Der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer schreibt im Gastblog über die Zusammenarbeit von Mediatoren und Kinder- und Jugendhilfe.

Immer wieder kreuzt die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) den Weg der Mediation, wobei es dieser Institution immanent scheint, negativ konnotiert zu sein. Wobei die KJH, früher Jugendamt genannt, eine sehr wichtige Funktion in der Unterstützung von Eltern bei der Erziehung einnimmt. Unzählige Unterstützungsangebote sind dazu da, Eltern in Stresssituationen zu helfen. Dass die KJH bei vielen einen suboptimalen Ruf genießt, liegt unter anderem daran, dass ihre Mitarbeitenden sich in höchst heikle Familienkonstellationen einbringen müssen und hier logischerweise nicht alle Interessen und Bedürfnisse Einstellungen aller Beteiligten erfüllt werden können.

Unterhalt bestimmen

Einer der häufigsten Kontaktpunkte zwischen Mediation und der KJH ist wohl der Unterhaltsrechner des Vereins für Jugendhilfe, der regelmäßig von den Medianden als Anhaltspunkt für die Berechnung des Geldunterhalts herangezogen wird. Dies setzt zwar voraus, dass neben einem durchaus ausgeklügeltem Onlinerechner auch die korrekte Unterhaltsbemessungsgrundlage zum Einsatz kommt, weswegen oftmals nicht ganz korrekte Zahlen am Anfang einer Unterhaltsdiskussion stehen.

Beispiel: In der Scheidungsdiskussion soll der Unterhalt für die gemeinsamen Kinder Max und Moritz geregelt werden. Der geldunterhaltspflichtige Elternteil (GU-E) bemüht den Onlinerechner des Vereins für Jugendwohlfahrt und rechnet den Unterhalt mit seinem monatlichen Einkommen aus.

Der andere, hauptunterkunftgebende Elternteil (HU-E), der das Geld für das minderjährige Kind bezieht, erhält beim gleichen Rechner völlig andere (höhere) Zahlen, was in weiterer Folge zu Konflikten führt. Es stellt sich heraus, dass beide mit falschen Zahlen gearbeitet hatten, nachdem im Endeffekt der Steuerbescheid des Vorjahres (bei nicht-selbstständig Erwerbstätigen) beziehungsweise die letzten drei Bescheide (bei Selbständigen) als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen sind. Beide einigen sich in weiterer Folge auf einen Termin beim zuständigen Rechtspfleger, der basierend auf den Steuererklärungen Licht ins Konfliktdunkel bringt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Missverständnisse aus dem Weg schaffen und die Bedürfnisse der beiden Elternteile beachten, das sind wichtige Aufgaben in der Mediation.
Foto: Getty Images/PeopleImages

Missverständnisse aufklären

Ein anderes, leider in den Grundzügen reales Beispiel trug sich vor Jahren in etwa wie folgt zu: Der Mediator wurde seitens der zuständigen Bezirkshauptmannschaft angefragt, ob er zwischen den Eltern zweier Kinder vermitteln könnte. Die Kinder wurden vor drei Monaten aufgrund eines eskalierten Konfliktes zwischen Mutter und Vater abgenommen und sollten möglichst zeitnah wieder in die Familie zurückgeführt werden. Der Mediator sollte nun den Konflikt zwischen den Eltern bearbeiten und so den Kindern die Rückkehr in die elterliche Wohnung ermöglichen.

Im Rahmen einer "Pendelmediation", in der die Mediaten nicht gemeinsam am selben Ort sind, sondern der Mediator abwechselnd Gespräche führt, konnten Missverständnisse aufgeklärt und auch die Bedürfnisse der Partner herausgearbeitet werden. Es stellte sich in einer Vielzahl von Gesprächen heraus, dass zwar die Beziehung der Eltern vor dem Ende stand, sie allerdings erst eine Lösung für ihre Kinder finden wollten. Beide waren damit einverstanden, die Unterstützung der ansässigen Familienberatungsstelle in Anspruch zu nehmen, ein Signal für die Bezirkshauptmannschaft, den Eltern die Obhut für die Kinder wieder zu überantworten.

