Rechtsextreme im Bundesheer sind laut Verteidigungsministerin Klaudia Tanner "Einzelfälle".

Foto: Bundesheer/Karlovits

Noch vergangenen Sommer erklärte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in der deutschen Tageszeitung "Die Welt", Rekruten des österreichische Bundesheeres würden verpflichtet, die Holocaust-Gedenkstätte in Mauthausen zu besuchen. Ziel sei, "die Geschichte besser verstehen zu lernen". Auch im österreichischen Bundesheer hätte es Einzelfälle rechtsextremer Soldaten gegeben, aber "keine Häufung von rechten Umtrieben innerhalb bestimmter Einheiten" wie in Deutschland, so Tanner. Dass solche Besuche nicht bei allen Rekruten das Verständnis für die Geschichte fördern, zeigt ein aktueller Fall.

Seit wenigen Wochen ist das Bundesheer um einen rechtsextremen Einzelfall reicher: Mutmaßlich Manuel S. postete antisemitische Parolen mit martialischen Bildern seiner Bundesheereinheit. Der 20-jährige Mann aus Graz ist Grundwehrdiener, wie Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, auf Anfrage des STANDARD bestätigt.

"Könnte Attentat planen"

Was war passiert? Anfang 2021 wurde Philip H. in Kärnten verhaftet. Er soll hinter dem Neonazi-Rapper Mr. Bond stecken, der in seinen Liedern Rechtsterroristen huldigte und zu Gewalt gegen Juden, Homosexuellen und Moslems aufrief. Diesen Dienstag soll er in Wien wegen NS-Wiederbetätigung und Aufforderung zu Straftaten vor Gericht stehen. Dem Verfassungsschutz zufolge ist H. besonders gefährlich, weil "er selbst ein Attentat planen könnte oder andere mit seinen Liedern dazu animieren, Anschläge zu begehen". Wenig verwunderlich, denn das letzte Lied widmete der Neonazi-Rapper dem Attentäter im neuseeländischen Christchurch. Im März 2019 erschoss dort ein Rechtsextremist in zwei islamischen Gebetshäusern 51 Menschen.

Indes formierten sich auf extrem rechten Online-Kanälen Sympathisantinnen und Sympathisanten, die den inhaftierten Rapper nicht nur finanziell, sondern auch ideologisch unterstützen wollen. Seine Fanszene rekrutiert sich aus Hardcore-Neonazis. Zentral agieren US-Aktivisten im Chat, aber auch User aus Estland, Australien, Skandinavien, der Schweiz. Und dann noch eine Handvoll User aus Deutschland und Österreich.

Rechtsextreme Chatgruppen

Darunter wohl auch der Grazer Grundwehrdiener. Manuel S. ist Fan des Rappers MoneyBoy und sonst vor allem an Fußball und Alkoholexzessen interessiert, wie ein Blick in seine Social-Media-Accounts verrät. Schon einen Tag nach Erstellung des Telegram-Kanals im Mai 2021 kommentiert auch er die Geschehnisse um den Inhaftierten Rapper Mr.Bond im Chat: "Ein Urteil kann wegen der Bürokratie in Österreich locker bis nächstes Jahr dauern." Der neonazistische Charakter des Chats ist nicht zu verkennen: "Ein Massengrab voller Juden ist ein Spielplatz für uns Weiße", schreibt ein User aus Finnland. Einem Mann aus den USA, der das "Führerland" besuchen will meldet S. gleich zurück: "Melde dich, wenn du in Österreich bist." Ein anderer User schreibt: "Stellt euch vor, es hätte den Holocaust wirklich gegeben. Wie toll wäre das denn?" Indes steigt Manuel S. zum Übersetzer im Chat auf, hilft mutmaßlich bei schriftlichen Anfragen der Unterstützer aus den USA an das Gefängnis in Wien. Er verbreitet die Postadresse des Inhaftierten Philip H. unter Neonazis, sodass dieser Post von Gleichgesinnten in Haft bekommt.

Monatelang machen Hassnachrichten gegen Juden im Chat die Runde. Dokumente des Holocaust-Leugners David Irving werden genauso gepostet wie Hitler-Reden. Manuel S. ist mit dem Usernamen "Vierzehn" unterwegs – in Neonazi-Kreisen ein Code für die rassistischen "14 words": "Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern." Weiters Holocaust-Witze, Morddrohungen gegen Homosexuelle und Textpassagen aus Mr. Bonds Liedern: "Sie [die Juden] hör’n nicht auf, solang wir sie nicht alle auslöschen."

