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Joe Biden und Ursula von der Leyen versuchten am Freitag, die Gasmärkte mit Lieferzusagen der USA zu beruhigen.

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Als Joe Biden vor vierzehn Monaten auf dem Kapitol in Washington den Amtseid abgelegt hatte und ins Weiße Haus einzog, gab er ein großes Versprechen ab. Er wolle nicht nur sein unter Vorgänger Donald Trump tief gespaltenes Land versöhnen und einigen – global werde es darum gehen, Freiheit und Demokratie zu stärken, die Werte der Toleranz und der Menschenrechte zu verteidigen.

Das wolle er vor allem in einer rundum erneuerten Partnerschaft mit den Europäern tun – in der Nato wie in der EU, erklärte er. Kaum jemand hätte sich damals, im Jänner 2021, als Corona- und Wirtschaftskrise dominierten, vorstellen können oder wollen, dass der US-Präsident seine Absichten unter den Umständen eines Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine diese Woche in Brüssel unter Beweis stellen sollte.

Dramatischer könnte es nicht sein: In der Ukraine gab es binnen vier Wochen tausende Tote, Millionen Vertriebene, eine brutale Fortsetzung von Kampfhandlungen und "Kriegsverbrechen der russischen Armee an der Zivilbevölkerung", wie die Staats- und Regierungschefs der EU beim Gipfel am Donnerstag in einer Erklärung festhielten.

Erste Risse wurden gekittet

Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat, werden praktisch täglich ausgebaut. Sie könnten jedoch im Rückschlag auch einige EU-Staaten, die vom russischen Öl und Gas extrem anhängig sind, wie Deutschland und Österreich, schwer beschädigen, sollte Präsident Wladimir Putin abrupt den Gashahn nach Europa abdrehen.

Dementsprechend hitzig diskutierten die EU-Staaten untereinander schon seit ihrem letzten Treffen in Versailles vor zwei Wochen, ob ein Totalembargo bei Öl, Gas und Kohle kommen müsse. Ja, sagen vor allem die drei baltischen Staaten und Polen, die am meisten Angst vor einem Übergriff russischer Truppen haben, die Putin rasch in die Knie zwingen wollen. Nein, sagten kategorisch der deutsche Kanzler Olaf Scholz und sein österreichischer Kollege Karl Nehammer. Letzterer sprach sich für "kreative" Sanktionen aus. Ein Ausstieg aus russischem Gas sei erst in Jahren möglich – sonst drohten Rezession, Arbeitslosigkeit. Deutschland könne einen Ausstieg erst in zwei Jahren hinbekommen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck.

Die gemeinsame "Front" der Europäer gegen den Aggressor in Moskau schien bereits erste Risse zu bekommen. Denn Polen, Estland, Lettland, Litauen drängten auch noch auf viel schärfere militärische Maßnahmen gegen Russland durch die Nato. Das alles wurde begleitet von praktisch täglich immer verzweifelter klingenden Hilferufen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der um Waffenlieferungen, humanitäre Hilfe, um eine von der Nato kontrollierte Flugverbotszone bat. Das alles und noch mehr an Leid und Chaos zusammengenommen, war der Besuch Bidens in Europa seit Mittwoch dieser Woche also ein echter harter Realitätscheck in der Frage, ob es gelingt, die westlichen Demokratien in ihrem gemeinsamen Vorgehen gegen Moskau zusammenzuhalten.

"Einheit gezeigt"

Das Weiße Haus hatte befürchtet, dass die Gefahr eines Auseinanderdriftens besteht. Biden selbst war es, der auf einen Marathongipfel von Nato, EU und G7-Staaten gedrängt hatte, wie es ihn in dieser Dichte noch nie gegeben hat. Er wollte Spaltung persönlich verhindern, war Donnerstagabend der erste US-Präsident, der je an einem EU-Gipfel mit allen 27 Staats- und Regierungschefs teilgenommen hat. Seine Vorgänger wie etwa Barack Obama vor exakt acht Jahren am 26. März 2014 trafen sich lediglich mit den Spitzen der EU-Institutionen.

