Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies argumentiert im Gastkommentar, warum Einfuhrzölle auf russisches Öl und Gas eine Lösung für die EU sein könnten.

Österreichs Abhängigkeit vom russischen Gas ist besonders groß.
Foto: APA/AFP/INA FASSBENDER

Angesichts der fortdauernden wahllosen Bombardierung ziviler Gebiete der Ukraine durch russische Truppen wird die Frage, ob die Europäische Union oder einzelne ihrer Mitgliedsstaaten Gasimporte aus Russland verbieten sollten, zunehmend drängender. Während die USA diesen Schritt bereits ergriffen haben, würde ein Verbot in Europa – auf das im letzten Jahr fast drei Viertel der russischen Erdgasexporte entfielen – Putins Kriegsanstrengungen viel mehr schaden.

Doch hätte ein Verbot russischer Gasimporte zugleich womöglich derart ernste kurzfristige wirtschaftliche Folgen für Europa, dass es sich nicht aufrechterhalten ließe. Zum Glück gibt es eine andere Möglichkeit, die die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen in der EU auf ein Minimum beschränken würde: Die EU kann einen Einfuhrzoll auf russisches Gas einführen.

Politische Vorteile

In normalen Zeiten würde ein derartiger Zoll gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßen. Doch angesichts der russischen Aggression könnte sich die EU auf die in Artikel XXI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens enthaltene Ausnahme zur nationalen Sicherheit berufen. Zudem erhebt Russland seit langem eine 30-prozentige Ausfuhrsteuer auf Gas. Die EU kann geltend machen, dass ihr Importzoll lediglich einen Ausgleich für diese Verzerrung darstellt.

"Ein Zoll auf Gasimporte würde stark dazu beitragen, die Anschuldigung zu widerlegen, dass Europa durch seine Energiekäufe Russlands Angriffskrieg finanziert."

Ein zielgerichteter Zoll auf Energieträger ließe sich beinah über Nacht umsetzen und birgt beträchtliche politische Vorteile. Er könnte den Zwang, Russland Kosten aufzuerlegen, mit der Notwendigkeit verknüpfen, sicherzustellen, dass sich die Europäer nicht hektisch um Energieträger bemühen müssen. Er könnte die Verringerung – und letztliche Überwindung – der Energieabhängigkeit Europas von Russland fördern. Und weil der Zoll auf EU-Ebene umgesetzt würde, wäre er ein greifbarer Beleg dafür, dass die Mitgliedsstaaten gemeinsam handeln können.

Starker Anreiz

Ein Zoll auf Gasimporte würde zudem stark dazu beitragen, die Anschuldigung zu widerlegen, dass Europa durch seine Energiekäufe Russlands Angriffskrieg finanziert. Jene europäischen Länder, denen Alternativen zu russischem Gas zur Verfügung stehen, würden ihre Bezugsquellen sofort ändern. Und während jene Länder, denen diese Möglichkeit derzeit nicht offensteht, für den Moment weiter russisches Gas kaufen würden, würden sie ein kraftvolles, dauerhaftes Preissignal erhalten, ihre Energieversorgung im Laufe der Zeit zu diversifizieren. Die europäische Nachfrage nach russischem Gas würde zunächst langsam, aber dann zunehmend schneller sinken.

Es hilft, dass ein EU-Zoll der privaten Wirtschaft einen starken langfristigen Anreiz bieten würde, eine bessere Option anzubieten. Wenn die EU deutlich macht, dass der Zoll Bestand haben wird, solange der russische Angriff auf die Ukraine andauert, würde das potenzielle Gaslieferanten weltweit motivieren, sich um neue Quellen zu bemühen oder mehr in die Ausbeutung ihrer bestehenden Vorkommen zu investieren.

