Die Atomanlagen von Tschernobyl geben weiterhin Anlass zu Besorgnis.

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Auch nach mehr als vier Wochen des Krieges in der Ukraine bleibt das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl ein Quell der Besorgnis. Zwar dürften die durch Beschuss ausgelösten Brände in der radioaktiv verseuchten Sperrzone mittlerweile allesamt wieder gelöscht sein.

Seit Wochen erhält die Internationale Atomenergiebehörde IAEA jedoch keine Daten mehr aus dem havarierten AKW. Zwar konnten 106 von 119 Mitarbeitern, die seit dem russischen Einmarsch den Betrieb in Tschernobyl ohne Pause aufrechtzuerhalten versuchten, zuletzt das Gelände verlassen und zum Teil ersetzt werden.

Doch auch diese neue Schicht von 46 Angestellten, die sich freiwillig gemeldet hatten, dauert nun besorgniserregend lange, warnte die IAEA am Sonntag. In Friedenszeiten wechselten sich die Schichten alle zwölf Stunden ab.

Dramatische Zustände

Mykola Pobiedin, der in einer der Anlagen für die Überwachung der verbrauchten Brennstäbe verantwortlich ist, berichtete nach seiner Rückkehr in die Tschernobyl-Arbeiterstadt Slawutytsch von den dramatischen Zuständen während des erzwungenen Aufenthalts der Belegschaft. Er warnt in einem Interview vor einer nuklearen Katastrophe, da weder Qualität noch Menge des demineralisierten Kühlwassers der gelagerten Brennelemente kontrolliert werden könnten. Niemand wisse, ob mittlerweile Lecks in den Kanistern aufgetreten seien. Würden die Brennstäbe freigelegt, drohe eine nukleare Explosion, warnt der ehemalige Liquidator Pobiedin. Das jetzige Personal könne lediglich kleinere Reparaturen durchführen.

Während am Wochenende berichtet wurde, dass russische Truppen nach Gefechten Slawutytsch kontrollieren würden, erklärte der Bürgermeister der Stadt, Juri Fomitschew, am Montag, dass die Russen die Stadt wieder verlassen hätten. Er kooperiere nicht mit den Besatzern, erklärte Fomitschew.

Labor geplündert

Zuletzt berichtete das wissenschaftliche Fachmagazin Science zudem, dass ein Labor zur Strahlenüberwachung bei Tschernobyl geplündert wurde. Anatolii Nosovskyi, der Direktor des Kiewer Instituts für Sicherheitsprobleme von Kernkraftwerken (ISPNPP), erklärte, dass radioaktive Substanzen entwendet wurden, die zur Kalibrierung von Instrumenten verwendet wurden. Die Substanzen könnten für sogenannte "schmutzige Bomben" verwendet werden und große Gebiete verseuchen. Zu einem weiteren Labor ist Nosovskyi zufolge der Kontakt abgerissen. Hier befinden sich Quellen für Gamma- und Neutronenstrahlung, über deren Verbleib sich keine Aussagen treffen lassen. (Michael Vosatka, 28.3.2022)