Bei einem Luftangriff am 21. März wurde in Mariupol dieses Museum zerstört, das dem russischen Maler Arkhip Kuindzhi gewidmet war.

Foto: Musey Arkhipa Kuindzhi

Konstantin Akinshas Befürchtung sollte sich bewahrheiten: Am 11. März hatte der aus Kiew gebürtige und zeitweilig in Wien aktive Kunsthistoriker in seinem Blog die Gefahr für ein Museum in Mariupol thematisiert, das dem im 19. Jahrhundert tätigen Maler Arkhip Kuindzhi gewidmet ist. Der einst in Mariupol geborene Kuindzhi wird in Russland bis heute verehrt. Montagmorgen wurde das Museum bei einem Luftangriff zerstört.

Ob Teile des Bestandes in Sicherheit gebracht werden konnten, ist ungewiss. Die von russischen Truppen eingekesselte Hafenstadt hat sich für die noch verbliebenen Bewohner in eine Hölle verwandelt. Die Zerstörung einer lokalen Entbindungsklinik oder die Bombardierung des Theaters, in dem Zivilisten Unterschlupf suchten und laut aktuellsten Behördenangaben 300 Menschen den Tod fanden, wurde als Kriegsverbrechen verurteilt.

Gemessen an der katastrophalen humanitären Situation wiegen zivile Opfer deutlich schwerer als zerstörte Kulturgüter. Für die kulturelle Identität eines Landes sind sie dennoch von Relevanz. Besonders im Falle der Ukraine, der Putin die Eigenständigkeit absprechen will. Seit knapp drei Wochen dokumentiert Konstantin Akinsha die Vernichtung von Kulturerbe in der Ukraine auf einer eigens eingerichteten Website. Ein Augenmerk liegt auf historischer Architektur. Zu den bisher erfassten Beispielen gehört ein schwer beschädigtes Kleinod in Tschernihiw, in dem eine Jugendbibliothek untergebracht war.

Es wurde im 19. Jahrhundert ursprünglich als Berufsschule des örtlichen Waisenhauses in gotischem Stil errichtet. Die bolschewistische Kanonade in den Jahren 1918 bis 1919 hatte es ebenso unbeschadet überstanden wie den Beschuss der Nazis 1941. Nicht aber den aktuellen Bombenhagel der Russen.

Ins Herz der Kultur

Betroffen ist auch ein Wohnhaus aus der Zeit des Konstruktivismus in Charkiw, das 1930 gebaut worden war. 2019 wurde es in die Liste der wichtigsten Stätten des ukrainischen Kulturerbes aufgenommen. Zuletzt war dort ein Museum geplant. "Der russische Angriff auf dieses besondere Gebäude ist höchst symbolisch", sagt Akinsha. "Die Granaten zielen auf das Herz der ukrainischen Kultur."

Am Erhalt von Datenmaterial digitalisierter Bestände, also Aufnahmen von Kunstwerken, gescannter Handschriften und anderer Dokumente, arbeitet derzeit eine internationale Gruppe Freiwilliger rund um Anna Kijas außerhalb der Ukraine. Wenige Tage nach der Invasion hatte die Musikbibliothekarin von der Tufts University bei Boston in einem Tweet dazu aufgerufen, eine wichtige ukrainische Volksmusikkollektion zu retten.

In Tschernihiw wurde am 11. März das im 19. Jahrhundert in gotischem Stil errichtete Gebäude schwer beschädigt, in dem zuletzt die Jugendbibliothek untergebracht war.
Foto: Fotocredit: Source Konstantin Akinsha

Eines führte innert weniger Stunden zum anderen: Die Initiative "Saving Ukrainian Cultural Heritage Online" (SUCHO) war geboren, am 2. März ging die Website samt Tutorials zur Archivierung von Materialien online. Mehr als 1300 Programmierer, Archivspezialisten und Nerds sind derzeit damit befasst. Ein Wettrennen gegen die Zeit, sagt Sebastian Majstorovic im STANDARD-Gespräch. Der Historiker ist seit August 2021 an der Akademie der Wissenschaften in Wien beschäftigt und gehört zu den führenden Mitstreitern.

Websites von rund 2500 ukrainischen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen wurden mithilfe automatisierter Computerprogramme und manueller Kopieraktionen erfasst: von kleinen archäologischen Museen bis zu großen Archiven und Sammlungen. Amazon stellte seine Server zur Verfügung, und mittlerweile wurden mehr als zehn Terabyte an Daten archiviert. 105 Gigabyte davon stammten von der Website des Staatsarchivs von Charkiw. Nur vier Stunden nach der "digitalen Evakuierung" war die Website des Charkiwer Archivs bereits offline, schildert Majstorovic. Kulturerbe kann innerhalb von nur einem Moment vernichtet sein, wie er weiß.

Er wuchs in Köln auf und sah 2009 aus seinem Klassenzimmer den Einsturz des Stadtarchivs. Sein 1991 aus Bosnien nach Deutschland emigrierter Vater beklagt bis heute den Verlust der Millionen Bücher und Dokumente, die 1992 in der Nationalbibliothek in Sarajevo verbrannten. Nun leistet der 30-Jährige kulturellen Katastrophenschutz. Für die Zukunft der Ukrainerinnen und Ukrainer soll ein Back-up der Vergangenheit entstehen.

Digitales Exil

Im Kleinen bemüht sich darum auch das Weltmuseum in Wien. "Wir können nur unsere Expertise im kulturellen Bereich zur Anwendung bringen", sagt Direktor Jonathan Fine. Er hatte mit unterschiedlichen Museen Kontakt aufgenommen, um Hilfe anzubieten. Die Optionen blieben beschränkt. Evakuierungen von Sammlungen außer Landes waren nicht mehr möglich. Um für die Kulturschätze der Ukraine Aufmerksamkeit zu generieren, bietet man nun einer Auswahl an Objekten aus dem Nationalen Historischen Museum in Kiew auf der Website und über den Facebook-Account des Weltmuseums digitales Exil. (Olga Kronsteiner, 26.3.2022)