Vor dem Treffen mit der EU gab es die Gipfel der 30 Regierungschefs der Nato-Staaten und der G7-Staaten. Was hat dieser Reigen an Gesprächen von Chefs aus 37 Staaten – auch Japan – in der Substanz also erbracht? "Das Wichtigste ist, dass wir Einheit gezeigt haben. Damit hat Putin nicht gerechnet", betonte der US-Präsident in einem seiner kurzen öffentlichen Auftritte. Tatsächlich gab es bei den Aussprachen mit den EU-Partnern zwar nach wie vor kontroversielle Standpunkte, vor allem beim Öl- und Gas-Embargo – aber der Konflikt wurde beruhigt, vorerst zurückgestellt.

Ein Drittel von Russland

Biden trug das Seine dazu bei, als er mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag ein EU-US-Abkommen zur Lieferung von Flüssiggas für Europa präsentierte, das für psychologische Entspannung sorgte. Die USA werden noch in diesem Jahr 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas zusätzlich in die EU liefern, bis zum Jahr 2030 sogar 50 Milliarden, ein Drittel dessen, was Russland 2021 lieferte. "Wir wollen Europa dabei helfen, seine Abhängigkeit von russischem Gas zu vermindern, die Nachfrage insgesamt reduzieren", sagte er. Sprich: Man wolle den Ausstieg aus fossiler Energie gemeinsam vorantreiben. Das freute Deutschland, Österreich oder auch Italien, die "Gasländer".

Die Wünsche der Balten und Polen, generell der Osteuropäer, nach mehr militärischem Engagement für die Ukraine wurden bereits am Donnerstag in der Nato befriedigt. Das Bündnis wird an der gesamten Ostflanke zu Russland, Belarus und zur Ukraine aufgerüstet, mit Kampftruppen, aber auch zu See und in der Luft. Für die Osteuropäer, die in diesem Konflikt mit Russland aus historischen Gründen extra empfindlich sind, hatte Biden etwas anderes Besonderes auf Lager. Von Brüssel flog er direkt nach Polen zu einem zweitägigen Besuch, bei dort stationierten US-Truppen, einem Flüchtlingsaufnahmelager – und bei der stolzen Staatsspitze. Bidens Mission scheint gelungen.

Gemeinsame Einkäufe

Nach Bidens Abflug erfolgte in Brüssel am Freitagabend eine weitere Einigung am zweiten Tag des EU-Gipfels, die nicht nur für psychologische Entspannung sorgen soll: Nach neunstündigem Ringen um Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise einigten sich die EU-Länder darauf, gemeinsam Gas einzukaufen. "Anstatt uns gegenseitig zu überbieten und die Preise in die Höhe zu treiben, werden wir unsere Nachfrage bündeln," verkündete von der Leyen.

Bei Pipeline-Gas repräsentiere die EU etwa 75 Prozent des Marktes. Durch die gemeinsamen Gaseinkäufe auf freiwilliger Basis erhoffen sich die Staaten bereits einen Preisvorteil. Dafür könnte laut Plänen der Kommission ein ihr unterstehendes Team mit Unterstützung der Mitgliedstaaten mit Lieferanten verhandeln – ähnlich wie beim gemeinsamen Kauf der Corona-Impfstoffe.

Nehammer begrüßte die Pläne zum gemeinsamen Gaseinkauf. "Es ist gut, wenn wir uns abstimmen", sagte er nach dem Gipfel. Zugleich forderte er eine "Lastenverteilung" beim Thema Gasspeicher. Österreich habe nämlich gemessen an seiner Bevölkerung die größten Gasspeicher der EU. Daher brauche es Solidarität bezüglich der Vorgabe der EU-Kommission, wonach die Mitgliedsstaaten ihre Speicher bis 1. November jeweils zu 90 Prozent gefüllt haben müssen. (red, Thomas Mayer, 25.3.2022)