Es ist ein mehrfacher Albtraum: Der "Islamische Staat" (IS) findet in Israel nicht nur Sympathisanten unter der arabischen muslimischen Bevölkerung – das war bekannt –, sie sind auch bereit, in seinem Namen zu töten. Und die finden Nachahmer in den Palästinensergebieten. Der dritte Attentäter, der am Dienstag in einem Vorort von Tel Aviv zuschlug, kam aus dem Westjordanland.

Damit kehrt die Angst nach Israel zurück, auch angesichts des beginnenden Ramadan, des gesegneten Monats für viele Muslime und Musliminnen – und für radikale Rekrutierer eine besonders fruchtbare Zeit. Der direkte Trigger ist jedoch in der Politik zu finden. Israel feiert einen großen diplomatischen Erfolg: wichtige Normalisierungsschritte mit einem Teil der arabischen Welt. Das hat Folgen. War der direkte Kampf gegen "die Zionisten" in den Jahren, als der IS seinen perversen "Staat" zwischen dem syrischen Raqqa und dem irakischen Mossul aufbaute, für die Terrororganisation nicht prioritär, so hat sich das offenbar jetzt gewandelt.

Am Dienstag sind bei einem Anschlag in Bnei Brak fünf Menschen getötet worden.
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Ob das mit der Übernahme des IS durch eine neue Führung zu tun hat, ist noch nicht klar. Es kann durchaus sein, dass sich "einsame Wölfe", die es potenziell in vielen Ländern gibt, selbst ermächtigt fühlten zuzuschlagen. Wie in Österreich: Und erstaunlicherweise waren die IS-Attentäter offenbar auch in Israel den Geheimdiensten bereits zuvor bekannt.

Paradigmenwechsel

Eine traurige Facette ist, dass erst die Attentatsserie – genau genommen der zweite Anschlag, in Hadera – dazu führte, dass es der Negev-Gipfel bis in die Schlagzeilen der internationalen Medien schaffte. Das ist dem Krieg in der Ukraine geschuldet und allzu verständlich. Die Überlegung ist dennoch legitim, wie die Meldung, dass sich vier arabische Außenminister auf israelischem Territorium mit ihrem israelischen Amtskollegen treffen, vor einigen Jahren aufgenommen worden wäre. Der im Nahen Osten vor sich gehende Paradigmenwechsel nach den "Abraham-Abkommen" von 2020 und 2021 ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die äußeren Umstände – ein US-Präsident, Donald Trump, der als Politikformat nur den "Deal" kennt; die Bedrohung durch den Iran; arabische Regime, die ihre Bevölkerung nicht einbinden müssen – ändern nichts daran, dass die Integration Israels in den Nahen Osten einen Schub bekommen hat.

Gleichzeitig zeigt vor allem das dritte Attentat den Pferdefuß auf. Die Palästinenser und Palästinenserinnen verschwinden nicht von der Landkarte. Ihre politische Zukunft ist völlig offen. Die Vereinigten Arabischen Emirate hefteten sich beim Friedensschluss mit Israel auf die Fahnen, dass sie die von der damaligen Regierung von Benjamin Netanjahu geplanten und von Trump abgesegneten Annexionen im Westjordanland verhindert hätten. In der jetzigen disparaten israelischen Regierung werden keine Entscheidungen zu den Palästinensern fallen. Aber dass das nicht gleichbedeutend mit Ruhe und Frieden ist, ist nun wieder sehr schmerzlich klar. (Gudrun Harrer, 30.3.2022)