Nach seinem Nachtragshaushalt erhält der britische Finanzminister Rishi Sunak nichts als Prügel: Die Fachleute lachen über seine Behauptung, er werde Steuern verringern – in Wahrheit hat die Steuerbelastung auf der Insel in den gut zwei Jahren von Sunaks Amtszeit den Höchststand der vergangenen 75 Jahre erreicht.

Er galt als Nachfolger von Boris Johnson – bisher: Finanzminister Rishi Sunak.
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Kirchen und Sozialverbände laufen Sturm, weil die Sozialhilfe nicht annähernd mit der deftigen Inflation von zuletzt 6,2 Prozent Schritt hält. Und Verteidigungsexperten maulen darüber, dass der bisherige Favorit auf Premier Boris Johnsons Nachfolge keinen Penny mehr für neue Waffen locker machen will.

Normalerweise dauert es ein paar Tage, bis die stets triumphalen Finanzstatements von Londoner Schatzkanzlern einer kritischen Prüfung unterzogen werden. In Sunaks Fall brauchten Experten und Medien schon am Mittwoch nur wenige Stunden, ehe sie die Daumen senkten. Im Lauf der nächsten beiden Tage wurde die Kritik immer schärfer. Einhelliger Tenor von Fachleuten und Wohlfahrtsverbänden: Die konservative Regierung habe am Mittwoch viel zu wenig getan, um die von gigantischen Energiepreis-Erhöhungen und zusätzlichen Abgaben gebeutelten Briten zu entlasten.

Ist der Ruf einmal ruiniert ...

Und Sunaks Ruf als Steuersenker? "Da stimmt die Realität nicht mit der Rhetorik überein", höhnt Torsten Bell vom Thinktank Resolution Foundation. Noch verächtlicher äußert sich Paul Johnson vom hochrespektierten Fiskalinstitut IFS: Der Finanzminister betreibe "fiskalische Zauberei".

Bis vor kurzem galt der 41-jährige Sunak, gelernter Goldman-Sachs-Investmentbanker und Schwiegersohn eines indischen Milliardärs, als frisches Gesicht der neuen, modernen Torys. In der Corona-Pandemie überraschte der als fiskalischer Falke bekannte Alkoholabstinenzler Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit großzügigen Hilfen, die vielen größeren und kleineren Unternehmen das Überleben ermöglichten.

Nach dem schwersten Einbruch aller G7-Länder 2020 ist die Volkswirtschaft im vergangenen Jahr um robuste 7,5 Prozent gewachsen. Im laufenden Finanzjahr bis April rauschen Steuereinnahmen in die zuletzt geplünderte Staatskasse. Zwar erreichte das Defizit auf dem Höhepunkt der Covid-Krise 15 Prozent, liegt auch jetzt noch bei zwölf Prozent und damit so hoch wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.

Dafür sagt die Analyse der unabhängigen Budgetbehörde OBR für die kommenden Jahre einen rapiden Rückgang voraus. Auch von der mittelfristigen Abtragung des Schuldenbergs in Höhe von 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zeichnen die OBR-Auguren sowie das nationale Statistikamt ONS ein freundliches Bild, obwohl im kommenden Jahr inflationsbedingt deutlich mehr Milliarden zur Tilgung benötigt werden als noch vor wenigen Monaten vorhergesagt.

Riesige Belastung für Privathaushalte

Den vergleichsweise guten Nachrichten über die Finanzlage der öffentlichen Hand aber stehen verheerende Belastungen der Privathaushalte gegenüber. Die Inflationsrate von zuletzt 6,2 Prozent soll nach der OBR-Progrose bis in den Herbst immer weiter steigen, bis zum Höchststand von 8,7 Prozent. Schon jetzt ist Diesel um 40 Prozent teurer, das vielfach zum Kochen und Heizen verwendete Erdgas sogar um 80 Prozent. Den Briten steht der größte Rückgang ihres Lebensstandards seit 1957 bevor. Selbst Tory-treue Zeitungen wie "Daily Express" sprechen von einer "verzweifelten Lage" und fordern mehr Hilfe durch die Regierung.

Dementsprechend müde fiel die Reaktion auf Sunaks Senkung der Mineralölsteuer um fünf Pence aus. Die Entlastung der Autofahrer sei willkommen, teilten die Lobbygruppen mit, aber: "Benzin ist in einem Jahr um 40 Pence teurer geworden." Andere ärgerten sich darüber, dass Sunak die erst im Herbst beschlossene saftige Erhöhung der Nationalen Versicherung, die alle Arbeitenden bezahlen müssen, nicht rückgängig machte. Stattdessen versuchte der Minister Begeisterung mit dem Versprechen zu erzeugen, er werde in zwei Jahren – dem voraussichtlichen Termin der nächsten Unterhauswahl – die Einkommensteuer senken. Das wirke "verzweifelt", räumten selbst Parteifreunde ein.

Sunak muss einen Spagat machen. Denn auf den Hinterbänken der Unterhaus-Fraktion, wo letztlich über Johnsons Nachfolge entschieden wird, sitzen viele wohlhabende Konservative, deren Abneigung gegen Steuern und Abgaben ideologischer Natur ist. Im Kabinett musste sich der Finanzminister gegen Kritik mehrerer Kollegen verteidigen, allen voran von Jacob Rees-Mogg, dem Staatssekretär für "Brexit-Vorteile".

Wo sind die Vorteile des Brexits?

Diese bleiben auch weiterhin Mangelware. Der OBR zufolge wird der britische Handel in den kommenden Jahren um 15 Prozent, die Produktivität um vier Prozent niedriger liegen, als wenn die Insel in der EU verbleiben wäre. Den stets von Fanfarenstößen begleiteten Handelsabkommen der vergangenen Monate kommt keine Bedeutung zu: "Keine davon hat ausreichende Bedeutung, um unsere Vorhersagen zu beeinflussen", schreiben die Ökonomen knochentrocken.

Nichts als Enttäuschung hielt Sunak auch für all jene Militärs und Sicherheitspolitiker bereit, die angesichts der frühen und umfangreichen Hilfe der Ukraine mit Defensivwaffen wie Panzer-brechenden Kanonen und Raketen auf eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets gehofft hatten. In seiner Parlamentsrede erwähnte der Minister den Bereich mit keinem Wort. Schließlich habe sein Haus, machte er später in Interviews deutlich, den Streitkräften erst im Herbst zusätzliche Milliarden zugesagt, womit Großbritannien, anders etwa als Deutschland, das Nato-Ziel von zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben klar erreicht. Ob dies angesichts der durch Russlands Angriffskrieg geschaffenen neuen Faktenlage aber reicht?

In den Rücken gefallen

Das Grummeln von Generälen und Sandkasten-Strategen kann Sunak aushalten. Wenn aber die magere Sozialhilfe durch die Inflation aufgefressen wird, Lehrern und Krankenschwestern sogar Gehaltskürzungen drohen, dürften der Regierung bald massive Proteste drohen. Von der Kritik überrascht fiel der Regierungschef seinem Minister in den Rücken: Im Kampf gegen die immens steigenden Lebenshaltungskosten "müssen wir mehr machen", gab Boris Johnson zu Protokoll.

Viel gehört nicht zur Prognose vieler Fachleute: Längst vor dem normalen Haushalt im Herbst, wahrscheinlich schon sehr bald, wird Sunak neue Erleichterungen verkünden müssen. (Sebastian Borger, 25.3.2022)