Bei der Ärztekammerwahl in Wien vor einer Woche wurden 6853 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf die erstmals antretende Liste der ärztlichen Impfgegner und Corona-Leugner MFG 425 Stimmen, also 6,2 Prozent.

Man greift sich an den Kopf. Die MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) bezeichnet Corona als "Schnupfen-Pandemie" und tritt gegen Maskentragen auf. In ihren Reihen finden sich "Impfskeptiker" und ausgesprochene Impfgegner, sie ist auf alle Fälle gegen die Impfpflicht.

Dass solche "Querdenker" in der allgemeinen Bevölkerung relativ stark vertreten sind, nimmt man inzwischen wohl oder übel zur Kenntnis. Aber über 400 Ärztinnen und Ärzte allein in Wien wählen einen absolut irrationalen, wissenschaftlich durch nichts belegten Unsinn? Wobei die MFG-Liste unter den niedergelassenen Allgemeinmedizinern mit rund 13 Prozent oder 118 Personen besonders stark vertreten ist.

Eine Erklärung wäre, dass, wertfrei genommen, an der Amtsführung des bisherigen Ärztekammerpräsidenten Thomas Szekeres von manchen Gruppen scharfe Kritik geübt wurde und es sich eben um Proteststimmen handelt. Dagegen spricht, dass die eher sozialdemokratisch orientierte Liste von Szekeres an Stimmen zugelegt hat (er verlor seine Koalitionspartner, die Grünen, und deshalb wird jetzt der eher ÖVP-nahe Johannes Steinhart Präsident). Aber um MFG zu wählen, musste man auch den Listenführer, den Gynäkologen Christian Fiala, wählen, der die Corona-Impfung "programmierte Autoimmunzerstörung der Zellen" nennt und "aufgrund seiner Tätigkeit in Uganda" überzeugt ist, dass Aids und das HI-Virus nichts mit einander zu tun haben.

Kopfschütteln

Die tiefe Medizin- und Wissenschaftsskepsis, die besonders in Österreich anlässlich von Corona wieder zutage getreten ist, hat also auch die medizinische Profession erreicht. Das Thema wird übrigens ausführlich in dem neuen Buch Die Medizin und ihre Feinde (Ueberreuter) von Herbert Lackner und Christoph Zielinski behandelt. Lackner, früherer Profil-Chefredakteur, und Zielinski, ein bekannter Onkologe, arbeiten Medizinfeindschaft, Aberglauben und brandgefährlichen Glauben an den eigenen "Hausverstand" geschichtlich (seit den Hexenverbrennungen, Pockenimpfgegnern) und wissenschaftstheoretisch auf.

Bis in die Neuzeit herauf wurde jeder medizinische Fortschritt auch mit Verschwörungstheorien und wütendem Widerstand begrüßt. Wer sich noch an die Tragödien erinnert, die es mit Volksschulfreunden gab, die von Polio (Kinderlähmung) befallen waren, liest die Passagen über den Impfwiderstand mit Kopfschütteln. Heute gibt es Polio fast nur noch in Afghanistan.

Zielinski geht in dem Buch auch auf die Impfskeptiker unter den Ärzten und Ärztinnen ein und hält fest, dass es viele Untergruppen gibt, von denen beileibe nicht alle die internationale wissenschaftliche Diskussion ständig verfolgen (können) – was auch in Ordnung sei, solange man nicht einem "wissenschaftlich anmutenden Populismus verfällt". Letztlich wird man aber das Gefühl nicht los, dass die in Österreich besonders hohe Wissenschaftsskepsis und Neigung zu allerlei "Naturheilmethoden" und Quacksalbereien auch auf Teile des Ärztestandes abgefärbt hat. (Hans Rauscher, 30.3.2022)