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Soll Europa den Gashahn zudrehen oder lieber noch abwarten? Die Frage über Auswirkungen eines Energieembargos spaltet Ökonomen.

Foto: REUTERS/Maxim Shemetov.//File Photo

Sie haben nicht die Stopptaste gedrückt. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder haben sich bei ihrem Gipfel Ende vergangener Woche gegen ein Embargo für russisches Öl und Gas entschieden. Die Debatte ist damit aber nicht beendet. Das liegt natürlich am Krieg. Mit jeder abgeworfenen Bombe auf Städte wie Mariupol oder Kiew wird die Diskussion wieder aufflammen. Und westliche Regierungschefs warnen davor, dass Russlands Staatschef Wladimir Putin chemische oder biologische Waffen einsetzen könnte. Die wahrscheinlichste politische Antwort darauf wäre ein Energieembargo.

Abgesehen von moralischen Aspekten versuchen Ökonomen die Frage zu beantworten, wie sich ein Stopp der Energieimporte wirtschaftlich auswirken würde. Das ist besonders für stark von russischem Gas abhängige Länder wie Österreich und Deutschland relevant. Das im deutschsprachigen Raum am meisten diskutierte Paper stammt von einer Gruppe von Wissenschaftern rund um Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame in Indiana und Moritz Schularick von der Universität Bonn.

Die Ökonomen kommen zum Ergebnis, dass ein Energieimportstopp für Deutschland einen Einbruch zwischen 0,5 und drei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) nach sich ziehen würde. Das wäre eine Rezession, aber keine beispiellos starke. Der Abschwung durch die Pandemie 2020 brachte einen BIP-Rückgang von vier Prozent, war also heftiger.

Öl leichter ersetzbar

Die Berechnung geht davon aus, dass ein Stopp russischer Erdöllieferungen leichter zu verdauen wäre. Viele Staaten exportieren Erdöl nach Europa, hier gibt es Alternativen.

Die Schwierigkeiten ergeben sich bei Gas. Etwa ein Viertel des deutschen Energieverbrauchs wird mit Gas abgedeckt, 55 Prozent des Rohstoffs bezieht die Bundesrepublik aus Russland. Wie in Österreich wird auch in Deutschland ein Teil des Gases zur Stromerzeugung genutzt. Dieser Anteil ließe sich sofort ersetzen, durch Kohle- und Braunkohlekraftwerke, heißt es im Paper. Die Reduktion, mit der Unternehmen und Haushalte fertigwerden müssten, läge demnach nicht bei 55 Prozent des Gases, sondern um die 30 Prozent.

Die Ökonomen versuchen mit unterschiedlichen Modellen zu analysieren, was geschieht, je nachdem, ob mehr oder weniger von diesem russischen Gas durch andere importierte Energieträger ersetzt werden kann. Daher die Spannbreite der Prognose. Ein Embargo würde Branchen unterschiedlich treffen: Dort, wo Gas nicht bloß Energieträger ist, sondern auch als Rohstoff weiterverarbeitet wird, ließe es sich nicht substituieren. Die Folge wäre ein Stillstand der Produktion. Das würde die chemische Industrie treffen. Dort, wo Gas nur Energieträger ist, ginge ein Ersatz leichter.

Dass trotz Energieembargos die Modellberechnung nicht einen dramatischeren Einbruch zeigt, dürfte auch die deutschen Wissenschafter überrascht haben. Die Plausibilität der Zahlen begründen sie damit, dass der Anteil der Importe fossiler Energieträger Gas, Öl und Kohle an der gesamten deutschen Produktion gering ist. Er entspricht zwei bis 2,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Die deutsche Industrie ist breit aufgestellt, verarbeitet viele Produkte und Stoffe.

Szenario sieht kein Wachstum mehr, aber keinen Absturz

Und wie ist es in Österreich? Der Anteil des Gases am Gesamtenergieverbrauch ist hier etwas niedriger als in Deutschland. Wobei Österreich dafür mehr, 80 Prozent des Rohstoffs, aus Russland bezieht. Die Zahlen, die es für Österreich gibt, sind ähnlich jenen aus Deutschland. Laut einer Kalkulation des Ökonomen Christian Helmenstein für die Industriellenvereinigung würde ein Embargo für Energie und Rohstoffe 3,3 Prozent Wirtschaftsleistung bis Ende des Jahres kosten. Sollte es so kommen, würde Österreichs Wirtschaft eingerechnet bereits beschlossener Sanktionen gegen Russland stagnieren.

Auch das ist keine Katastrophe. Doch Experten melden Zweifel daran an, ob sich ein Stopp der Gasimporte modellieren lässt. Alle Berechnungen leiden darunter, dass zwar bei jeder Branche bekannt ist, wie viel Energie sie insgesamt braucht, aber die Abhängigkeiten der einzelnen Betriebe sehr unterschiedlich und nicht bekannt sind. Für manche Firmen würde ein Gaslieferstopp nur bedeuten, dass sie etwas weniger produzieren können, andere könnten zwischenzeitlich gar nichts mehr herstellen, sagt der Chef des Forschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr.

Ein Komplettausfall großer Betriebe, die andere Industriezweige mit ihren Waren versorgen, würde eine Kettenreaktion auslösen. Die Effekte wären auch in anderen Branchen stark. Aber genau diese zentrale Frage, also wie viele Unternehmen von einem Totalausfall der Produktion betroffen wären, wenn kein Gas kommt, kann kein Modell vorhersagen. "In ökonomischen Modellen lässt sich ein Rückgang der Gasimporte gut abbilden, aber nicht ein Totalstopp", sagt Harald Oberhofer von der Wirtschaftsuni Wien.

Fassungslos

Kritik an den präsentierten Rechnungen gibt es in Deutschland. Er nehme mit "Fassungslosigkeit wahr, dass von manchen Ökonomen vorgetragen wird, ein Gasembargo sei leicht zu verkraften", sagt Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Ein Ausfall von Industriebetrieben sei nicht vergleichbar mit einer Sperre von Restaurants bei Corona. Wenn Restaurants kein Essen verkaufen können, lasse sich das leicht analysieren. Produktionsausfälle bei Zulieferern hätten viel weitreichendere Auswirkungen, so Hüther.

Das Wifo hat noch keine Rechnung präsentiert, weil die kurzfristigen Folgen sich gar nicht abschätzen lassen, sagt Felbermayr. Was können Ökonomen dann der Politik raten? Felbermayr: Sanktionen bei Bedarf zunächst dort verschärfen, wo sich Folgen einschätzen lassen. Etwa bei Öl und Rohstoffen wie Holz. (András Szigetvari, 28.3.2022)