Am Ende blieb von der Oscar-Gala heuer nur die Watschen übrig, so ähnlich formulierte es der Kollege aus der Kultur am Montag. Dem möchte man mit etwas Abstand entgegnen: Ganz so schlimm war's auch wieder nicht. Zumindest wenn man sich auf den roten Teppich fokussierte.

Der Schauspieler Timothée Chalamet zum Beispiel sorgte mit seinem Auftritt für ein Raunen in der Boulevardberichterstattung: ein nackter Männeroberkörper bei den Oscars! Darüber hängte der Amerikaner nur eine schimmernde Smokingjacke von Louis Vuitton (aus der Frauenkollektion!) und eine Kette (von Cartier).

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Timothée Chalamet in der Frauenkollektion von Louis Vuitton.
Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/David Livingston

Nun könnte man abwinken: War ja klar, der Chalamet! Der 26-Jährige hat die Regeln des roten Teppichs immer wieder frei interpretiert. Mal kam er zu den Oscars im weißen Smoking, dann in einem Trainingsanzug von Prada. Doch dieser Auftritt erforderte mehr Mut: In die Geschichte eingehen wird er nun als erster Mann, der oben ohne bei den Oscars erschien.

Die nackte Hühnerbrust war im öffentlichen Raum bislang ein Alleinstellungsmerkmal von Musikerkollegen wie Prince oder Iggy Pop: Bloßgelegt wurde sie meist auf der Bühne. (Die oberkörperfreie Selbstinszenierung Wladimir Putins lassen wir an dieser Stelle beiseite.)

Bei Veranstaltungen wie den Oscars war das Zeigen von Haut bislang den Frauen vorbehalten. Meist wurde danach über Dekolletés, Bein- und Rückenausschnitte diskutiert. Und ja, oft gelästert. Frau konnte es eigentlich nur falsch machen: Zu viel davon ging gar nicht, zu wenig davon galt als boooring. Die Männer hingegen versteckten sich ohne Probleme in ihren Anzügen.

Ein prominenter nackter Männeroberkörper der Popgeschichte: Prince.
Prince

Dass nun ein Mittzwanziger den Red-Carpet-Regeln der Oscars den Mittelfinger zeigt, war nur eine Frage der Zeit. Chalamet, der gern als James Dean der Generation Z bezeichnet wird, inszeniert sich so, wie es Influencer und Influencerinnen auf den Social-Media-Plattformen ganz selbstverständlich tun: sexy und ohne Angst vor eingefahrenen Rollenbildern.

Doch bevor an dieser Stelle ins Blaue interpretiert wird, sollte eine weitere Lesart des Outfits angeboten werden: Was, wenn es sich bei dem Auftritt des 26-Jährigen einfach um ein großes Missverständnis handelte? Möglicherweise hat ja eine der Kolleginnen Chalamets Hemd entwendet. Verdächtigt werden: Uma Thurman, die in einem zugeknöpften Modell von Bottega Veneta erschien.

Uma Thurmans Auftritt in Bottega Veneta wurde als Hommage an ihr Outfit in "Pulp Fiction" verstanden.
Foto: APA/AFP/ANGELA WEISS

Aber auch Kristen Stewart, die ihr Hemd bis unter den Bauchnabel aufknöpfte und mit Shorts kombinierte. Oder war es doch Zendaya, die ihr Exemplar bauchfrei interpretierte?

Kristen Stewart (rechts, in Chanel) und ihre Verlobte Dylan Meyer.
Foto: APA/AFP/ANGELA WEISS

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Zendayas Kombination von Valentino wurde als Interpretation von Sharon Stones Oscar-Look von 1998 verstanden.
Foto: Jae C. Hong/Invision/AP

Eine Antwort blieb Timothée Chalamet bislang schuldig. Macht aber nichts. Bleibt zu hoffen, dass der heurige Oscar-Jahrgang demnächst auf den roten Teppichen Trends setzt. (feld, 29.3.2022)