Die Grippefälle mehren sich – Doppelinfektionen sind derzeit in Österreich aber noch äußerst selten.

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Die Grippe dürfte zurück sein. In den vergangenen zwei Jahren hat sie fast komplett ausgesetzt, jetzt wird quer durch Europa und auch in Südamerika von stark steigenden Infektionszahlen mit dem H3N2-Virus berichtet. Grund für die fehlenden Infektionen war aber nicht, dass das Grippevirus auf einmal harmlos geworden ist. Vielmehr haben die Covid-19-Schutzmaßnahmen auch die Influenza an der Ausbreitung gehindert, wie Virologin Monika Redlberger-Fritz von der Med-Uni Wien, die Leiterin des Nationalen Referenzlabors für die Erfassung und Überwachung von Influenza-Virusinfektionen des Menschen in Österreich, betont.

Aktuell gibt es hohe Grippe-Infektionszahlen in den Benelux-Ländern, Frankreich, Schottland, Irland und auch einigen Nachbarländern wie Ungarn. Besonders hoch sind die Zahlen aktuell in Dänemark. Und auch in Österreich verzeichne man eine zunehmende Aktivität, berichtet Redlberger-Fritz: "Wie sehen derzeit wöchentlich mehr als eine Verdoppelung der Fälle." Aber sie gibt gleichzeitig Entwarnung: "In einer richtig epidemischen Grippewelle sind wir noch nicht drin."

Covid-Schutzmaßnahmen helfen

Das dürfte vor allem daran liegen, dass in Österreich vielerorts die Maskenpflicht (wieder) gelte, sagt Redlberger-Fritz: "Sobald wir Maske tragen, wird auch die Grippezirkulation hintangehalten. Und in vielen der Länder, die jetzt hohe Fallzahlen haben, gibt es schon länger keine Maskenpflicht mehr."

Die Covid-19-Schutzmaßnahmen bringen aber auch ein Problem mit sich: Der fehlende Kontakt mit dem Virus hat zu einer deutlichen Reduktion des breiten Immunschutzes geführt. Denn das Immunsystem muss ja regelmäßig mit einem Virus in Kontakt kommen, um den Infektionsschutz aufrechtzuerhalten.

Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erklärt: "Speziell Kinder haben jetzt ein großes Influenza-Infektionspotenzial. Sie waren, wie alle, dem Virus lange nicht ausgesetzt, und das Immunsystem hat oft noch keinen ausreichenden Grundschutz aufgebaut. Das kann man sich vorstellen wie dürres Holz, das sich im Wald ansammelt. Irgendwann entzündet es sich und wird zu einem Flächenbrand. Das hat man vergangenen Herbst auch schon bei den RS-Viren gesehen."

Impfung schützt dieses Jahr nur mäßig

Tatsächlich erwartet man schon länger eine heftigere Grippewelle, spätestens mit dem kompletten Fallen der Maßnahmen ist diese wohl unausweichlich. Trotzdem könnten die wärmeren Temperaturen und der damit einhergehende saisonale Effekt diese noch ausbremsen. Das bleibt zu hoffen, denn die Grippeimpfung dürfte das nur bedingt tun. Es scheint sogar so zu sein, dass das diesjährige Grippevakzin nur einen zehn- bis 15-prozentigen Schutz vor symptomatischer Infektion bietet – im Gegensatz zu normalerweise durchschnittlich 50 Prozent Schutz.

Denn das Grippevirus ist hochaktiv, was Mutationen anbelangt. Und der H3N2-Stamm, auf den die diesjährige Impfung abzielt, hat sich mittlerweile weiter verändert. Pharmakologe Markus Zeitlinger von der Med-Uni Wien erklärt: "Es zirkulieren immer mehrere Grippestämme, und man weiß im Vorfeld nie genau, welcher sich durchsetzen wird. Deshalb setzt man nie nur auf einen Stamm, die WHO gibt eine Empfehlung ab, gegen welche drei bis vier Stämme ein Universalvakzin entwickelt werden soll." Das scheint diesmal nur nicht sonderlich gut zu passen.

Das genau zu beurteilen ist aber schwierig, weil eben aufgrund der Covid-19- Schutzmaßnahmen bisher so wenige Fälle aufgetreten sind. Und das spricht auch nicht gegen die Impfung, wie Virologin Redlberger-Fritz betont: "Man ist nicht so gut vor Infektion geschützt, aber trotzdem vor schwerem Verlauf und Komplikationen. Über 65-Jährige etwa haben im direkten Anschluss an eine Influenza-Infektion ein hohes Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt. Davor kann die Impfung bewahren."

Doppelinfektionen potenziell gefährlich

Dazu kommt bei zunehmenden Infektionszahlen die Gefahr von Doppelinfektionen – also Covid-19 und Influenza gleichzeitig. In Österreich wurden mit Stand 28. März erst drei solche Fälle nachgewiesen, alle hatten einen recht milden Verlauf – die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen. Eine im Fachjournal "The Lancet" publizierte Studie der schottischen Edinburgh University zeigt nun, dass eine Doppelinfektion das Sterberisiko mehr als verdoppelt – konkret ist das Risiko 2,4-mal so hoch. Das Risiko einer künstlichen Beatmung ist sogar viermal so hoch – eine im Grunde logische Erkenntnis, wie Redlberger-Fritz meint: "Doch auch hier kann die Impfung das Risiko minimieren. Vor einem Jahr hätte die Situation noch ganz anders ausgesehen, weil ja erst so wenige Menschen geimpft waren."

Das alles gilt für dieses Jahr. Denn für das nächste Jahr werden die Karten vollkommen neu gemischt – aufgrund des hohen Mutationspotenzials bei Influenza. Deshalb sollte man sich dann den neuen Impfstoff holen. Die Hoffnung ist groß, dass dieser wieder ein deutlich höheres Schutzpotenzial hat. Denn normalerweise passe das Vakzin sehr gut, wie die jahrelange Erfahrung zeige, beruhigt Pharmakologe Zeitlinger. (Pia Kruckenhauser, 29.3.2022)