Dem reitenden Gott mit Keule, der besonders häufig im Umfeld der antiken Stadt Kibyra anzutreffen ist, widmet sich der Archäologe Oliver Hülden im Gastblog.

Wer an antike Gottheiten und Kulte denkt, hat zumeist die großen städtischen Tempel samt ihren Kultbildern vor Augen. Diese Heiligtümer mit ihren Kunstschätzen prägen weithin unser Bild antiker Religiosität, und sie waren und sind nach wie vor ein vorrangiger Gegenstand archäologischer Forschungen. Darüber wird oftmals vergessen, dass damals in jedem privaten Haushalt alltägliche religiöse Riten vollzogen wurden und dass weite Teile der antiken Bevölkerung auf dem Land lebten. Entsprechend zahlreich waren insofern die Verehrungsorte für Göttinnen und Götter im ländlichen Raum, und entsprechend vielfältig war auch ihr Erscheinungsbild.

Im Verlauf von Feldforschungen, die ich gemeinsam mit dem Althistoriker Thomas Corsten von der Universität Wien im Umland der antiken Stadt Kibyra durchgeführt habe, konnten wir eine ganze Reihe solcher Kultorte sowohl archäologisch als auch durch Inschriften nachweisen. Das Ergebnis ist ein breites Spektrum an verehrten einheimischen wie griechisch-römischen Gottheiten und an unterschiedlichen Gestaltungsformen. Felsreliefs eines Reitergottes bilden darunter eine besonders auffällige Gruppe.

Blick über den Felsen mit den Reliefs des reitenden Herakles über die Umgebung bei Yuvalak.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt

Ein Fels und der reitende Herakles

Nahe dem türkischen Dorf Yuvalak überragt eine längliche, weithin sichtbare Felskuppe eine kleine Hochebene. Was auf den ersten Blick wie eine natürliche Landmarke aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein von Menschen gestalteter "heiliger Ort". So ist die fast senkrechte Südwestseite des Felsens mit über 80 Reliefs geradezu übersät. Diese zeigen in wiederkehrender Weise einen auf einem Pferd nach rechts reitenden Mann, der in der erhobenen rechten Hand eine Keule emporstreckt.

In einigen Fällen sind unter den Relieffeldern griechische Weihinschriften eingemeißelt. Sie offenbaren den Hintergrund der Darstellungen und lassen eine überraschende Identifizierung des Reiters zu: Es handelt sich um Herakles, der hier, oftmals als Folge eines Gelübdes, eine Weihung als Gott erfuhr. Ungewöhnlich ist das deshalb, weil Herakles in der griechisch-römischen Welt zwar mit der Keule, aber nie auf einem Pferd sitzend dargestellt ist.

Reliefs des reitenden Herakles am Felsen von Yuvalak.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt

Vereinzelte Darstellungen des "normalen" Herakles, nicht nur mit der Keule, sondern auch mit dem Löwenfell, existieren ebenfalls in der Region. In der Nekropole einer Siedlung, die sich vielleicht zu einer Stadt entwickeln sollte und mit einem aus Inschriften bekannten Hadrianopolis zu identifizieren ist, findet sich sogar ein Sarkophag aus Kalkstein, der die zwölf Taten des Herakles zeigte.

Der griechisch-römische Gott und sein lokales Pendant

Mit dem reitenden Herakles muss es aber etwas anderes auf sich haben, und tatsächlich existieren Reiterreliefs desselben Typs mit Weihinschriften, die sich an einen Gott mit dem Namen Kakasbos richten. In der Forschung herrscht daher schon lange Einigkeit, dass es sich bei dem einmal als Herakles und einmal als Kakasbos bezeichneten Reiter mit Keule um ein und denselben Gott handelt. Der unterschiedliche Name wird so erklärt, dass ein lokaler Gott eine Gleichsetzung mit einem griechisch-römischen erfuhr.

Außerdem erschuf man eine neue Form der bildlichen Darstellung, die Wesensmerkmale beider Gottheiten vereinte. Das Reiten könnte eine gewisse heroische Vornehmheit zum Ausdruck bringen und darüber hinaus auf einen militärischen Hintergrund hindeuten. Insgesamt ist Kakasbos/Herakles mit seiner Keule jedenfalls als Schutzgottheit zu verstehen, die bei drohender Gefahr angerufen wurde.

