"Systematische Torpedierung des Ermittlungsverfahrens", "wiederholte Versuche, die zuständigen Oberstaatsanwälte durch unrichtige Unterstellungen persönlich zu diffamieren", "nicht behebbarer Vertrauensverlust gegenüber Mag. Holzer" – um die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft jüngst erhobenen Vorwürfe gegen das sogenannte "System Pilnacek" zu veranschaulichen, könnte es helfen, sich die österreichische Justiz als Krankenhaus vorzustellen:

Die WKStA wäre dann die chirurgische Abteilung, die trotz extremen Personalmangels erfolgreich Operationen durchführt. Christian Pilnacek und Johann Fuchs wären die krankenhausinterne Dienstaufsicht, die mit den Chirurgen ein Problem hat, weil diese auch Leute operieren, bei denen die Dienstaufsicht nicht will, dass die operiert werden. Deshalb versucht sie die Chirurgen mithilfe von absurden Berichtspflichten, Intrigen und Verdächtigungen vom Operieren abzuhalten.

Gruppenleiter der WKStA Bernhard Weratschnig.
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Die Soko Tape wäre in diesem Bild die Rettung, deren Chef Andreas Holzer von der Dienstaufsicht gebeten wird, beim Einliefern von Patienten in die chirurgische Abteilung Zurückhaltung zu üben und darüber hinaus nachzuforschen, ob die Chirurgen vielleicht gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen hätten. Die Dienstaufsicht bezeichnet dieses Ansuchen an die Rettung als "begleitendes Risikomanagement", der Chef der Rettung antwortet: "Okay, das werde ich veranlassen." Woraufhin die Chirurgen erklären, dass sie mit dieser Rettung nicht mehr zusammenarbeiten werden.

"Aus kriminalistischer Sicht ein Desaster"

Dass es zwischen WKStA und Soko Tape so gar nicht mehr funktioniert, liegt möglicherweise auch an sehr unterschiedlichen Auffassungen davon, wie man richtig und gut ermittelt. Im Ibiza-Untersuchungsausschuss befand der damalige Soko- und jetzige Kripo-Chef Holzer, dass von der WKStA durchgeführte Handy-Auswertungen "aus kriminalistischer Sicht ein Desaster" gewesen wären, denn "es reicht ja nicht, dass man Unterlagen alleine sichtet und vielleicht mit einer Software durchgeht und Namensteile sucht, sondern man muss auch diese festgestellten Inhalte ermitteln. Es gibt in der Polizeiarbeit halt einfach forensische Standards!"

Diese Standards dürften die Korruptionsstaatsanwälte anders als Holzer interpretieren, wie es die Ermittlungen rund um das Handy von Thomas Schmid vermuten lassen. Der Inseratenkorruptionsskandal, die Steueraffäre Sigi Wolf, die Causa "Falschaussage vor dem U-Ausschuss", u. v. m. – ohne die Auswertung des Mobiltelefons durch die WKStA wären diese Malversationen wohl unentdeckt und konsequenzlos geblieben.

Doch das kann man auch ganz anders sehen, wie ein mir vorliegendes Dokument beweist: Ein Amtsvermerk des Bundeskriminalamts, unterzeichnet von Andreas Holzer, mit dem Betreff "Ergebnisse der Datenauswertung", in dem sich folgender bemerkenswerter Satz findet: "Weder auf den Mobilgeräten noch auf den sonstigen elektronischen Daten von Thomas Schmid konnten sachverhaltsrelevante Informationen vorgefunden werden."

Wir lernen: Wer im Wald stehend diesen nicht sieht, empfindet auch über 334.000 Bäume nicht unbedingt als "sachverhaltsrelevante Information". (Florian Scheuba, 31.3.2022)