Strahlen, das von innen kommt: die erhabene Aura des Reznicek in Wien-Alsergrund nach der Renovierung und Wiedereröffnung.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es gibt Kroketten, es gibt Beuschel, Brathendl im Ganzen, handgezogenen Apfelstrudel und Mohnnudeln sowieso. Das Cordon bleu bekommt satt geknofelten Rahmgurkensalat an die Seite. Der Reznicek ist wieder da, er ist schöner denn je und besser bekocht als seit ganz langer Zeit. Solche Meldungen machen Hoffnung.

Schließlich ist das Wiener Speisehaus eine ausgestorbene Gattung, der Reznicek mit seiner prachtvollen 1960er-Schank samt Flugdach, mit der Kassettendecke aus Vintage-Resopal und der zum Atemanhalten schönen Trennwand aus geätztem Glas ist eines der prächtigsten, die zumindest als Hülle noch erhalten sind. Der Gmoakeller ist auch so ein Fall, oder der Ubl.

Die einst unantastbare Macht der Speisehausküche – mit mehrspaltiger, dicht und stets tagesfrisch geschriebener Speisekarte, mit ab 11 Uhr durchgehendem Hochbetrieb und selbstverständlicher Hingabe an den irren Arbeitsaufwand der wahrhaftigen Wiener Küche – darf man sich natürlich weder da noch dort erwarten. Mit dem Koranda auf der Wollzeile starb schon Ende der 1980er das Letzte seiner Art.

Jetzt also Wirtshaus

Nur: Jammern bringt nix. Mit dem Reznicek zeigen Julian Lechner am Herd und Simon Schubert im Saal, dass die Wiener Küche nicht nur als Geschichte eines Niedergangs erzählt werden muss. Dass sie mit Ehrerbietung, aber ohne Chichi, mit dem Wissen der Hochküche, aber ohne ihre Attitüde in die Jetztzeit geholt werden kann. In Frankreich machen sie das seit Jahren vor, da wird die bürgerliche Küche der Bistrots und Brasserien von jungen, in großen Häusern ausgebildeten Talenten als Bistronomie neu erfunden.

Julian Lechner kommt aus der immer dichter werdenden Riege bemerkenswerter junger Köche, die Markus Mraz geformt hat und die der Wiener Szene jetzt ordentlich einheizen. Zuletzt kochte er das Café Kandl zur It-Adresse kunst- und weinaffiner Junghupfer hoch. Simon Schubert kennt er aus gemeinsamen Mraz-Zeiten, der war zuletzt Sommelier im Aend. Jetzt also Wirtshaus, aber mit Zeitgenossenschaft.

Das kann auch das Ausgraben vergessener Standards sein. Kroketten aus Selleriepüree etwa, mit schlüpfrig cremiger Fülle, wie gemacht für die ersten Gläser an der Budel oder das Zur-Brust-Nehmen der eminenten Weinkarte. Oder Lauchterrine, mandalamäßig geschichtet, mit einer Creme aus gerösteten Haselnüssen, Grapefruitfilets und gehackten Nüssen – was für eine köstliche Art, dem Winter tschau zu sagen.

Luxus Leberstreich

Lammbeuschel ist überhaupt der Wahnsinn.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Saiblingsleber (von Heinisch in Schwarzau/Gebirge) mixt Lechner zu einem Aufstrich, mit ordentlich geröstetem Kümmel, mit Chinakohl und sautierter Saiblingsleber obenauf und so wahnsinnig gut, so urwienerisch nobel im Geschmacksbild, dass es einem schon ganz am Anfang fast die Kette aushängt.

Lachsforellentartare wird zu großen Happen geschnitten, die Estragon-Buttermilchvinaigrette fährt mit ideal saurem Biss dazwischen, obendrauf sorgt nach Gari-Manier marinierter Rhabarber farblich und geschmacklich für noch mehr Fokus.

Lammbeuschel (siehe Bild) ist dann überhaupt der Wahnsinn, ohne Obers, aber mit vielschichtig surrenden Aromen, ein Supperl voll Herrlichkeit und mit einem Schmalzkrapfen aus Brandteig an der Seite, der noch einmal so gut ist. An der endgültigen Version des Cordon bleu wird noch gefeilt, der junge Sutterlüthy-Bergkäse unter der Panier samt dünner Fleisch- und dicker Schinkenschicht schmilzt aber schon zu endgeiler Creme.

Schubert hat zu all dem echte Schätze im Keller, vieles aus langjähriger, für exakt diesen Moment des eigenen Lokals zusammengetragener Sammlung. Reservierung ist unerlässlich, Schanigarten wird aber schon rausgetragen. (Severin Corti, RONDO, 1.4.2022)

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