Einsatzrelief des Kakasbos/Herakles, sekundär verbaut in der Hauswand eines türkischen Wohnhauses.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt

Ein Phänomen der römischen Kaiserzeit

Reliefs des reitenden Gottes wurden nicht nur in Felswände eingemeißelt. Vielmehr finden sich auch solche, die separat gefertigt und entweder in (Fels-)Nischen eingepasst oder wie Stelen frei aufgestellt waren. Bemerkenswert ist zudem die zeitliche Verteilung. So lassen sich alle datierbaren Reliefs in die mittlere römische Kaiserzeit, hauptsächlich das 2. und 3. Jh. n. Chr., einordnen. Es existieren allerdings teils deutliche formale Detailunterschiede, wie etwa in der architektonischen Rahmung. Auch stilistisch weichen die Reiterdarstellungen voneinander ab und lassen sich so in verschiedene Gruppen aufteilen.

Die Gründe dafür mögen in der Beauftragung unterschiedlicher Werkstätten und im Anspruch der Auftraggeber an die Qualität gelegen haben, wobei Letzteres sicherlich auch von der Größe des Geldbeutels abhing. Vor der Felswand von Yuvalak an der Oberfläche angetroffene Scherben von Keramikgefäßen legen aber zudem nahe, dass der zeitliche Rahmen für die Reliefs womöglich etwas weiter zu fassen ist. So decken sie den Zeitraum zwischen dem 1. und dem 3. Jh. n. Chr. ab und schließen damit auch die frühe Kaiserzeit mit ein. Der regelrechte Boom erfolgte aber erst in den beiden Jahrhunderten darauf, und zwar zu einer Zeit, als das Christentum sich schon in Kleinasien ausgebreitet hatte und vielerorts christliche Gemeinden bestanden. Parallel dazu erfolgte demnach eine Wiederbelebung alter heidnischer Kulte, und es mag kein Zufall sein, dass dies vor allem auf dem Land geschah.

Yuvalak: Relief des Reitergottes mit architektonischer Rahmung.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt

"Kultorte" für die Landbevölkerung

Wie alt der Kult des Herakles/Kakasbos war, lässt sich nicht sagen. Der früheste Beleg für Kakasbos stammt immerhin aus dem 4. Jh. v. Chr. aus einem der Kibyratis benachbarten Gebiet mit dem Namen Milyas. Die Verehrung des Reitergottes war demnach auch etwas weiter verbreitet, stellte aber dennoch ein regionales Phänomen im südwestlichen Kleinasien dar. In der Umgebung von Kibyra fällt auf, dass die größten Ansammlungen von Felsreliefs im Umland großer Landgüter zu finden sind, die im 2. und 3. Jh. n. Chr. im Besitz reicher Familien wie die Calpurnii waren, die zur senatorischen Elite gehörten, ihr Land aber verwalten ließen und teilweise auch verpachtet hatten.

Fels mit vier Reiterreliefs in den Bergen bei Karamusa.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, Bildbearbeitung: N. Gail

Über die Frage, warum solche Kulte ausgerechnet auf dem Gebiet der großen Landgüter blühten, kann nur spekuliert werden. Am Felsen bei Yuvalak haben jedenfalls besonders viele Menschen über einen längeren Zeitraum Weihungen hinterlassen, wobei die Gründe für diese konkrete Ortswahl ebenfalls unbekannt sind. Vielleicht rankte sich um den Felsen eine mythische Geschichte, in welcher der reitende Gott eine zentrale Rolle spielte. In anderen Fällen vereinzelter oder kleinerer Gruppen von Felsreliefs, mag die Ortswahl hingegen auf die Präferenz der Weihenden zurückzuführen und mit persönlichen Erlebnissen verknüpft gewesen sein.

Gut vorstellbar ist das bei einem etwas abgelegenen, deutlich weniger sichtbaren und auch viel kleineren Felsen, der an einem Berghang hoch über dem Dorf Karamusa gelegen ist. Auch hier dürften die Weihenden immer wieder zu den Reliefs zurückgekehrt sein, und mancher Wanderer, wobei hier zuvorderst an Hirten zu denken ist, wird an dieser Stelle kurz in Gedanken bei dem Reitergott verweilt und vielleicht eine kleine Opfergabe für ihn abgelegt haben. (Oliver Hülden, 31.3.2022)