Demo für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag in Frankfurt am Main.

Foto: Imago/epd / Heike Lyding

Strahlend hält Alex Jürgen den eigenen Reisepass in die Kamera. "X" steht dort, wo bisher in Pässen nur ein "F" für weiblich oder ein "M" für männlich zu finden war. 2019 erhielt Jürgen als erste Person in Österreich Ausweisdokumente mit einem alternativen Geschlechtseintrag. Das historische Foto zeigt Jürgen gemeinsam mit Anwalt Helmut Graupner. "Es hat immer schon Menschen gegeben, die nicht männlich oder weiblich sind, diese Realität wurde endlich auch rechtlich anerkannt", sagt Tinou Ponzer vom Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (Vimö). Der Verein, den Alex Jürgen 2014 mitbegründete, kämpft dafür, die Lebensqualität von inter Personen in Österreich zu verbessern.

Alex Jürgens Klage öffnete anderen inter Personen eine Türe. Während ein Erlass des Innenministeriums aus dem Jahr 2018 zunächst die Geschlechtseinträge weiblich, männlich und divers im Personenstandsregister ermöglichte, kamen 2020 inter, offen und eine Streichung als weitere Optionen hinzu. Damit reagierte die türkis-blaue Regierung auf den Entscheid des Verfassungsgerichtshofs: Dieser bestätigt, dass Menschen, die weder weiblich noch männlich sind, ihre Geschlechtsidentität auch im Personenstand ausdrücken können müssen.

Viele bleiben ausgeschlossen

Ein tatsächlich selbstbestimmter Zugang zum behördlichen Geschlechtseintrag existiere dennoch nicht, sagt Tinou Ponzer. Intergeschlechtliche Personen müssen dafür nämlich ein fachärztliches Gutachten oder medizinische Dokumente vorlegen. "Viele haben traumatische Erfahrungen mit Untersuchungen und Behandlungen ohne Einwilligung gemacht. Das wollen sie nicht noch einmal durchleben und suchen mitunter erst gar nicht um den richtigen Geschlechtseintrag an", erzählt Ponzer.

Zwölf Personen weist die Statistik Austria mit dem Stichtag 1.1.2022 aus, die als divers, inter, offen oder ohne Eintrag im Personenstandsregister verzeichnet sind.

Viele Menschen, die kein binäres Geschlecht haben, bleiben von einer Personenstandsänderung jedoch ausgeschlossen. Vimö zählt deshalb zu den Unterstützer:innen der Genderklage, die für eine rechtliche Anerkennung der individuellen Geschlechtsidentität kämpft. Als Kläger:in tritt Pepper auf, auch Anwalt Helmut Graupner ist erneut an Bord. "Die Zeit ist einfach reif. Die alternativen Geschlechtseinträge gibt es ja – nur sind sie aufgrund der Weisung des Innenministers auf inter Personen beschränkt", sagt Pepper. Genderqueere oder nichtbinäre Personen etwa haben kein Recht, beim Standesamt einen Eintrag abseits von männlich oder weiblich zu bekommen.

Gegen den negativen Bescheid auf die Streichung des Geschlechtseintrags hat Pepper Beschwerde eingelegt, nun wartet die Genderklage seit einem Jahr auf einen Termin beim Landesverwaltungsgericht. "Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Und mit Menschenrechtsthemen wirst du in Österreich sowieso allein gelassen", sagt Pepper. Für die Genderklage brauchte es das "nötige Kleingeld", in die Politik hat Pepper nur noch wenig Vertrauen. "Die gleichgeschlechtliche Ehe wurde ja auch hart erkämpft – und nicht einfach von der Regierung beschlossen."

Feindbild Genderideologie

Ein Gesetz, wie es die Ampelkoalition gerade in Deutschland plant, scheint in Österreich noch in weiter Ferne. Dort soll ein neues Selbstbestimmungsgesetz das bestehende Transsexuellengesetz ersetzen, das NGOs seit vielen Jahren als diskriminierend kritisieren. Die Änderung des Geschlechtseintrags wird dann per Selbstauskunft möglich sein – psychiatrische Gutachten und intime, erniedrigende Fragen sowie hohe Kosten würden so der Vergangenheit angehören. Wie Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der deutschen Bundesregierung, kürzlich im "FAZ"-Interview berichtete, sollen bereits im Sommer die Eckpunkte vorliegen. Das Vorhaben lässt die Wogen in Deutschland indes hochgehen – nicht nur in der "Emma"-Redaktion, wo sich Alice Schwarzer als lautstarke Kritikerin positioniert hat. Mitte Februar attackierte AfD-Politikerin Beatrix von Storch im Bundestag die Grüne trans Abgeordnete Tessa Ganserer und beschwor das Feindbild der "Genderideologie", das seit jeher rechte und konservativ-katholische Kreise eint.

In Österreich interessiere Parteien das Thema hingegen kaum, sagt Pepper. "Vielleicht wird damit mal ein Sommerloch gefüllt, Wahlen werden aber mit anderen Themen gewonnen."

"Bei der Genderklage geht es um die Sichtbarmachung und die Anerkennung von nicht-binären Personen. Es gibt auch Menschen außerhalb der Geschlechterbinariät, das ist schlicht eine soziale Realität", formuliert es Rhonda D'Vine, aktiv im Vorstand des noch jungen Vereins Nicht-Binär (Venib).

Venib tritt als Kooperationspartner der Genderklage auf und kümmert sich unter anderem um die Spendenabwicklung.

X als mögliches Zwangsouting

Der Ausgang des langwierigen Prozesses ist noch ungewiss. Pepper überlegt, auch gegen das "X" im Reisepass vorzugehen. Diese Eintragung wird von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation geregelt, Einträge wie divers sind dort deshalb nicht möglich. "Das 'X' bedeutet ein Zwangsouting. Das schreckt Menschen ab, die Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung haben", so Pepper, das würden auch internationale Erfahrungen zeigen. Stattdessen könnte der Geschlechtseintrag wie zum Beispiel in den Niederlanden gänzlich gestrichen werden. Vorname, Nachname, Adresse und Geburtsdatum – mehr bräuchten Ämter nicht, um eine Person eindeutig zu identifizieren.

Unverständnis für die Bedeutung eines korrekten Geschlechtseintrags kennt indes auch Tinou Ponzer zur Genüge. "Wir müssen einfach viel mehr darüber sprechen, wie es intergeschlechtlichen, trans und nichtbinären Menschen geht, wie ihre Lebensrealitäten aussehen." Der Name und das Geschlecht müsse im Alltag etwa häufig angegeben werden – das Thema sei somit allgegenwärtig. Ständig mit dem falschen Geschlecht angesprochen zu werden zermürbe die Menschen, so Ponzer.

Debatten um die geschlechtliche Selbstbestimmung verorte die "FAZ" als "eine Art Kulturkampf" um Fragen von Familie, Geschlecht und Identität. "Es geht nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen. Im Grunde wird einfach eine kleine, aber existierende Gruppe gleichgestellt, es geht um nicht weniger als die Gleichstellung aller Geschlechter", sagt hingegen Ponzer. (Brigitte Theißl, 27.3.2022)