Archaisch, überkommen, die Vollendung der Uhrmacherkunst: Kommt die Rede auf die Minutenrepetition, sind diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Zuschreibungen nicht weit. Unbestritten ist sie ein mechanisches Miniatur-Wunderwerk, das die Zeit zum Klingen bringt.

Winzige Hämmerchen schlagen, eingebettet in einem ausgeklügelten Mechanismus, gegen unterschiedlich gestimmte Tonfedern, um diese in wohltönende Schwingungen zu versetzen. Alles auf engstem Raum. "Ding", "dingding", "ding, ding, ding" tönen die Stunden, Viertelstunden und die Minuten. Jede Uhrenmanufaktur, die etwas gelten will in diesem für Außenstehende manchmal seltsam wirkenden Kosmos der Haute Horlogerie, möchte sich damit schmücken.

Wurde ebenfalls auf der Watches & Wonders vorgestellt: die Master Hybris Artistica Calibre 945 von Jaeger-LeCoultre. Macht optisch einiges her, aber auch akustisch.
Jaeger-LeCoultre

200 bis 300 Arbeitsstunden braucht es, um diese Komplikation zusammenzubauen. Nur Meister und Meisterinnen mit jahrzehntelanger Erfahrung lässt man an die über 100 eigens konstruierten Einzelteile ran, heißt es etwa bei Patek Philippe. Jedes davon mit extrem genauen Toleranzen gefertigt.

Der geringste Fehler, schon kann man das Ding wieder zerlegen und von vorne anfangen. Kein Wunder, dass sogenannte Minute-Repeater fast ausschließlich in limitierter Stückzahl aufgelegt werden und das zu Preisen, die einem den Atem verschlagen: Eigentumswohnung oder Armbanduhr? In solchen Kategorien denkt man in den Sphären der passionierten Liebhaberei nicht.

Finstere Zeiten

Erfunden wurden Uhren mit Klang- bzw. Schlagwerk ursprünglich allerdings nicht, um Sammler zu erfreuen oder gar für den reinen Selbstzweck. "Deren Entwicklung war mehr als eine originelle Idee oder eine historische Hommage an den Glockenschlag der Kirchturmuhr", hält Ryan Schmidt fest.

Patek Philippe 5750P Advanced Research Fortissimo: Viel Aufwand für den perfekten Klang.
Time and Watches

In seiner Tätigkeit als Uhrenexperte des Auktionshauses Sotheby’s und Verfasser des Standardwerks "Armbanduhren – Funktionen, Technik, Design" hatte er schon das eine oder andere Exemplar dieses Uhrentyps in der Hand. Sie dienten Ende des 17. Jahrhunderts der Lösung eines alltäglichen Problems, der Zeitansage bei Dunkelheit.

Hier fügt sich der eingangs erwähnte Begriff "archaisch" ins Bild: Per "Knopfdruck" konnte man sich die genaue Uhrzeit akustisch angeben lassen und wusste auch in der Stockfinsternis immer, welche Stunde gerade schlägt.

Von der Taschenuhr wanderten die Schlagwerke im Laufe der Jahrhunderte in die moderne Armbanduhr und erlebten gemeinsam mit der Renaissance der mechanischen Zeitmesser ab den 1990ern ein Comeback. Angefacht durch diesen Hype brachten so wohlklingende Marken wie Blancpain, Breguet, Jaeger-LeCoultre, Vacheron-Constantin, Audemars Piguet, Patek Philippe, Cartier, A. Lange & Söhne immer ausgefeiltere Minute-Repeater auf den Markt.

Beachtliche Innovationen

H. Moser & Cie, eine der wenigen Schweizer Marken, die zur (Selbst-)Ironie fähig sind, verzichtete etwa bei der Swiss Alp Watch Concept Black komplett auf Zifferblatt und Zeiger. Man blickt auf einen schwarzen Monolithen, der die Form der Apple Watch aufnimmt, sieht nur ein Tourbillon, aber keine Uhrzeit.

