Am MPreis-Hauptsitz in Völs wurde die Wasserstoff-Produktionsanlage (im Vordergrund) errichtet.

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Völs – Am Ende eines unscheinbaren Schotterweges in Völs wird an der grünen Mobilitätslösung für die Zukunft getüftelt. Tirols Lebensmittelhändler MPreis hat hier im Rahmen des EU-Projektes "Demo4Grid" die größte Single-Stack-Elektrolyseanlage Europas errichtet. Hinter dem komplizierten Namen verbirgt sich eine Produktionsanlage für Wasserstoff. Sie soll einerseits helfen, Stromschwankungen im österreichischen Netz abzufedern. Andererseits gilt Wasserstoff als vielversprechende Antriebsalternative für den Schwerverkehr und kann Erdgas beim Befeuern der Backöfen ersetzen. Aus den Schornsteinen und Auspuffrohren wird dann nur mehr Wasserdampf kommen. Das Familienunternehmen MPreis hat sich unter Federführung des Projektleiters Ewald Perwög dem Thema verschrieben und will damit Vorreiter sowie Vorbild für andere Mittelständler werden.

Der selbst produzierte, grüne Wasserstoff dient zur Stabilisierung des Stromnetzes, zum Beheizen der Backöfen sowie als Antrieb für die Lkw-Flotte.
Foto: MPREIS / Atelier für Zeitreisen

Insgesamt 13 Millionen Euro, die Hälfte davon stammt aus Fördermitteln, wurden in die Tiroler Anlage investiert. Schon seit 2016 laufen die Forschungen, die nun Ergebnisse in Form der hauseigenen Produktionsanlage für grünen Wasserstoff zeitigten. Herzstück ist der 3,2 Megawatt Druck-Alkali-Elektrolyseur, den die Firma Sunfire aus Dresden hergestellt hat. "Er stellt eine Weiterentwicklung unserer bisherigen Elektrolyseure dar, die wir bereits weltweit im Einsatz haben", erklärt dazu Sunfire CEO Nils Aldag. Dank eines Betriebsdrucks von bis zu 30 Bar sei er besonders gut für industrielle Anwendungen geeignet.

Wasser und Strom

Der Elektrolyseur, der optisch einer gewaltigen Metallspule gleicht, befindet sich in einem abgetrennten Gebäudeteil. Wenn er in Betrieb ist, darf diese Halle aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden. Daher erklärt Projektleiter Perwög durch ein Sichtfenster die Funktionsweise: "Wasser wird durch den Einsatz elektrischer Energie in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt." Der dabei gewonnene Sauerstoff wird über Rohrleitungen zurück an die Atmosphäre abgegeben. Der Wasserstoff wird wiederum unter Druck in riesigen Tanks gelagert, um dann als Brenn- oder Treibstoff eingesetzt zu werden.

Die Wasserstoff-Produktion ist energieintensiv. Für die Herstellung von einem Kilogramm benötigen moderne Elektrolyseure rund 50 kWh elektrische Energie. Der Wirkungsgrad solcher Anlagen liegt bei rund 70 Prozent. "Wir haben ihn auf 90 Prozent gesteigert, indem wir die Abwärme, die bei der Produktion entsteht, dazu nutzen, um Warmwasser für die benachbarten Produktionsbetriebe wie die Bäckerei oder die Fleischverarbeitung zu liefern", erklärt Perwög das Konzept.

Grauer und grüner Wasserstoff

Der Strom, den MPreis zur Wasserstoff-Produktion nutzt, kommt von Tirols landeseigenem Energieversorger Tiwag und stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen. Daher trägt er das Label "grün". Würde Strom aus nicht erneuerbaren Energiequellen benutzt, wäre das billiger, aber der produzierte Wasserstoff würde als "grau" gelten. Das Wasser, das im Elektrolyseur in seine Bestandteile aufgespalten wird, ist Grundwasser aus Völs. "Wir nutzen dafür die oberste Grundwasserschicht, die durch die Landwirtschaft stark mit Nitraten belastet ist. Das Wasser wird vorab deionisiert", erklärt Perwög. Man wollte unbedingt vermeiden, Trinkwasser für die Produktion zu verbrauchen.

"Unser selbst erzeugter, grüner Wasserstoff wird in einem ersten Schritt zum Ausgleich von Stromschwankungen im österreichischen Stromnetz beitragen", erklären MPreis-Geschäftsführer Peter Paul und David Mölk. Das heißt, wenn am Strommarkt Überschüsse aus erneuerbaren Energiequellen auftreten – etwa an Sonnentagen oder wenn Windräder auf Hochtouren laufen –, nutzt MPreis diesen Strom aus erneuerbaren Quellen zur Wasserstoffproduktion. So kann diese überschüssige Energie in den Drucktanks für eine spätere Nutzung gespeichert werden.

