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Sind Futter und Konkurrenz in der Nähe, werden Löwen schnell aggressiv. Mit nur einem Tatzenhieb können sie tödliche Wunden verursachen.
Foto: Siphiwe Sibeko / Reuters

Lumbumbashi scheint sich wenig für das lange Röhrchen zu interessieren, das ihm Forscherin Jessica Burkhart in die Nasenlöcher einführt. Immerhin gibt es für den Löwen gleichzeitig faustgroße Brocken rohen Fleisches, an denen er sich gütlich tut. Die perfekte Ablenkung, um das Experiment durchzuführen: Mit einem altmodischen Flakon, Ballpumpe inklusive, spritzt Burkhart dem Raubtier eine Flüssigkeit in die Nase. Das enthaltene Oxytocin soll Lumbumbashi weniger aggressiv machen.

Das Hormon Oxytocin, so ist bereits hinlänglich bekannt, sorgt bei vielen Säugetieren für relative Kuscheligkeit – oder wird andersherum betrachtet beim Kuscheln vermehrt ausgeschüttet. Es kann entstressen, beruhigen und das Vertrauen zu anderen erhöhen, weshalb ihm etwa in zwischenmenschlichen Beziehungen eine wichtige Rolle nachgesagt wird – nicht nur in Paarbeziehungen oder zwischen Eltern und Kindern.

Reise ins Gehirn

Der entspannende Effekt lässt sich auch bei Löwen beobachten, sagt Burkhart. Die Verhaltens- und Neurowissenschafterin von der Universität Minnesota in den USA veröffentlichte am Mittwoch als Erstautorin eine Studie im Fachmagazin "iScience", in der sie und ihr Team in den zwei Sommern vor der Pandemie die Wirkung von Oxytocin genauer analysierte. "Man kann sehen, wie ihre Gesichtszüge sofort weicher werden – die faltige, aggressive Mimik weicht einem völlig ruhigen Verhalten", beschreibt Burkhart. "Sie entspannen sich vollkommen. Es ist verblüffend."

Doch vorher muss das Nasenspray den untersuchten 23 Löwen im südafrikanischen Wildtierreservat Dinokeng untergejubelt werden. Dann beginnt die kurze Reise des Oxytocins, das über den Trigeminusnerv und den Geruchsnerv von der Nase ins Gehirn wandert. Damit umgeht das Forschungsteam die Blut-Hirn-Schranke: Würde den Großkatzen das Hormon per Spritze in den Blutkreislauf eingebracht werden, dann würde dieser körpereigene Schutzmechanismus die Moleküle davon abhalten, das Gehirn aus dem Konzept zu bringen.

Kein Gegengebrüll

Haben sich die tierischen Probanden erst einmal entspannt, werden sie zu toleranteren Zeitgenossen, beobachtete das Team. Andere Löwen in ihrem Revier störten sie nicht mehr so sehr wie zuvor. Sie rückten näher an ihre Nachbarn heran, Eindringlinge beobachteten sie weniger wachsam als sonst. Um diese soziale Toleranz messbar zu machen, untersuchten die Forschenden, auf wie viele Meter sich andere Löwen einem Lieblingsspielzeug nähern konnten, ohne dass der Löwe im Besitz des begehrten Objekts einschritt.

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Ist der Oxytocinspiegel hoch, lassen es Löwen lieber ruhig angehen. Im Bild: der im südafrikanischen Drakenstein-Zoo lebende weiße Löwe Brutus.
Foto: Mark Wessels / Reuters

Der Abstand zum Lieblingsspielzeug – einem Kürbis – war ihnen im Mittel bis auf etwa sieben Meter Nähe genehm. Dann gingen die Löwen normalerweise zur Verteidigung über. Nachdem sie aber mit dem Nasenspray behandelt wurden, machte es ihnen nichts aus, wenn die anderen Löwen auf durchschnittlich 3,5 Meter herankamen. Das Forschungsteam testete auch, wie die Tiere auf das Brüllen fremder Artgenossen reagierten, das per Tonband abgespielt wurde. Ohne Oxytocin reagierten sie immer sogleich mit einem Gegengebrüll. Mit Oxytocin blieben sie hingegen still – waren potenziellen Eindringlingen in ihr Revier gegenüber also fast schon tiefenentspannt.

In Reservaten und Gefangenschaft

Ging es jedoch statt dem Kürbis um die Wurst – oder besser gesagt, um die Fleischbrocken –, sah die Sache schon wieder ganz anders aus. Da verhalf auch die Hormonbehandlung nicht zu Toleranz: Wenn sich mögliche Konkurrenten dem Futter näherten, waren die Raubtiere mit und ohne Nasenspray gleich territorial und aggressiv.

In freier Wildbahn ist dieses Verhalten für sie ein natürlicher Vorteil und erklärt, weshalb sie normalerweise nicht sonderlich scharf darauf sind, sich mit unbekannten Artgenossen anzufreunden. Aber viele Löwen leben heute in Gefangenschaft beziehungsweise in Reservaten. Ihre Anzahl steigt zwar prinzipiell an, doch um etwa in südafrikanischen Wildreservaten für ein ausgewogenes Verhältnis von Raub- und Beutetieren zu sorgen, kontrollieren Organisationen ihre Vermehrung und sterilisieren Löwinnen.

Bessere Beziehungen knüpfen

Gleichzeitig wachsen Städte auf dem afrikanischen Kontinent in den Lebensraum der Tiere hinein, was das Risiko für lebensgefährliche Begegnungen erhöht. Um dem vorzubeugen, werden Löwen häufig in eingezäunte Reservate überführt. Das bedeutet aber auch, dass sie mit den ansässigen Artgenossen auskommen müssen.

Und nicht nur diese Löwen finden ihren Weg in die Reservate. "Derzeit arbeiten wir daran, Tiere einzuführen, die aus Zirkussen, Übersee oder Kriegsgebieten gerettet wurden und gerade in Auffangstationen leben", sagt Burkhart. Sie will mit ihrer Oxytocinforschung zu einem stressfreieren Miteinander unter den Raubtieren beitragen, wenn diese in freier Wildbahn zusammengeführt werden. Sind die Löwen zu Beginn weniger ängstlich und territorial, dafür aber neugierig aufeinander, können sie bessere Beziehungen zueinander aufbauen – so die Hoffnung. (Julia Sica, 1.4.2022)