Der russische Präsident spricht im Fernsehen.

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Dort die Bösen, die Andersdenkende verurteilen und ausschließen, hier die Guten, die ihre Kultur und Nation und Tradition verteidigen: Im Denken des russischen Präsidenten Wladimir Putin dürfte es im Moment diese beiden Lager geben. Denn bei einer Rede in einer Fernsehdebatte witterte er eine Kampagne des Westens gegen Russland und seine gesamte Kultur. Dabei scheint er darauf anzuspielen, dass Events mit russischen Künstlerinnen und Künstlern, die sich nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine nicht von Putin distanziert hatten, in westlichen Staaten abgesagt wurden.

"Heute versuchen sie, eine tausendjährige Kultur zu canceln – unsere Menschen", sagte Putin, ohne zu definieren, wer "sie" sind. Angeblich würden russische Schriftsteller, Bücher, Komponisten verboten werden. Die angebliche "Cancel-Culture" – also das öffentliche Ächten einer Person aufgrund von Fehlverhalten – setzte der russische Präsident sogar in Zusammenhang mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten in den 1930ern. Über Nazis spricht Putin auch, wenn er die Aggression gegen die Ukraine zu rechtfertigen versucht. Angeblich handelt es sich laut seinen Aussagen beim jüdischen Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, um einen Nationalsozialisten.

Rowling als Opfer

Schließlich verteidigte Putin die "Harry Potter"-Autorin J. K. Rowling, die ebenfalls ein "Opfer" der "Cancel-Culture" geworden sei. Rowling hatte mit transfeindlichen Aussagen für laute Kritik an ihrer Person gesorgt. Einige Menschen hatten zum Boykott ihrer Bücher aufgerufen. Gleichzeitig bezeichnete Putin Russland quasi als Hafen der Toleranz: Im "Mutterland gibt es keinen Ort für ethnische Intoleranz, wo seit Jahrhunderten die Vertreter von dutzenden ethnischen Gruppen zusammenleben". Dass politisch Andersdenkende aber festgenommen werden, im Gefängnis landen oder Schlimmeres lässt Putin unerwähnt. Zuletzt ließ der Kreml sogar verbieten, den Krieg in der Ukraine einen Krieg zu nennen, und bestraft Zuwiderhandeln mit bis zu 15 Jahren Haft.

Damit bläst Putin in ein ähnliches Rohr wie Fox-News-Moderator Tucker Carlson. Ausschnitte seiner Show sind regelmäßig auf dem russischen Staatssender RT zu sehen, in denen Carlson auch von der vermeintlichen "Verdrängung" von weißen Amerikanern durch Latinos und Schwarze spricht. Auf dem rechten Nachrichtensender Fox News wurde vor dem Einmarsch in die Ukraine auch noch von einem "Ablenkungsmanöver" gesprochen, wenn das Weiße Haus vor der Aggression der russischen Armee gewarnt hatte. Und Putin wurde – auch von Tucker Carlson – als starker Mann im Gegensatz zum schwachen Joe Biden präsentiert.

Rowling meldete sich schließlich noch auf Twitter zu Putins Rede und schrieb, dass nicht diejenigen über "Cancel-Culture" reden sollen, die "Zivilisten abschlachten" oder ihre "Kritiker einsperren". (red, 25.3.2022)