In der Geflügelbranche flattern die Nerven, europaweit droht Futternot. Hühner werden sich in Österreich in den kommenden Wochen deutlich verteuern.

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Wien – Die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Rohstoffknappheit treibt Nahrungsmittelpreise in die Höhe. 100 Millionen Menschen weltweit sind von Hungersnot bedroht. Europa gehen Lebensmittel nicht aus, sofern Hamsterkäufe die Logistik nicht überfordern. Preise für Getreide, Fleisch und Öle explodieren aber auch hier – was einkommensschwache Haushalte, die unter steigenden Kosten für Energie und Sprit leiden, zusätzlich unter Druck bringt. Zeiten, in denen sich Konsumenten in der Gewissheit wiegen konnten, alles jederzeit überall in jeder Qualität zur Verfügung zu haben, sind vorbei.

Ein Blick in die Fleischwirtschaft offenbart die Kapriolen der Märkte im Sog des Krieges und die Verletzlichkeit der Lieferketten. In ihr entladen sich Spannungen, die sich wie ein roter Faden durch die Agrarbranche ziehen.

Ökonomen und Umweltschützer pochen in seltener Einigkeit auf eine maßgebliche Einschränkung des Fleischkonsums, um wichtige Agrarflächen nicht länger an die Futtermittelindustrie zu verlieren. Um Futter selbst ist ein beispielloser Wettlauf entbrannt.

Leergefressene Getreidesilos

Länder wie Spanien, Portugal, Holland und Italien sind Europas größte Tiermäster. Seit Ausbruch des Krieges fehlt ihnen durch den Wegfall Russlands und der Ukraine als Exporteure die Hälfte des Bedarfs an Futtergetreide. Die Kosten dafür haben sich bis zu verdreifacht. Fleisch produziert wird in Spanien just in time. Futter für die Mast karrt die Industrie entkoppelt von eigenen Grund und Boden über Importe ins Land. Vorräte in vielen Getreidesilos reichen nur noch wenige Wochen.

"Die Situation ist dramatisch", sagt Johann Schlederer, Chef der österreichischen Schweinebörse. Vor zwei Monaten noch sei in der EU aufgrund von Fleischüberschüssen über Ausstiegshilfen aus der Tiermast debattiert worden. "Plötzlich ist die Welt eine völlig andere, und die Angst vor Engpässen geht um."

Preise werden neu verhandelt

Die Österreicher werden die Folgen der Krise in ein, zwei Monaten finanziell spüren, ist Markus Lukas überzeugt. Er rechnet allein bei Hühnerfleisch mit 20 bis 25 Prozent höheren Preisen im Lebensmittelhandel. Lukas mästet in der Steiermark 50.000 Hühner. Verfügbar sei Futter nur noch für drei Wochen, gekauft werde es großteils nur noch zu Tagespreisen, erzählt er. Die meiste Sorge aber bereitet dem Landwirten, der Obmann der Geflügelbranche ist, der Mangel an Monocalciumphosphat, das der Knochenstärke dient. Russland stoppte jüngst den Export des Phosphats. Öffnen sich dafür nicht rasch neue Quellen, "hat die gesamte Nutztierhaltung ein Problem".

Derzeit werde alles versucht, um die Produktion aufrechtzuerhalten, sagt Lukas. Dieser Tage werden die Preise mit großen Supermarktketten neu verhandelt.

Leer könnte allerdings zu weiten Teilen die Gastronomie ausgehen, die bislang im großen Stil Billighendl aus der Ukraine servierte. An die 3000 Tonnen davon holte die EU vor dem Krieg wöchentlich aus dem Land, zieht Lukas Bilanz. "Die Wirte werden nun eben vermehrt zu Schwein greifen müssen." Dass der Fleischkonsum sinken wird, daran zweifelt er nicht. "Kostet ein Hendl statt 2,99 künftig 6,99 Euro, werden es sich viele zweimal überlegen, dieses leichtfertig wegzuschmeißen."

Bauern als Profiteure?

Ab Mai könnten in Österreich auch einzelne Edelteile des Rindes knapp werden, glaubt Werner Habermann, Chef der Rinderbörse. In Summe werde sich Rind im Handel um ein Fünftel verteuern, denn die Preise für Kalbinnen, Jungstiere und Schlachtkühe erreichten ein Allzeithoch. Die Bauern als Profiteure? Es sei ein zweischneidiges Schwert, sagt Habermann. "Wie viele Konsumenten werden sich dieses Fleisch noch leisten können?"

Deutschland reduzierte zuvor im Banne der Coronakrise den Rinderbestand um ein Zehntel. Südamerika liefert nach wie vor nur spärlich in die EU und verlagert Exporte gen Asien und Russland.

Für ein Schwein erlösen Landwirte mittlerweile 220 Euro. 160 waren es vor dem Krieg. Er sei seit 30 Jahren im Geschäft, sagt Schlederer. Aber den Sprung von einem Zehn-Jahres-Tief auf ein Zehn-Jahres-Hoch innerhalb eines Monats habe er noch nie erlebt.

Not an Futter für Schweine und Rinder in Österreich herrscht keine, da dieses zu 80 Prozent selbst angebaut wird. Doch Selbstversorgung hat ihren Preis: 47 Prozent des Getreides hierzulande werden verfüttert. (Verena Kainrath, 26.3.2022)