Der bosnische Frühling droht auf der politischen Bühne heiß zu werden. Denn Anfang April könnte bereits jenes Gesetz im Landesteil Republika Srpska in Kraft treten, das vorsieht, dass Staatsbesitz in das Eigentum des Landesteils übergeht, obwohl dies klar der Verfassung widerspricht. Das Verfassungsgericht hat nämlich festgestellt, dass die offenen Fragen des Staatsbesitzes – es geht etwa um Kasernen, aber auch Wälder – vom Parlament des Staates Bosnien-Herzegowina geklärt werden müssen. Demnach hat das Parlament der Republika Srpska (RS) kein Recht dazu, sich die Immobilien einfach einzuverleiben.

Konkret geht es um das Gesetz über "unbewegliches Vermögen", das vom Parlament der RS am 10. Februar angenommen wurde. Dagegen haben zwar bosniakische Vertreter ein Veto eingelegt, dieses wurde jedoch vom Verfassungsgerichtshof der RS als "unzulässig" abgelehnt. Weil das bosnische Verfassungsgericht zurzeit völlig überlastet ist, wird es wohl Monate dauern, bis das Gericht anordnet, dass die Umsetzung des Gesetzes gestoppt werden muss, solange die Verfassungsmäßigkeit des Rechtsakts nicht geklärt ist.

Ausnutzen der rechtlichen Grauzone

In der Zwischenzeit könnte allerdings die Verwaltung in der Republika Srpska das Staatseigentum bereits als Eigentum der RS registrieren. Und das könnte weitreichende Folgen haben. Denn damit würde eine rechtliche Grauzone entstehen, was offenbar genau im Interesse der politischen Eliten der RS ist. Es sollen Fakten geschaffen werden, um die Rückabwicklung möglichst schwierig zu gestalten. Das Gesetz zum "unbeweglichen Vermögen" ist nur einer von zahlreichen Rechtsakten, die das RS-Parlament in Gang gebracht hat und die allesamt dazu dienen, die langjährigen Sezessionsabsichten der nationalistischen Partei SNSD unter ihrem Chef Milorad Dodik umzusetzen.

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Juristen erwarten, dass Milorad Dodik und seine SNSD weitere Sezessionsgesetze in Gang bringen werden.
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Zu den Gesetzen gehört jenes über eine eigene Arzneimittelbehörde für die RS, das am 20. Oktober angenommen und am 28. Dezember im Amtsblatt veröffentlicht wurde. Es tritt Ende Juni in Kraft. Offenbar wollte man bis dahin noch Zeit für Verhandlungen schaffen. Sicher ist, dass das Verfassungsgericht das Gesetz erst dann überprüfen kann, wenn es in Kraft getreten ist. Bis dahin hat man in der RS Zeit, die neue Behörde aufzubauen. Eine dafür notwendige gesetzliche Änderung der öffentlichen Verwaltung trat bereits am 10. Februar in Kraft. Mit der neuen Behörde würde die RS aus der gemeinsamen Arzneimittelbehörde des Staates austreten.

Hoher Justizrat

Das Parlament der RS hat unter der Ägide der SNSD, die seit vielen Jahren mit der Zerstörung des Staates Bosnien-Herzegowina droht – was auch das Kriegsziel der Nationalisten im Krieg gegen Bosnien-Herzegowina von 1992 bis 1995 war –, am 10. Dezember einige politische Maßnahmen zur Sezession der RS angekündigt. Dazu gehörte auch ein Gesetz zur Schaffung eines eigenen Hohen Justizrats für die RS und damit das Unterlaufen des staatlichen Justizrats. Die gemeinsame Justiz ist Dodik seit Jahren ein Dorn im Auge.

Der Gesetzesvorschlag für den RS-Justizrat wurde in einer ersten Lesung am 10. Februar im Parlament der RS angenommen und soll in den 60 Tagen danach öffentlich diskutiert werden. Zurzeit ist vorgesehen, dass das Gesetz ein Jahr nach der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten soll. Allerdings kann diese Vorgabe auch leicht geändert werden, das Gesetz könnte demnach viel schneller in Kraft treten.

Politischer Einfluss auf rechtliche Institutionen

Das Ausmaß der rechtlichen Änderungen, die von der RS im Dezember angekündigt wurden, umfasst ein breites Spektrum von staatlichen Gesetzen. Schon jetzt ist ersichtlich, dass die Möglichkeiten in der RS, ein Veto dagegen einzulegen, aufgrund der politischen Einflussnahme der Nationalisten im Verfassungsgericht der RS praktisch nicht greifen. Wenn die Gesetze nicht gestoppt werden, entsteht allerdings ein rechtliches Chaos in Bosnien-Herzegowina, eine Erosion staatlicher Strukturen, was zu einer weiteren politischen Destabilisierung beiträgt.

Von Rechtsexperten wird erwartet, dass Dodik und seine SNSD weitere Sezessionsgesetze in Gang bringen werden. Es gibt jedenfalls keinerlei Anzeichen dafür, dass die Nationalisten ihr Ansinnen, den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören, aufgegeben haben. Offensichtlich gibt es in der RS auch ausreichend rechtliche Expertise, und es wird bereits seit langer Zeit an der rechtlichen Sezession des Landesteils und damit am Unterlaufen des Friedensvertrags von Dayton gearbeitet.