Die hauseigene Wasserstofftankstelle für Lkws – die erste und leistungsstärkste ihrer Art in Österreich – befindet sich noch in Bau.
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Im nächsten Schritt wird das Familienunternehmen den selbst produzierten grünen Wasserstoff zur Decarbonisierung der hauseigenen Großbäckerei einsetzen. Die Backöfen werden, statt wie bisher mit Erdgas, mit Wasserstoff geheizt. Notfalls – sollte es zu einem Produktionsausfall kommen – kann auch wieder auf Erdgas umgeschaltet werden. Der größte Schritt erfolgt dann ab Mai 2022. Dann will MPreis damit beginnen, seine gesamte Lkw-Flotte, die rund 50 Schwerfahrzeuge umfasst, bis 2027 sukzessive auf Wasserstoffantrieb umzurüsten. Damit sollen mehr als zwei Millionen Liter Diesel pro Jahr eingespart werden.

Erste Lkws kommen im Mai

Dazu ist das Tiroler Unternehmen eine Kooperation mit dem US-Hersteller Hyzon eingegangen, einem der bisher wenigen Anbieter Wasserstoff-betriebener Lkws. Im Mai werden die ersten Fahrzeuge angeliefert. Die Tankstelle, an der sie künftig mit Wasserstoff befüllt werden, befindet sich noch in Bau. Es wird die zweite und leistungsfähigste ihrer Art in Österreich. Anders als Wasserstoff-betriebene Lkws benötigen Pkws ungleich höheren Druck zum Betanken. Daher sind für sie jeweils eigene Tankstellen nötig.

Projektleiter Ewald Perwög ist stolz auf Europas größte Single-Stack-Elektrolyseanlage. Das Foto entstand, bevor die Anlage in Betrieb gegangen ist.
Foto: MPREIS / Pro.media

In Völs, in unmittelbarer Nähe der Produktionsanlage, wird die zentrale Tankstelle entstehen. Denn die gesamte Flotte des Unternehmens kehrt täglich hierher zurück. Darüber hinaus plant MPreis mittels Trailer mobile Tankstellen zu realisieren, damit auch dezentral Wasserstoff zur Verfügung steht, sollte es nötig sein. "Eine Tankfüllung reicht für rund 500 Kilometer Strecke, im Winter etwas weniger", sagt Perwög. Damit seien gut 80 Prozent aller Touren, die täglich zu absolvieren sind, abdeckbar. Zum Vergleich: Ein Diesel-Lkw fährt mit einer Tankfüllung rund 1.000 Kilometer weit.

Neben der Abgasreduktion haben Wasserstoff-Lkws den Vorteil, dass sie bis zu einer Geschwindigkeit von 15 km/h praktisch geräuschlos fahren. "Das ist gerade beim Beliefern der Märkte in Siedlungsgebieten oder Ortszentren am frühen Morgen ein sehr positiver Nebeneffekt", sagt Projektleiter Perwög. Während der Wasserstoff-Pionier den Einsatz bei Schwerfahrzeugen für die zukunftsträchtigste Lösung hält, sieht er bei Pkws weiter die Elektrotechnologie im Vorteil. "Es macht keinen Sinn, die Technologien gegeneinander auszuspielen. Beide sind in ihrem Segment Teil der Lösung", ist Perwög überzeugt.

Realisten, die Klimakrise adressieren wollen

Als Idealisten sehen sich die Projektbetreiber aus Tirol aber nicht. "Wir sind Realisten. Die Klimakatastrophe ist Realität, die uns alle betrifft, und wir müssen uns mit Lösungen auseinandersetzen", erklärt Perwög die Motivation. Wirtschaftlich sei der Versuch nicht, weil Diesel dank großzügiger staatlicher Subventionierung nach wie vor billiger ist. Dennoch will man bei MPreis mittel- bis langfristig denken und andere mittelständische Unternehmen davon überzeugen, ebenfalls auf Wasserstoff zu setzen. Dazu wurde eigens ein Spin-off namens "Juve Automotion" in Kooperation mit dem lokalen Kfz-Unternehmen Auer gegründet.

Hintergrund des Spin-offs ist, dass Wasserstoff-Lkws eigene Werkstätten benötigen, die über spezielle Lüftungsanlagen verfügen. Natürlich wird bei Juve – der Name leitet sich von Jules Verne ab – die eigene Flotte künftig gewartet. Aber die Werkstätten sollen auch anderen, die auf die neue Technologie setzen, dienen. Denn ein großes Hindernis bei der Umstellung auf Wasserstoff ist die fehlende Infrastruktur. Die Lkw-Tankstelle in Völs wird erst die zweite in ganz Österreich sein. Nur die Wiener Linien, die einen Wasserstoff-Bus testen, verfügen über eine Tankstelle, die Schwerfahrzeuge mit Wasserstoff befüllen kann.

Das führt zur absurden Situation, dass die ersten Hyzon-Lkw,s die Anfang Mai für Tirol in Wien angeliefert werden, in Wien betankt werden. Mit dieser Füllung kommen sie ungefähr bis Salzburg, wo sie dann wieder auf Diesel-Lkws verladen werden müssen, um sie weiter nach Tirol zu transportieren. Im eigenen Bundesland will MPreis in Kooperation mit der Tiwag, der Tigas sowie den Zillertaler Verkehrsbetrieben, die ebenfalls auf Wasserstoff umrüsten wollen, den Grundstein für eine grüne Wasserstoffwirtschaft legen. (Steffen Arora, 30.3.2022)