, weil historische Diskurse, die in Hinblick auf die Geschichte der Sklaverei, auf politisches Unrecht, auf Rassismus zu führen sind, unter anderem von diesem Color-blind Casting ausgelöscht beziehungsweise gar nicht erst begonnen werden. Das ist ein Problem.

STANDARD: Sind die aufgedonnerten Perücken von Queen Charlotte ein politisches Statement?

Letschnig: Natürlich haben die Haare eine politische Bedeutung. Die Haare schwarzer Frauen wurden historisch mit herabsetzenden Konnotationen aufgeladen, insofern ist es eine starke, selbstbewusste Position, wenn die Königin mit einem vollkommen überdimensionierten Afro auftaucht, der an Personen wie Angela Davis oder Beyoncé erinnert.

STANDARD: Was sagt uns der Kitsch?

Letschnig: Kitsch birgt das Potenzial, kleine subversive Botschaften einzubauen. Das gelingt unter anderem dadurch, dass Menschen ganz schnell der Auffassung sind, dass dieser kitschige Gesamteindruck nicht politisch sein kann und dazu da ist, schrill ins Auge zu stechen, und nicht viel dahinter ist. Man darf den Kitsch nicht unterschätzen.

STANDARD: Die nächste Kitschorgie kommt bestimmt: The Gilded Age von Julian Fellowes im April. Sind Sie Team Downton Abbey oder Bridgerton?

Letschnig: Das ist eine Frage wie Beatles oder Stones. Ich mag mich da nicht entscheiden.(Doris Priesching, 28.3.2022)