STANDARD: Zum Aufwärmen vielleicht etwas zum Schmunzeln, Herr Neuhold: Wo bleibt beim Enyaq Coupé die tschechische Flagge im Blechkleid, die den Fabia seitlich hinter den vorderen Radkästen so originell ziert?

Karl Neuhold: Gestalterisch zeigt jedes Škoda-Modell neben den harmonischen Proportionen eine sauber aufgebaute Architektur und Linienführung, die in ihrer Ausformung als Charaktermerkmale interpretiert werden können und so für eine formale Authentizität stehen. Am Enyaq Coupé sind es kubistische Elemente im Front- und Heckbereich, die für einen sehr eigenständigen Auftritt sorgen.

So denken Desginer: Skizze Enyaq Coupé iV, dahinter der Skoda 418/421 Popular Sport von 1935.
Foto: Skoda

STANDARD: Dann etwas aus dem Nähkästchen. Trotz immer früherer Einbindung in den Produktwerdungsprozess – wie viele demütigende Verschlimmbesserungen muss ein Designer erleiden bis zum fertigen Fahrzeug?

Neuhold: Hier bei Škoda Auto pflegen wir stets eine Kultur des Miteinanders. Alle Vorgaben und Rahmenbedingungen werden von Anfang an erörtert und im sogenannten "Package" definiert, um in die weitere Projekt- und Designentwicklung einbezogen zu werden. Jedes Projekt ist ein Abenteuer für sich, spannend, abwechslungsreich und immer wieder neu.

STANDARD: Bei wem muss man leidensfähiger sein: bei den Ingenieuren oder bei den Kostenrechnern?

Neuhold: Wir alle ziehen am selben Strang! Wir alle sind bestrebt, gemeinsam immer die besten Lösungen zu finden und in den einzelnen Projekten zu verwirklichen. Ich schätze den direkten Kontakt zu allen Mitarbeitern, denn so erreichen wir ein Verständnis von allen Seiten und freuen uns umso mehr, wenn wir gemeinsam schlussendlich ein überzeugendes Ergebnis erreicht haben.

STANDARD: Wie viel anders sähe das Styling des neuen SUV-Coupés aus, ginge es nach dem Willen der Formgeber? Eine Silhouette, die frappant an jene des Tesla Model Y erinnert: Muss das sein?

Neuhold: Einen ersten Blick auf das Enyaq Coupé bot bereits die auf dem Genfer Automobilsalon 2020 vorgestellte Studie Vision iV. Mit seiner Fließheckform zeichnet es sich durch eine dynamische Linienführung und einen sportlichen Auftritt aus, der von der Škoda-typischen Designsprache unterstrichen wird. Sogar das "Crystal Face" (LED-beleuchteter Grill, Anm.) als Resultat einer hervorragenden Teamarbeit hat es bis in die Serie geschafft und sorgt für einen einzigartigen Auftritt.

STANDARD: Kein Kommentar zu Tesla? Dann eine Frage der Kategorien. Klar, sagt man Coupé, zieht das immer, handelt es sich doch um die ästhetischste aller möglichen Karosserieversionen. Aber es handelt sich hier ja viel mehr um ein Fließheck, wie Toyota beim Hybridmodell Prius es von Anfang an verwendet hat und das – weil seither avantgardistisch beleumundet – heute auch bei Elektroautos weit verbreitet ist.

Neuhold: Für alle Elektroautos gilt: Gute Aerodynamik ermöglicht hohe Reichweite. Die Fließheckform ist ein entscheidender Garant für gute Luftwiderstandsbeiwerte. Das neue Škoda Enyaq Coupé wartet diesbezüglich mit dem cw-Wert von 0,234 auf, dem Bestwert in seiner Klasse.

Zur Person: Karl Neuhold, geboren 1965 in Hainsdorf im Schwarzautal (Steiermark). Seit 1993 als
Automobildesigner im VW-Konzern tätig. Nach Stationen bei Audi Design, Design Center Europe und Volkswagen Design ab 2006 Leiter Exterior Design bei Škoda Auto.
Foto: Skoda

STANDARD: Wenn Sie einmal um das Coupé herumgehen und wir Sie dabei begleiten: Worauf in der großen Form und im Detail würden Sie unser Augenmerk besonders lenken?

