Unterschiedlich konventionelle Pärchen: Georges und Zaza (Viktor Gernot, Drew Sarich) und die Hochzeiter (Juliette Khalil, Oliver Liebl).

Foto: Barbara Pálffy/Volksoper

Die allerorts ausgerufene Zeitenwende lässt auch an der Volksoper Wien nicht mehr lange auf sich warten: Nachdem Robert Meyer mit einer fast Ioan-Holender-haften Beharrlichkeit fünfzehn Jahre lang über die Spielpläne des Hauses am Währinger Gürtel bestimmt hat, werden ab September mit Lotte de Beer neue Ideen, Sichtweisen und Kreativkräfte Einzug halten.

Bei der drittletzten Premiere der Ära Meyer standen die Zeichen in der Volksoper auf Retro: In den Logen linker Hand waren mit Harald Serafin, Dagmar Koller und Georg Springer legendäre Restbestände der Grandseigneurs, der Golden Girls und des Ancien Régime der Entertainment-Institution zu bewundern. Und auf der Bühne gab man ein Musical, das hier ab 1991 gespielt wurde und über viele Jahre ein Kassenschlager war: La Cage aux Folles.

Einst zeigte sich die Kritik gespalten

In einem Wien, das sich regenbogentechnisch irgendwo zwischen der Etablierung der Rosa Lila Villa und dem ersten Life Ball befand, hatten die Schauspielgrößen Karlheinz Hackl und Frank Hoffmann seinerzeit Albin und Georges gegeben, das schwule Paar mittleren Alters, das an der französischen Riviera einen mondänen Revueclub betreibt. Die Kritik zeigte sich damals gespalten: Der Kurier und die Arbeiter Zeitung jubelten, Sigrid Löffler nahm im Profil einen "Absturz in den Orkus der Peinlichkeiten" wahr, der STANDARD "das Signum des Dilettantismus".

Einunddreißig Jahre später vertraute man die Rolle des allüreaffinen Travestiekünstlers Zaza einem Musicalstar an, für den die Volksoper eine zweite Heimat geworden ist: Drew Sarich. Für den Wahlwiener aus den USA hatte Christian Kolonovits 2017 die Titelpartie seines Vivaldi-Musicals maßgeschneidert. In typengerechter Besetzung gibt Viktor Gernot den konventionelleren Teil des Paars.

Chemie stimmt

Wenn es nicht gerade herumzuzicken gilt, spielt Sarich den Albin gern mit der Eleganz einer Grande Dame. Fast einen Tick zu entspannt, zu sehr Understatement seine erste Nummer: Mascara. Beim Showstopper des Musicals von Jerry Herman, Ich bin, was ich bin, drehte der Routinier dann auf, aber nicht mal allzu sehr. (Ja, genau: Das einzige Französische an der Produktion von La Cage aux Folles an der Volksoper ist der Titel, gesungen wird auf Deutsch.) Trotzdem: Sarich ist natürlich eine sichere Bank, ein Vollprofi. Mit Viktor Gernot, der eine Peter-Alexander-hafte Warmherzigkeit verströmt, scheint die Chemie zu passen.

Rund um das gegensätzliche Power-Couple ergibt sich viel Klamauk und gackerndes Getriebe. Neben der aufgedrehten Tanztruppe der Cagelles sorgt dafür feder(boa)führend Jurriaan Bles, in seinem Faible für exaltierte Kostümierung und Fantasiedeutsch ein Jorge González der Butlerbranche. Für bodenständigeren Klamauk sorgt Hausherr Robert Meyer, der sich als moralinsaurer Rechtspolitiker Dindon in bewährter Weise in Rage schreien durfte, mit seiner erprobten Bühnenpartnerin Sigrid Hauser als pistazienfarbenem Anhang. Deren Tochter Anne zeichnet Juliette Khalil erwartungsgemäß quietschig-überdreht, Georges’ heiratswilligen Sohn Jean-Michel gibt Oliver Liebl langweilig-lieb: allesamt zu hundert Prozent originalitätsbefreite Schablonen aus der Klischeefabrikation. Wenn Lotte de Beer hier in Zukunft für mehr Variabilität, Menschlichkeit und darstellerische Fantasie sorgen könnte: bitte, danke.

Verpuffte Power

Sonst? Die Recycling-Kostümwelten der Revuetruppe (Judith Peter) waren furchtbar, das Licht (Michael Grundner) meist öd, das Bühnenbild (Stephan Prattes) für die Spielszenen praktikabel. Bei den Showszenen verpuffte viel tänzerische Power (Regie und Choreografie: Melissa King) in reichlich szenischer Leere. Die Ensemblestimmen schafften es aufgrund zurückhaltender Verstärkung nicht allzu oft, über das mit geschäftsmäßiger Solidität ackernde, tschakernde, bimmelnde Orchester (Leitung: Lorenz C. Aichner) hörbar zu werden. Ein Premierenjubel wie damals. (Stefan Ender, 29.3.2022)