Sozialexperte Martin Schenk tritt in seinem Gastkommentar für einen einkommensabhängigen Ökobonus ein, um die Belastungen für ärmere Haushalte besser abfedern zu können.

Wir treffen uns im Sozialmarkt in der Neustiftgasse. Harald muss günstigst einkaufen, damit er über die Runden kommt. Die Teuerung spürt er an Haut und Knochen. Lebensmittel ziehen im Preis nach oben. Die Energiekosten würden im Zu-Hause-Modus der Corona-Zeit an sich schon in die Höhe fliegen, hätte die Inflation nicht noch ein Schäuferl draufgelegt. Die Mieten sind bereits seit Jahren ein Problem für mittlere Einkommen. Harald kann von einem mittleren Einkommen aber nur träumen, er muss zurzeit zwischen Niedriglohnjob und Mindestsicherung pendeln. Viel Arbeit, wenig Geld, viel Stress, wenig Spielraum.

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Harald blättert in zusammengehefteten Papieren, die eine Erhebung zur Krise aus Sicht von Armutsbetroffenen enthalten. Wir haben Betroffene gefragt, was jetzt ansteht. Was klar wird: Niemand ist arm allein wegen der Teuerung – die kommt dazu. Wenn das Wasser steigt, gehen jenen als Erstes die Kräfte aus, die schon seit jeher strampeln mussten. Und wer auf Ressourcen zurückgreifen kann wie auf einen Rettungsring oder ein stabiles Boot, für den ist die steigende Flut besser bewältigbar. So weit, so klar.

Unleistbares Wohnen

Was macht das Leben so teuer? Das Hauptproblem ist unleistbares Wohnen. Die Wohnkosten steigen seit Jahren massiv an, besonders in den größeren Städten. Je geringer die Haushaltseinkommen, desto höher der Anteil von Wohnen, Energie und Lebensmitteln am Haushaltsbudget. Genau diese drei Posten sind von der Inflation aber am stärksten betroffen. "Wir sitzen alle im selben Boot", heißt es mit Corona und jetzt auch in der Teuerung. Wir sitzen eher alle im selben Sturm, aber die Boote sind sehr unterschiedlich: Da gibt es robuste Schiffe, kleine Nussschalen, starke Jachten, schmale Ruderboote.

Es sei wie ein "Hamsterrad im Kopf", sagt Maria aus Niederösterreich, die mit ihren drei Kindern am sozialen Limit lebt. Den ganzen Tag quälen die Sorgen und das Getöse im Kopf: Miete, Heizkosten, Lebensmittel. Jetzt nur keine Schulmaterialien, die was kosten! Und nichts, was kaputt wird! Und ja nicht krank werden! Und bitte nicht noch ein Problem im Betrieb! Maria und ihre Kinder haben jetzt in der gekürzten Sozialhilfe zu wenig zum Wohnen, zu wenig zum Leben. Um ihre Miete zu zahlen, müssen sie das aufbrauchen, was eigentlich für den notwendigsten Lebensunterhalt vorgesehen wäre. Hungern für die Miete. Die Teuerung zeigt uns jetzt, wie wichtig eine gute Mindestsicherung wäre statt einer schlechten Sozialhilfe, die Menschen in Existenznöten und Notsituationen nicht trägt.

"Insgesamt aber braucht es mehr solch sozialstaatlicher Antworten auf die in der Krise wachsende Ungleichheit. Das sind Maßnahmen, auf die man ein Recht hat, die nachhaltig wirken und die mehr als zufällig die Betroffenen erreichen."

Wenn der Sturm kommt, brauchen diejenigen am meisten Schutz, die schon bisher wenig Halt hatten. Den Belastungen ärmerer Haushalte könnte mit einem einkommensabhängigen Ökobonus begegnet werden. Im Rahmen der CO2-Steuer ist ein solches Instrument als "Klimabonus" bereits angelegt. Der regionale Aspekt des Klimabonus sollte durch eine soziale Komponente ergänzt werden. Ein sozial gestaffelter Ökobonus würde möglichst unbürokratisch, österreichweit und barrierefrei die am meisten betroffenen Haushalte erreichen. Statt der Erhöhung der Pendlerpauschale, die weder sozial noch ökologisch klug ist, wäre das Geld hier besser angelegt.

Insgesamt aber braucht es mehr solch sozialstaatlicher Antworten auf die in der Krise wachsende Ungleichheit. Das sind Maßnahmen, auf die man ein Recht hat, die nachhaltig wirken und die mehr als zufällig die Betroffenen erreichen. Bisher wurde mit Pflastern herumgedoktert, wo eine große Operation notwendig wäre. Der Aufbau der ersten Sozialversicherungssysteme Ende der 1880er-Jahre setzte den Start hin zu einer aktiven Sozialstaatspolitik. Die ersten Risiken, die versucht wurden abzusichern, waren Krankheit und Alter, später dann auch Arbeitslosigkeit. In den 1980er- und 1990er-Jahren traten neue soziale Risiken hervor: Pflege, Behinderungen und Kinderversorgung, die in Gesellschaftsverträge gegossen wurden. Das Pflegegeld wurde eingeführt, die Kinderbetreuung ausgebaut. Jetzt sind wir wieder mit neuen Risiken konfrontiert: Prekarisierung der Arbeit, Digitalisierung und eben die Klimakrise samt der damit einhergehenden Energiewende.

Keine Gutscheine

Die Klima- und Energiekrise ist ein Lebensrisiko ähnlich wie Krankheit oder Pflege, das wir auch sozialpolitisch in Angriff nehmen müssen. Da braucht es keine Gutscheinsysteme oder Almosenförderungen; bei einem gebrochenen Bein will ich keinen Gipsgutschein, sondern eine solidarische Krankenversicherung, jedenfalls eine universelle Leistung, die mich – egal ob arm oder reich – gut versorgt.

Der Ökobonus, der an alle Haushalte geht, wäre so eine sozialstaatliche Antwort auf die Kosten der Klima- und Energiekrise, genauso wie das Pflegegeld eine Antwort auf die Risiken des Alters ist oder die Krankenversicherung eine Antwort auf die Bedrohung durch einen Unfall darstellt.

"Ich habe das Glück, dass ich drei riesige Biotonnen in der Nähe von meiner Wohnung habe und ich das aus dem Mist hole, das Essen. Ja, meistens geht es gut, aber manchmal geht es nicht gut. Ich habe viel mehr Erkrankungen, also Brechdurchfall oder so etwas." Das erzählt eine ältere Frau in der Befragung. Harald zeigt mir die Stelle in der Studie. Arg, sagt er. Arg ist das. (Martin Schenk, 31.3.2022)