Als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel, prophezeiten viele Beobachter den Beginn einer Ära, in der sich Diktaturen mit brutaler Gewalt immer öfter durchsetzen und der Welt ihr System aufzwingen werden. Der Verlauf des ersten Kriegsmonats zeichnet jedoch ein ganz anderes Bild: Das blamable Abschneiden der russischen Militärmaschinerie lässt sich auf die typischen Schwächen von Autokratien zurückführen, in denen dem Machthaber nicht widersprochen und sinnlose Befehle blind umgesetzt werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ukrainische Nationalflaggen auf dem Soldatenfriedhof in Charkiw.
Foto: REUTERS/THOMAS PETER

Ebenso trägt die Stärke der ukrainischen Verteidiger alle Merkmale einer demokratischen Zivilgesellschaft: flexible Truppen mit viel Eigenverantwortung; eine Armeespitze, die mangelnde Feuerkraft mit Hightech und Hirn ersetzt; eine Regierung, die das Land vereint, indem sie sich selbst Gefahren aussetzt; und eine hochmotivierte Bevölkerung, die bereit ist, für ihre Freiheit gewaltige Opfer auf sich zu nehmen. Die Ukraine erinnert bei all ihren internen Schwächen in dieser Hinsicht an Israel – ebenfalls eine junge Demokratie, die weitaus größeren Gegnern stets überlegen war.

Auch die westlichen Demokratien erweisen sich als wertvolle Verbündete im Kampf gegen Aggression und Tyrannei. Es waren vor allem die USA, die das ukrainische Militär so gut ausgerüstet haben, dass es den russischen Vormarsch zumindest aufhalten kann. Und trotz unterschiedlicher Interessen halten die Nato- und EU-Staaten jetzt auf eine Weise zusammen, die zuvor wenige erwartet hätten.

Demokratien mögen zerstritten oder gar chaotisch wirken, dekadent und ohne Gemeinschaftssinn – aber in echten Krisen sind sie Despotien klar überlegen. Das hat sich zuletzt etwa beim sichtbaren Scheitern von Chinas Corona-Strategie gezeigt. Und wenn die Pekinger Führung nun auf den Verlauf des Ukraine-Krieges blickt, dann wird sie es sich vielleicht noch einmal überlegen, bevor sie einen Angriff auf Taiwan in Erwägung zieht.

Der Krieg ist eine humanitäre Katastrophe, die einen verzweifeln lassen kann. Gleichzeitig bildet der ukrainische Widerstand den Stoff für eine moderne Heldensaga, die nach Jahren des weltweiten Niedergangs von Demokratien wieder Grund zur Hoffnung gibt. Gerade in Österreich sind viele überzeugt, die Ukrainer sollten einfach kapitulieren. Aber wenige Hundert Kilometer von hier sind Menschen bereit, für ihre Freiheit alles zu geben. Sie wissen, warum. (Eric Frey, 26.3.2022)