In vielen privaten Gesprächen ist Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Thema in dem Sinn: Was wird er machen? Atombomben einsetzen, deren Strahlung wieder bis zu uns geweht wird? Raketen auf Waffentransporte für die Ukraine auf Nato-Gebiet abfeuern?

Es gibt die üblichen Putin-Versteher, aber auch solche mit verständlichen Bedenken. "Man soll den russischen Bären nicht in den Schwanz zwicken", sagte Staatsvertragskanzler Julius Raab einst. Verlangt das die Neutralität nicht ohnehin?

Letzteres ist längst geklärt. Die verfassungsmäßige Neutralität ist rein militärisch, sie ist keine Gesinnungsneutralität.

Österreich ist neutral, aber in der EU.
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Aber das sagt immer noch nicht, was ein kluges, aber nicht feiges Verhalten gegenüber Putin wäre. Ausgangspunkt ist: Der russische Autokrat hat offenbar schon seit längerem alle Bedenken über Bord geworfen und macht wieder Krieg in Europa. Krieg gegen unsere Lebensweise. So jemand ist auch "nachher" kein Partner mehr.

Österreich ist neutral, aber in der EU. Die verhängt Sanktionen und arbeitet eng mit der Nato und den USA zusammen. Da wird das Kunststück darin bestehen, der Neutralität einerseits in ihrer Essenz treu zu bleiben, andererseits keine feigen Extratouren zu veranstalten. "In der Essenz treu bleiben" heißt: keine Waffenlieferungen an die Ukraine, keine fremden Truppen bei uns, keine Teilnahme an (ohnehin extrem unwahrscheinlichen) Militäraktionen der EU gegen Russland.

Aber nicht feig sein heißt konkret: eindeutige, nicht halbherzige Beteiligung an den Sanktionen – mit der vorläufigen Ausnahme eines Stopps unserer Gasbezüge, den wir uns einfach nicht leisten können. Aber das gilt eben nur vorläufig. Beim Rest müssen wir konsequent sein, auch beim Vorgehen gegen Oligarchen in Österreich. Ob das auch heißt, Waffenlieferungen an die Ukraine über österreichisches Territorium (auch den Luftraum) zuzulassen? Die Frage ist offen.

Lügenkampagne

Neutral sein, ohne feig zu sein, heißt aber auf alle Fälle, frei zu sprechen. Österreich ist eine Demokratie und ein Rechtsstaat, Putins Russland ist das nicht. Der Westen begeht Fehler, aber in seinem System kann man das korrigieren. Donald Trump wurde nach vier Jahren abgewählt, Putin ist nach 22 Jahren noch immer da und der Schlimmste seit Stalin.

Das bedeutet im Übrigen auch, die massive Lügenkampagne, die Putins Trolle und ihre einheimischen Helfershelfer seit Jahr und Tag betreiben, entschlossen zu kontern. Neutral sein heißt nicht, ein Putidiot zu sein.

Neutral, aber nicht feig sein heißt nicht nur, den vielen Vertriebenen eine gute Behandlung angedeihen zu lassen, sondern auch die Putin-Flüchter aus Russland, Oppositionelle oder einfach nur Leute, die dort nicht mehr leben wollen, zu unterstützen.

Heißt es, dass man Wolodymyr Selenskyj, Präsident eines kriegführenden Staates, auch im österreichischen Parlament reden lassen soll? Ja, wenn er das noch will. Die Ukraine will den westlichen Weg gehen und wird dafür schwer bestraft. Wir sollten sie unterstützen, so gut es geht.

Wir dachten, wir könnten uns schon arrangieren. Wir könnten einen üblen Diktator bei Laune halten und dabei gut verdienen. Aber er hat uns gezeigt, dass ihm das nicht reicht. Er will unser ganzes System zerschlagen, weil es nämlich sein eigenes der Unterdrückung und Rückständigkeit bedroht. Da muss für unsere (eingebildete) Sonderrolle als "Brückenbauer" und "Vermittler" Schluss sein.

Wir sind militärisch neutral, wir sollen das streng einhalten, aber wir wissen, wo wir hingehören. (Hans Rauscher, 26.3.2022)