Swiss Alp Watch Concept Black von H. Moser & Cie: die Zeitangabe erfolgt nur akustisch.
錶哥學良Edgar Jiang

Diese offenbart sich akustisch, sobald man einen Schieber an der Seite betätigt. Kurz: Es habe, fasst Schmidt in seinem Buch zusammen, einige beachtliche Innovationen in Sachen Repetition gegeben. Er konnte aber noch nichts von Chopards Entwicklung wissen, die dem Kapitel noch eine weitere Neuerung hinzufügt: Nicht nur das Gehäuse der L. U. C Full Strike Sapphire besteht aus Saphirglas, sondern auch die Tonfedern des Schlagwerks, die nahtlos in das Zifferblatt übergehen.

Sie ist die Krönung eines Weges, den Chopard vor 25 Jahren eingeschlagen hat, als man sich – gegen den herrschenden Zeitgeist – dazu entschloss, eigene Uhrwerke zu entwerfen und zu fertigen. "Unser Ziel war es, als vollwertiger Uhrenhersteller wahrgenommen zu werden", erklärt Karl-Friedrich Scheufele, Co-Präsident des Familienunternehmens und geistiger Vater der Chopard Manufacture.

Hommage Diabolus in Machina Minute Repeater Tourbillon Automatic von Roger Dubuis
Roger Dubuis

Nicht nur dass die Marke damit in die Riege der echten Manufakturen aufstieg, man sicherte sich damit auch die Unabhängigkeit von den wenigen Werkelieferanten in der Schweiz. Bei einem Ortstermin Anfang März im beschaulichen Fleurier stellte Scheufele die Full Strike Sapphire, von der es nur fünf Exemplare gibt, noch vor ihrer offiziellen Präsentation auf der Uhrenmesse Watches & Wonders vor.

Der Stresstest

Warum Saphirglas für Tonfedern und Gehäuse? Es seien die Homogenität und die fast an Diamant heranreichende Härte des Materials, synthetisch hergestelltes Korund, der sich positiv auf den Klang der Repetition auswirkt, wird erklärt. Schwierig sei es gewesen, das Gehäuse bzw. die Tonfedern samt Zifferblatt aus einem Block herauszuschneiden.

Das Gehäuse ist aus Saphir, die Tonfedern des Schlagwerks ebenso. Das verleiht der L. U. C Full Strike Sapphire ihren kristallklaren Sound. Vorgestellt wurde die Weltneuheit auf der Watches & Wonders in Genf.
Foto: Chopard

Das unterscheidet die Full Strike etwa von jenem Minute-Repeater von Jaeger-LeCoultre, wo man ebenfalls auf Saphirglastonfedern setzte. Nur waren die nicht aus einem Guss mit dem Zifferblatt verbunden. Man könne sich jedenfalls sicher sein, dass sich weder das Erscheinungsbild noch die Klangqualität der Uhr je verändern werden, verspricht man.

"Auch wer nichts von Uhren versteht, kann sofort hören, ob der Klang sauber ist oder nicht", meint Patek-Philippe-Präsident Thierry Stern. Und spricht damit das Paradoxon an, dass die Minutenrepetition, obwohl sie die höchste Uhrmacherkunst verkörpert, am einfachsten zu kritisieren ist.

Der richtige Klang

Dementsprechend wird viel Zeit in den richtigen Klang investiert. Bei Chopard hat man sich dafür nicht nur mit einer Technik-Hochschule in Genf zusammengetan, sondern auch mit Musikern zusammengearbeitet. Herausgekommen ist – ja doch – ein kristallklarer Sound, der von keinerlei mechanischen Nebengeräuschen gestört wird.

Die Full Strike Sapphire in Aktion
SJX Watches

Bleibt nur noch die Frage der Kondition. Also stellen wir den transparenten Zeitmesser auf 12.59 Uhr, lösen den Repetiermechanismus aus und unterziehen die Uhr damit dem ultimativen Stresstest.

Es ist die Uhrzeit, die das Werk die meiste Energie kostet: Zwölfmal muss es die Stunde schlagen, drei Doppelschläge in die Viertelstunden investieren und anschließend vierzehn Töne für die Minuten anschlagen, insgesamt 29-mal bewegen sich die Hämmerchen. Eine Aufgabe, die die Full Strike Sapphire ohne den geringsten Aussetzer meistert. (Markus Böhm, RONDO, 10.4.2022)

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