Man müsse sich auf einen langen Konflikt, einen langen Kampf um die Demokratie einstellen – so US-Präsident Joe Biden.

Foto: AFP/Brendan Smialowski

Joe Biden ist wieder ins weit entfernte Washington zurückgekehrt. Nicht ganz vier Tage hat der US-Präsident in Europa verbracht, während der Krieg Russlands in der Ukraine unvermindert hart weiterlief. Als Chef der militärisch stärksten Nation der Welt dominierte er den "Marathongipfel" in Brüssel, die Treffen von Nato, EU und G7.

Zu Recht wurde das als einmaliges Ereignis bezeichnet. "Die Einheit des Westens" wurde zelebriert. Das dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu demonstrieren, kann Biden auf der Habenseite verbuchen. Die Spaltung Europas, die Putin seit gut eineinhalb Jahrzehnten anstrebt, ist ebenso gescheitert.

Symbolisch gezielte Visite

Aber ist man dem wichtigsten Ziel, für ein rasches Ende der Kampfhandlungen zu sorgen, näher gekommen? Davon kann keine Rede sein, wenn man die symbolisch gezielt ausgewählte Visite des US-Präsidenten in Polen auch noch miteinbezieht.

"Die Nato denkt zuerst an sich selbst", brachte es die Neue Zürcher Zeitung auf den Punkt. Die Bündnispartner tun das, wofür die Verteidigungsallianz da ist: Sie bauen ihre Truppenpräsenz in den Nato-Ländern im Osten aus, zum eigenen Schutz. Und auch das eher verhalten.

Ähnliches gilt für die Staaten der EU. Sie haben beachtliche Sanktionen beschlossen, sind untereinander aber uneins und zögerlich bei der wirksamsten Sanktion, einem Öl-, Gas- und Kohleembargo gegen Russland. Da gehen nationale Interessen vor, aus Angst, die Wirtschaft zu gefährden.

Ein langer Kampf

Dazu passt, was Biden in seiner Grundsatzrede in Warschau sagte. Man müsse sich auf einen langen Konflikt, einen langen Kampf um die Demokratie einstellen. Das sei nicht in Tagen und Wochen zu Ende. Und er rief den Zuhörern "Fürchtet euch nicht!" zu, den Wahlspruch des polnischen Papstes Johannes Paul II. Das hat den Polen gefallen. Aber so mancher mag sofort gedacht haben: Gibt es also doch Grund zur Furcht, wenn er das so betont?

Umso mehr, als der US-Präsident einen indirekten Aufruf zum Regimewechsel in Moskau tätigte ("Um Gottes willen, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben"). Es klang mehr nach Schwäche als nach Tatkraft: Die russischen Bürger müssen ihren Diktator selbst loswerden, so wie die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst den Krieg gewinnen müssen. Putin wird das ausgiebig für die Propagandaerzählung von einer angeblichen westlichen Verschwörung nützen.

Die Harmoniebilanz in Nato und EU fällt nach diesem Wochenende daher durchwachsen aus. Aufschlussreich war nicht, was man vereinbarte. Fast noch wichtiger ist, was nicht beschlossen wurde. Das könnte für die ums Überleben kämpfende ukrainische Republik in den nächsten Wochen auf tragische Weise entscheidend sein.

Verzweifelte Appelle

Nicht umsonst klingen die Appelle von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit jedem Tag verzweifelter. Einzelne Nato-Staaten, aber nicht das ganze Bündnis, werden ihm Defensivwaffen, Munition und Treibstoff liefern. Aber es wird keine Lieferung von Panzern oder Jets, keine Flugverbotszone geben.

Die USA und die europäischen Verbündeten wollen jede militärische Konfrontation mit Russland vermeiden. Dafür gibt es wegen der großen Gefährlichkeit einer nuklearen Eskalation gute Gründe. Aber ganz auf Drohungen zu verzichten wird auf Dauer nicht reichen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Putin den Krieg stoppt. (Thomas Mayer, 27.3.2022)