Überlasteter Verfassungsgerichtshof

Die wohl größte Herausforderung in dieser Hinsicht ist der derzeit überlastete Verfassungsgerichtshof des Staates. So hat das Verfassungsgericht zu dem Rechtsakt in der RS, wonach das Gesetz gegen die Leugnung von Kriegsverbrechen und gegen die Verherrlichung von Kriegsverbrechern nicht zur Anwendung kommen soll, noch immer keine Entscheidung gefällt. Es geht zunächst nur darum, dass die Anwendung dieses Rechtsakts ausgesetzt wird.

Zur Vorgeschichte: Der frühere Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Valentin Inzko, hatte am 22. Juli vergangenen Jahres ein Verbot der Leugnung von Kriegsverbrechen erlassen. Zuvor war jahrelang versucht worden, so ein Gesetz im Parlament anzunehmen, was immer am Widerstand der Nationalisten gescheitert war. Weil diese Nationalisten – allen voran die SNSD – gegen das Leugnungsgesetz waren, brachten sie den obengenannten Rechtsakt in Gang, damit sie in der RS wieder ungestraft Kriegsverbrechen leugnen und Kriegsverbrecher verherrlichen können.

Gefährliche Gesetze für den Staat

Am 24. November wurde das Verfassungsgericht aufgefordert, den Rechtsakt in der RS zu überprüfen. Doch die Angelegenheit steht bis heute nicht einmal auf der Tagesordnung des Verfassungsgerichts. Das zeigt, dass auch alle anderen für den Staat Bosnien-Herzegowina gefährlichen Sezessionsgesetze nicht so schnell überprüft werden dürften.

Dragan Čović von der HDZ ist dagegen, die bosnischen Sanktionen an jene der EU anzupassen.
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Die Nationalisten unter der Führung Dodiks, die von Serbien und vom Kreml unterstützt werden, haben zudem innerhalb von Bosnien-Herzegowina Verbündete. Es handelt sich um die kroatisch-nationalistische Partei HDZ von Dragan Čović. Die klar prorussische Haltung von Dodik und Čović zeigte sich zuletzt bei einer Sitzung der zweiten Parlamentskammer, des Hauses der Völker, in Bosnien-Herzegowina. Beide Nationalisten waren gegen den Antrag, wonach Bosnien-Herzegowina seine "Politik, Maßnahmen und Positionen vollständig mit den offiziellen EU-Positionen zur Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine in Einklang" bringen sollte. Dodik und Čović stimmten damit gegen die Sanktionen gegen Russland und gegen die Haltung der EU.

Kroatien mischt sich im Nachbarland ein

Čović bekommt wiederum viel Unterstützung aus dem Nachbarland Kroatien, ebenso wie Dodik aus Serbien. Die Schwesterpartei HDZ aus Kroatien lobbyiert innerhalb der EU-Institutionen für eine Änderung des Wahlgesetzes, damit die HDZ ihre Machtposition in Bosnien-Herzegowina ausbauen kann. Sie will vor allem erreichen, dass künftig nur mehr ein Vertreter der HDZ als Kroate im Staatspräsidium sitzen kann. Die Verfassung sieht einfach nur vor, dass jemand aus dem "kroatischen Volk" einen von drei Plätzen einnehmen soll. Zurzeit ist das der Mitte-links-Politiker und Nichtnationalist Željko Komšić. Die drei Präsidenten repräsentieren in Bosnien-Herzegowina nicht die Volksgruppen, sie haben lediglich nationale Attribute. Die Volksgruppen werden hingegen im Haus der Völker repräsentiert.

Zuletzt drohte Čović sogar damit, dass es zu einer "territorialen Reorganisation des Landes" kommen würde, wenn die HDZ nicht ihre Wünsche erfüllt bekommt. Beistand bekommt er seit Wochen vom kroatischen Premier Andrej Plenković, der sich sogar dafür einsetzt, dass die Wahlen im Nachbarstaat Bosnien-Herzegowina verschoben werden, damit vorher noch das Wahlgesetz geändert wird. Plenković versucht zurzeit auch andere EU-Staaten von seiner Bosnien-Politik zu überzeugen.

Keine parlamentarischen Mehrheiten

Allerdings sind in den vergangenen Monaten alle Versuche der HDZ in Bosnien-Herzegowina, ihre – übrigens bereits alten – ethnopolitischen Interessen umzusetzen, daran gescheitert, dass es dafür keine parlamentarischen Mehrheiten gibt. Das Wahlbündnis rund um die HDZ hat bei der letzten Wahl 2018 neun Prozent der Stimmen bekommen.

Unterstützung für Čović kommt aber nun vom russischen Botschafter in Bosnien und Herzegowina, Igor Kalabuchow. Er stellte sich hinter das Konzept von Čović und den anderen Nationalisten, dass es in Bosnien-Herzegowina vor allem um die drei "konstitutiven Völker" (Bosniaken, Serben und Kroaten), also um die Ethnisierung der Menschen gehe und nicht um die Bürger.

Russland unterstützt Čović

Kalabuchow kritisierte in diesem Zusammenhang die Niederlande. Die Niederlande, allen voran die äußerst engagierte EU-Abgeordnete Tineke Strik, haben sich in den vergangenen Monaten dafür eingesetzt, dass auch die Bürger in Bosnien-Herzegowina zu ihren Rechten kommen. Sie sind nämlich im passiven Wahlrecht diskriminiert, weil den ethnisch definierten Bosniaken, Serben und Kroaten Vorzug gegeben wird. Auch Juden und andere Minderheiten werden in Bosnien-Herzegowina diskriminiert. Die Verfassung müsste deshalb längst geändert werden, doch dafür gibt es kaum Unterstützung in der EU. (Adelheid Wölfl, 28.3.2022)