Beträchtliche Einnahmen

In der Zwischenzeit würde ein Zoll auf russische Gaseinfuhren der EU beträchtliche Einnahmen bringen. In einer Zeit hoher Kohlenwasserstoffpreise könnte ein 30-prozentiger Zoll auf den Wert des russischen Gases 30 bis 50 Milliarden Euro (jährlich) in die Haushaltskassen der EU spülen.

Diese Einnahmen würden nicht nur die Unterstützung für von den höheren Gaspreisen getroffene bedürftige Europäer finanzieren, sondern ließen sich außerdem nutzen, um die Unterstützung für die ukrainische Regierung auszuweiten und die Kosten der Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge zu bestreiten. Wenn für jeden Flüchtling etwa 5.000 Euro an Unterbringungs- und Lebenshaltungskosten anfallen und drei bis fünf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in der EU Schutz suchen, dann droht der EU eine Rechnung von 15 bis 25 Milliarden Euro.

Kaum andere Kunden

Russland könnte nicht viel machen, um diesen Zoll zu vermeiden. Angesichts ihres großen Anteils an den russischen Gasexporten verfügt die EU über beträchtliche monopolistische Macht. Andere Kunden würden schlicht nicht genug kaufen, um einen derart enormen Verlust auszugleichen. Das gilt auch für China, das bereits erhebliche Mengen russischen Gases kauft und nicht noch abhängiger davon werden wollen dürfte.

Die wirtschaftlichen Argumente für eine Steuer auf russische Gasimporte sind klar. Die durch Russland bereits berechneten 30 Prozent würden einen vernünftigen Ausgangswert darstellen. Die Furcht, dass die europäischen Gaspreise dann ebenfalls um dieselbe Höhe steigen würden, ist unbegründet, da Russland kaum über andere Kunden verfügt und niedrigere Preise akzeptieren müsste. Soweit die Preise in der EU etwas steigen würden, wären die Kosten für Europa letztlich gering, weil die Einnahmen aus dem Zoll in der EU verbleiben würden. Darüber hinaus könnte die Verhängung eines Zolls die Märkte beruhigen, da sie eine Zukunftsperspektive ohne vollständiges Verbot eröffnet.

Dies verweist auf einen weiteren Vorteil eines zielgerichteten Zolls auf Gas: Die Auswirkungen auf die Preise und den Fluss von Flüssiggas würden der Politik dringend benötigte Informationen über die Herausforderung verschaffen, das europäische Gasnetz komplett von Russland abzukoppeln. Die Steuer könnte im Laufe der Zeit in Abhängigkeit von der politischen Lage angepasst werden.

Intelligente Sanktion

Auch auf Einfuhren russischen Öls könnte ein Zoll verhängt werden, obwohl der Satz hierfür deutlich niedriger sein sollte als für Gas, weil sich Öl sehr viel einfacher transportieren lässt. Ein zu hoher Satz würde zur Umleitung aller russischen Exporte führen. Doch selbst ein Ölzoll von zehn Prozent könnte, wenn er von allen westlichen Verbündeten umgesetzt würde, beträchtliche Einnahmen bringen, die dann zur Unterstützung schutzbedürftiger Gruppen verwendet werden könnten.

Natürlich würde eine EU-Steuer auf Energieimporte aus Russland Putin nicht dazu bewegen, seinen Krieg in der Ukraine kurzfristig aufzugeben. Er hat sich selbst in eine politische und strategische Sackgasse manövriert und kann sich nicht einfach zurückziehen. Aber das heißt nicht, dass es sich nicht lohnt, Putins Regime möglichst stark unter Druck zu setzen, insbesondere, wenn man dadurch die eigene wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland längerfristig verringert. Die europäischen Politiker sollten sich bei ihrem Versuch zur Einführung "intelligenter Sanktionen" – Maßnahmen, die Russland möglichst stark wehtun und der EU möglichst wenig – vergegenwärtigen, dass ein Zoll auf Gasimporte aus Russland die intelligenteste Sanktion von allen sein könnte. (Daniel Gros, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 28.3.2022)