DÖW attestiert Antisemitismus

Auch Bianca Kämpf vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) liegen Screenshots der Chatgruppe vor. "Ideologisch zu einen scheint die Mitglieder der Telegram-Gruppe nicht nur ihre teils sehr offenkundige Affirmation von NS-Gedankengut, sondern vor allem ihr Antisemitismus", so die Rechtsextremismus-Expertin. Die Covid-Impfung sei laut dem Kanal "jüdisches Gift", Österreich ein "Judenstaat", bis nicht zuletzt "ausformulierte Vernichtungsfantasien und -forderungen" sagt Kämpf gegenüber dem STANDARD.

Im Winter meldet sich dann der User zurück, hinter dem mutmaßlich Manuel S. steckt, mit einem Foto. Darauf zu sehen: ein Mann in schweren Stiefel vor einer verschneiten Berglandschaft. Er trägt einen weißen Anzug, einen Winter-Tarnanzug des österreichischen Bundesheeres. Daneben ein Panzerfahrzeug. Zahlreiche Hakenkreuz-Postings und Hass-Nachrichten später meldet sich der User erneut. Wieder mit einem Foto einer Winterlandschaft. Diesmal am Bild, zwei Panzerfahrzeuge und sieben Soldaten in Formation, mit Gewehren im Anschlag. Dazwischen eine Österreichflagge. "Vierzehn" kommentiert das Foto: "Austria will never fall". Es stößt auf Zustimmung, das martialische Auftreten der Soldaten gefällt dem versammelten Neonazi-Publikum auf Telegram. Wenig später postet der mutmaßliche S. ein drittes Bild mit englischsprachigem Kommentar darunter. Grammatikalisch etwas uneindeutig, jedoch mit einer offensichtlichen Kernmessage: "Juden" und "Vernichtung". Noch unmissverständlicher der angeschlossene Hashtag: "#nojews" – #judenfrei. Heute ist klar, dass die Fotos von einer Bundesheer-Übung auf der Seetaler Alpe in der Steiermark stammen.

Disziplinarverfahren eingeleitet

Dem Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer, zufolge wurde nach der Anfrage vom STANDARD ein Disziplinarverfahren gegen den Mann eingeleitet, das mittlerweile "rechtskräftig abgeschlossen" ist, und "die notwendigen strafrechtlichen Schritte" würden eingeleitet. Da Disziplinarverfahren aber der Verschwiegenheit unterliegen, könne Bauer nichts über die Konsequenzen für den Grundwehrdiener sagen. Er kann nicht preisgeben, ob dem Bundesheer die rechtsextreme Gesinnung des Soldaten bekannt war oder ob er mit den vorliegenden Postings konfrontiert wurde.

Einzig lässt er wissen: "Das Bundesheer duldet nicht im Geringsten antisemitische bzw. rechtsextreme Äußerungen und Tätigkeiten." Was das aber im konkreten Fall bedeutet, bleibt völlig offen. Dementsprechend schwierig fällt eine Einordnung des Umgangs des Bundesheers mit seinen "Einzelfällen" aus. Zumindest über ihr Ausmaß gibt eine Parlamentarische Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz aus dem Jahr 2020 Auskunft. Im Zeitraum von 2017 bis 2019 wurden "zwölf Soldaten wegen rechtsextremer Handlungen disziplinär verfolgt und strafrechtlich angezeigt", so Verteidigungsministerin Klaudia Tanner in ihrer Beantwortung. Ein Update liefert Bundesheer-Sprecher Michael Bauer: "In den Jahren 2020 und 2021 wurden fünf Soldaten wegen des Verdachtes rechtsextremer Handlungen disziplinär verfolgt und/oder strafrechtlich angezeigt."

Mit dem Grazer Rekruten ist die Statistik des Bundesheeres jedenfalls um einen weiteren Einzelfall reicher. Welche Konsequenzen die antisemitischen Vorfälle aber haben werden, bleibt das Geheimnis des Verteidigungsministeriums. Der Grundwehrdiener selbst, Manuel S., hat auf Anfragen des STANDARD nicht reagiert. Der User "Vierzehn" ist jedoch nach den Anfragen aus besagten Neonazi-Kanälen spurlos verschwunden. (Christof Mackinger, 28.3.2022)