Neuhold: Ich lade Sie ein, die ruhige Grundform und die kraftvollen Proportionen des Enyaq Coupé zu genießen! Die flüssige Dachform wird zudem von der durchgehenden Einheit von Frontscheibe, Panorama-Glasdach und Heckscheibe betont und endet klar in einer harmonisch ausgeformten Heckpartie, die ohne zusätzlichen Heckspoiler auskommt.

STANDARD: Und jetzt wiederholen wir das Ganze innen.

Neuhold: Das Interior begeistert mit einer symmetrischen Grundarchitektur, die schon auf den ersten Blick ein sehr modernes Ambiente verspricht.

STANDARD: Apropos innen: Hat das Budget für eine größere Differenzierung vom Grundmodell nicht gereicht?

Neuhold: Man bedenke: Das Enyaq Coupé wird mit nicht weniger als acht Ausstattungslinien, den sogenannten "Design Selections", angeboten.

STANDARD: Bei den eingesetzten Materialien wird immer mehr Augenmerk auf Nachhaltigkeit und rezyklierte Werkstoffe gelegt, auch im Enyaq Coupé. Wie groß ist die Her ausforderung, und eröffnet das bei kreativer Herangehensweise nicht auch bisher unbedachte Möglichkeiten – und wenn ja: welche?

Neuhold: Hinsichtlich der Nachhaltigkeit leisten meine Kolleginnen und Kollegen der Color-&-Trim-Abteilung Pionierarbeit. In den "Selections" finden sich neben fein abgestimmten Sitzbezügen, Dekorleisten und Farbabstufungen neue Materialien wie Schurwolle und Polyester aus recycelten PET-Flaschen!

STANDARD: Bei aller Eleganz der Zeichnung außen: Warum unterscheiden sich die Elektro-Škodas nicht so deutlich von den konventionell angetriebenen, wie das beispielsweise bei Volkswagen der Fall ist?

Neuhold: Bei Škoda Auto waren die E-Fahrzeuge als integrativer Bestandteil der gesamten Modellpalette geplant, somit folgen sie ebenso der einheitlichen Markenidentität, aber – dem Antrieb entsprechend – einer differenzierten Produktidentität. So zeigt die Enyaq-Modellreihe ebenfalls die Škoda-typische Designsprache, setzt aber mit besonderen Designelementen wie dem "Crystal Face" besondere Akzente.

STANDARD: Trotz prinzipiell eher pummeliger Tropfenform vermittelt das Enyaq Coupé einen Eindruck von Schlankheit, die filigran wirkenden Leuchteneinheiten vorn und hinten tragen das ihrige dazu bei. Wie schwierig ist diese Übung am Widerspruch?

Neuhold: Die MEB-Plattform mit der Batterieeinheit in der Bodengruppe, den relativ kurzen Überhängen und den großen Rädern verlangt von uns Designern eine "Neukalibrierung" unseres Formen- und Proportionsgefühls. Die Front- und Heckleuchten sind in ihrer Ausprägung ungemein wichtige gestalterische Elemente, um dem jeweiligen Modell nicht nur einen eigenen Charakter zu geben, sondern auch die Fahrzeugarchitektur zu akzentuieren und den Proportionen Halt zu geben.

STANDARD: Gibt es noch Desiderata, sprich: Welches Auto würden Sie noch gerne gestalten, zu dem sich bisher keine Gelegenheit fand, Sportwagen oder Cabrio zum Beispiel?

Neuhold: Mein Wunsch ist es nicht so sehr, einen Designentwurf für eine bestimmte Autokategorie zu machen, sondern mein Traum wäre eine weitreichende und optimale Kommunikation zwischen allen Autofahrern und anderen Verkehrsteilnehmern, die sich nicht nur auf die vom Gesetzgeber vor geschriebenen Signalfunktionen wie zum Beispiel Bremslicht, Blinklicht und Hupe beschränkt. (Andreas Stockinger, 29.3.2022)