Stehen Gewitter und Starkregen bevor? Daten aus den Navigationschips von Smartphones sollen künftig helfen, lokale Extremwetterereignisse besser vorherzusagen.

Foto: Imago / Jan Eifert

Um Wettervorhersagen genauer zu machen, braucht es neben präzisen Modellierungen vor allem ein engmaschiges Netz an Datenquellen. Forschende haben sich im Lauf der Zeit eine ganze Reihe von Methoden einfallen lassen, um die Vorgänge in der Atmosphäre möglichst gut zu vermessen – von Wetterstationen und -ballonen über Satellitenaufnahmen bis hin zur Analyse spezieller radioaktiver Isotope. Gleichzeitig werden seit geraumer Zeit auch Beobachtungen von Laien in einer meteorologisch interessierten Community geteilt – Aktivitäten, die heute mit dem Label Citizen Science versehen sind.

Benedikt Soja von der ETH Zürich und Linda See vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg nahe Wien arbeiten mit ihren Teams daran, den vorhandenen Methoden der Datengewinnung eine neue hinzuzufügen, die einen komplexen technologischen Ansatz mit dem Prinzip von Citizen Science verbindet.

Nutzer sollen dabei per Smartphone-App Satellitennavigationsdaten sammeln und der Forschung zur Verfügung stellen. Nach einer aufwendigen Auswertung sollen sie hoch aufgelöste Informationen über den Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre preisgeben und in die Wettervorhersage einfließen. Zusätzlich können die Daten auch noch Auskunft über den Sonnenwind geben, also über jene hochenergetische Strahlung der Sonne, die die Kommunikationsinfrastruktur beeinträchtigen und sogar Satelliten zerstören kann.

Datensammeln beim Garteln

Im Moment können lediglich Nutzer von Android-Smartphones bei der im März gestarteten, viermonatigen Citizen-Science-Kampagne mitmachen. "An der Crowdsourcing-Kampagne teilzunehmen ist sehr einfach", betont Benedikt Soja, der eine Geodäsie-Forschungsgruppe an der ETH leitet.

"Man muss die App Camaliot downloaden und ihr erlauben, Standortdaten zu verarbeiten. Dann startet man die Anwendung und lässt sie zumindest eine halbe Stunde im Hintergrund laufen. Idealerweise ist man dabei draußen, eher stationär und hat freie Sicht auf ein möglichst großes Stück Himmel." Gartenarbeit eignet sich also perfekt, um dabei der Atmosphärenforschung zu helfen.

Eine Apple-Variante der App ist derzeit leider nicht in Sicht, da hier das Betriebssystem die Satellitennavigationsrohdaten – zumindest noch – nicht zugänglich macht, bedauert Linda See vom IIASA, die auf Citizen Science spezialisiert ist und für die Entwicklung der App verantwortlich war. Die gesammelten Daten würden nur auf europäischen Servern gespeichert und streng anonymisiert ausgewertet.

Laufzeit des Signals

Die weitere Verarbeitung der Daten fokussiert auf eine präzise Analyse der Laufzeit des Signals vom Satelliten zum Smartphone – also jene Zeitspanne, aus der die Entfernung zwischen Satelliten und Standort abgeleitet wird, um die eigene Position zu bestimmen. "Das Signal wird durch den Wasserdampf in der unteren sowie durch von der Sonnenstrahlung ionisiertes Gas in der oberen Atmosphäre gestört", sagt Soja. "Dadurch entstehen kleinste Verzögerungen, die die Positionsbestimmung ungenauer machen."

Es ist allerdings nicht so einfach zu erkennen, welcher Anteil an einem ungenauen Signal auf die Atmosphärenbedingungen zurückzuführen ist. Immerhin gilt es auch eine Reihe weiterer Faktoren zu berücksichtigen, die die Laufzeit beeinflussen – etwa die ungenaue Zeitmessung in den Navigationschips der Handys, die ihre Zeit mit dem Satellitenzeitstempel im Signal abgleichen, oder auch Fehler bei der Positionierung, die daraus resultieren, dass gerade nur eine geringe Anzahl an Satellitensignalen empfangbar ist.

Bestimmung der Fehlerquellen

"Alle diese störenden Einflüsse muss man abschätzen und korrigieren", sagt Soja. "Bei der Bestimmung der Fehlerquellen in der Atmosphäre ist relevant, aus welcher Richtung ein Signal kommt und wie lange der Weg durch die Atmosphäre war." Durch diese geometrischen Abhängigkeiten können Störungen besser zugeordnet werden. Die Auswertung nutzt dabei Daten aller verfügbaren Navigationssatellitensysteme – vom US-amerikanischen GPS, dem russischen Glonass, von Europas Galileo sowie den Pendants aus China, Indien und Japan.

Vergleiche man die Signale, die aus verschiedenen Richtungen kommen, könne man erkennen, dass sie bei der Positionsbestimmung nicht immer gut übereinstimmen. "Also beziehen wir ein Atmosphärenmodell mit ein, um der dafür verantwortlichen, zusätzlichen Fehlerquelle habhaft zu werden", skizziert Soja das Auswertungsprinzip, das es ermöglicht, die in der Atmosphäre vorhandene Wassermenge abzuleiten.

Bei jenen Abweichungen, die durch die vom Sonnenwind ionisierte Schicht der Atmosphäre entstehen, gestaltet sich die Auswertung etwas einfacher. Hier sind die resultierenden Abweichungen frequenzabhängig. Teil der Analyse ist es also, Signale mit verschiedenen Wellenlängen zu vergleichen, um so andere Störungsquellen auszuschließen. Neue Smartphone-Generationen verfügen über Chips, die mehrere Frequenzen gleichzeitig empfangen können. "Sie erlauben nicht nur eine genauere Positionsbestimmung, sondern auch diese Art der frequenzbezogenen Auswertung", erklärt See.

Machine-Learning-Analyse

Um jene Strukturen und Verbindungen in den Daten zu finden, die auf Luftfeuchtigkeit oder Solarwind verweisen, nutzen die Forschenden Machine-Learning-Algorithmen. "Das Ziel ist auch, diese Modelle dank der Handydaten weiterzuverbessern und genauer zu machen", sagt Soja. Nach vier Monaten soll ein erstes Resümee gezogen und geprüft werden, ob der Ansatz die erwarteten Ergebnisse bringt.

Aufbereitet für die meteorologischen Vorhersagemodelle, sollen die Daten schließlich etwa die Prognose kleinräumiger Extremereignisse wie Gewitter oder Starkregen verbessern. Gleichzeitig eignen sich die Daten besonders für ein sogenanntes Nowcasting, also sehr kurzfristige und genaue Vorhersagen, hebt See hervor. Die Daten könnten etwa helfen, ein Warnsystem aufzubauen, das vor bevorstehenden Unwettern warnt. Gleichzeitig wünscht sich die Citizen-Science-Expertin, dass sich – ähnlich wie bei den Wetterbeobachtern – auch hier eine Community bildet, die sich für das Sammeln und die Auswertung der Daten interessiert. (Alois Pumhösel, 4.4.2022)