Erst wurden die Kinder über ein verlängertes Wochenende in die Familie zurückgebracht, doch bereits nach wenigen Wochen kam die BH dem Wunsch der Kinder (und freilich auch der Eltern) nach, die Kinder wieder endgültig in die Obsorge der Eltern zu übergeben. Einzige Auflage war ein wöchentlicher gemeinsamer Besuch der Eltern bei der Familienberatungsstelle für eine Elternberatung.

Eine weitere Möglichkeit einer mediativen Unterstützung – wenngleich diese freilich nur in wirklich eskalierten Fällen zum Tragen käme und somit nicht wirklich erhofft ist – findet sich in jenen Fällen, in denen ein begleitetes Gespräch zwischen den leiblichen Eltern und den Pflegeeltern stattfinden kann. Nach einer krisenbedingten Intervention der KJH mit folgender Fremdunterbringung der Kinder kann, nach einer gewissen Abkühlphase ein Gespräch zwischen Eltern und Pflegeeltern wichtige Informationen im Sinne der Kinder beisteuern. Natürlich handelt es sich dabei um ein sehr heikles und konfliktbeladenes Setting, welches nur in wenigen Fällen von Erfolg gekrönt sein wird. Doch die wenigen Fälle, in denen eine tragfähige Gesprächsbasis geschaffen werden konnte, sprechen für sich.

Interessen von Kind und Eltern

Gemeinsam mit meiner Kollegin, Psychologin und Co-Mediatorin, die aus dem Bereich der Kinder und Jugendpsychologie kommt, ist es möglich, auch in teilweise hochstrittigen Fällen in Kooperation mit der KJH, aber auch diversen Familienberatungsstellen oder anderen Experten im persönlichen Netzwerk einen Beitrag zu leisten, Kindern den Kontakt zu ihren Eltern zu erhalten. Leider zeigt die Erfahrung, dass es eine nicht geringe Zahl von Fällen gibt, in denen der Eskalationsgrad jedes Gespräch verunmöglicht. Ebenso stellen jedwede Form von Missbrauch oder Gewalt eine Grenze dar, die es zu beachten gilt. Doch auch innerhalb aller Grenzen, die Berufsethik, persönliche Moral und schlichte Erfahrung aufzeigen, ist es möglich, im einen oder anderen Fall zu helfen.

Natürlich ist es auch unsere unausgesprochene Aufgabe, die Interessen des in der Regel nicht anwesenden Kindes in der Mediation zu bedenken und mitunter auch zu vertreten. Daher kann es auch dazu kommen, dass im Rahmen der (bei einvernehmlicher Scheidung) verpflichtenden Elternberatung die Mediatoren möglicherweise das eine oder andere Mal nachfragen, wie denn beispielsweise eine Betreuungsregelung, die Formulierung des Kontaktrechts oder auch die Unterhaltsvereinbarung gemeint ist. Nein, wir geben keine Lösungen vor, wir fragen.

Ein Zusammenspiel der unterschiedlichen Möglichkeiten hat sich im Sinne des Kindeswohls bewährt. Selbst in der Annahme, dass in den Postings zu diesem Blogbeitrag das eine oder andere Beispiel gepostet wird, in welchem der oder die Ex schlichtweg alles falsch gemacht hat, so gibt es jene Fälle, in denen meine Kollegen und Kolleginnen oder ich helfen konnten, Kindern eine noch höhere Eskalationsstufe zu ersparen. Und dann ist dieser Job wunderbar. (Ulrich Wanderer, 31.3.2022)

Update um 14:46: Die Bezeichnung "Jugendwohlfahrt" wird nicht mehr verwendet und wurde im Text gegen "Jugendhilfe" ausgetauscht.