Atomkraft und Erdgas wurden im Rahmen der Taxonomie "grün". Diese Entscheidung ist heftig umstritten.

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Die Taxonomie der EU zeigt, wie Kapital nachhaltige Investitionen fördern soll. Auf Banken, Unternehmen und den Finanzmarkt kommen neue Aufgaben zu. Was es auf dem Weg zur Standardisierung zu beachten gibt und wie gut Österreich mit dem Thema schon vertraut ist.

STANDARD: Der Ukraine-Krieg hat Europas Energieabhängigkeit offenbart. Das Umdenken Richtung Nachhaltigkeit bekommt neuen Schub. Braucht es immer exogene Schocks, damit sich große Themen bewegen?

Boschan: Teilweise sehen wir jetzt in mehreren Bereichen grundsätzliche Neuausrichtungen. Etwa bei der Frage der Aufrüstung in Europa. Aber auch bei der Energie – hier vor allem, wie teuer ein Umstieg auf Alternativen für uns ist. Wir werden auch darüber reden, ob es sinnvoll ist, jetzt die modernsten Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke abzuschalten. Man wird AKWs vielleicht noch fünf, zehn Jahre laufen lassen müssen, um Energiesicherheit zu gewährleisten, bis die Transformation Form annimmt.

STANDARD: Zumal Atomenergie ja jetzt auch als grüne Energie gilt ...

Boschan: Nicht nach österreichischer und deutscher Ansicht.

STANDARD: Die EU definiert mit der Taxonomie, wie Kapital Nachhaltigkeit fördern soll. Was ist davon zu erwarten?

Sommer-Hemetsberger: Es geht hier um Leitplanken, die eine Richtung weisen sollen, und den Versuch einer Standardisierung. In Summe ist die Taxonomie ein sehr umfangreiches Vorhaben. Es wird dauern, bis alle Bereiche hier klar definiert sind. Das ist oft so, wenn man beginnt, etwas zu Standardisieren. Man fängt an und kommt drauf, dass es hier noch mehr, dort etwas anderes braucht.

Christoph Boschan: "Hinter der Taxonomie steckt ein staatliches Innovationsprojekt."
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STANDARD: Finanzinstitute werden stark in die Pflicht genommen – etwa bei der Kreditvergabe, die zu einem bestimmten Anteil "grün" sein muss.

Sommer-Hemetsberger: Die Taxonomie wirkt auf beiden Seiten. Natürlich wissen auch Unternehmen, dass sie für bestimmte Finanzierungen einen entsprechenden Weg Richtung Nachhaltigkeit einschlagen müssen. Für große Unternehmen ist das weniger ein Problem, sie sind teilweise weit fortgeschritten in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen. Für andere wird der Weg hin zur CO2-Neutralität noch dauern.

STANDARD: Der Kapitalmarkt war bei diesem Thema weit voraus ...

Sommer-Hemetsberger: Richtig. Wir haben das als Anbieter von Marktinfrastruktur gemerkt, aber auch als Marktteilnehmer. Die OeKB emittiert ja auch Anleihen. Früher wurde lange überlegt, ob man Green Bonds machen soll. Jetzt ist die Nachfrage danach enorm.

STANDARD: Wie steht Österreich da in diesem Sustainability-Umfeld?

Sommer-Hemetsberger: Die Emissionen im nachhaltigen Bereich haben deutlich zugenommen, die Nachfrage massiv. 2019 haben wir den ersten OeKB-Sustainability-Bond mit 500 Millionen Euro begeben, der war mehrfach überzeichnet. Die Nachfrage kam nicht nur von den bekannten Institutionen, sondern auch von Investoren mit ESG-Fokus.

Boschan: Die Börse beschäftigt sich seit langem mit dem Thema, der erste österreichische Nachhaltigkeitsindex Vönix wurde vor mehr als 15 Jahren veröffentlicht. Was die Situation für Österreich angeht, schließe ich mit einer Warnung an. Was ist denn die Taxonomie im Kern? Dahinter steht ein staatliches Innovationsprojekt. Man kann darüber streiten, ob wirklich nur Leitplanken gesetzt werden oder ob das schon Planwirtschaft ist. Fix ist, die Transformation kommt – also muss man schauen, wie man daran partizipiert und davon profitiert. Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten werden vorne dabei sein. Sie werden schneller, nachhaltiger und mit den größeren Wachstumsraten transformieren. Deswegen ist das Gebot der Stunde auch, dass sich die Politik um den Kapitalmarkt kümmert, um diesen Hebel zu haben. Da haben wir in Österreich noch viel zu tun.

STANDARD: Steckt in der Taxonomie auch die Gefahr eines Gleichklangs auf der Produktebene? Bisher konnten die Anbieter entscheiden, wie streng sie Kriterien auslegen.

Boschan: Das ist ja die erklärte Absicht. Bis jetzt gab es eine Vielfalt an Standards. Mit diesen Leitplanken werden die Standards neu definiert, sie vereinheitlichen den Markt und schaffen eine breite, verbindliche Basis. Ob die Leitplanken richtig gesetzt sind, wird man sehen.

Sommer-Hemetsberger: Die einzelnen Produkte werden für die Investoren leichter vergleichbar – und differenzieren können sich Anbieter immer noch über Spezialitäten.

STANDARD: Die EU-Vorgaben kommen nur schrittweise. Vom großen Bereich Environment, Social, Governance (ESG) ist gerade einmal das E definiert. Hindert der permanente Anpassungsbedarf nicht das Wachstum?

Sommer-Hemetsberger: Das sind riesige Themenblöcke. Würde man alle Bereiche auf einmal Standardisieren, würde man wahrscheinlich ewig darauf warten. Vom Markt werden die anderen Bereiche ja nicht außer Acht gelassen.

STANDARD: Mit dem Lieferkettengesetz bekommen Unternehmen ja auch eine ganz neue Rolle und Aufgabe.

Boschan: Auch damit wird ja versucht, einheitliche Vorgaben zu schaffen, um den regulatorischen Wildwuchs einzufangen.

Sommer-Hemetsberger: Wo wir in Europa aufpassen müssen ist, dass wir uns mit unseren Regeln im Vergleich zu anderen internationalen Akteuren nicht aus dem Spielfeld nehmen. Das wird auch ein riesiges Thema rund um Verfügbarkeit von Daten. Auch beim Rating gibt es noch keinen einheitlichen Standards, aber hier ist viel in Bewegung. Auch die großen Ratingagenturen bewerten diese Punkte immer öfter.

Boschan: Es gibt auch keinen Investorentermin, bei dem solche Punkte nicht abgefragt werden. Die gelisteten Unternehmen sind hier auch zu einer Art Spielfeld für die politischen Wünsche geworden, weil die Transparenzvorschriften unterliegen. Das ehrt uns, wirft aber Gleichbehahdlungsfragen auf.

Angelika Sommer-Hemetsberger: "Einzelne Produkte werden für Investoren leichter vergleichbar."
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STANDARD: In Österreich wird die Behaltefrist von Wertpapieren erneut diskutiert. Wie laufen hier die Gespräche mit dem neuen Finanzminister?

Boschan: Die Gespräche laufen. Ein Kernproblem ist, dass in Österreich zwischen Gambling, Spekulation und Investition nicht sauber getrennt wird. Aber bei Investitionen muss man tiefer fragen. Hier wird Wohlstand generiert, der über die Börsen sozialisiert werden kann. Dass Anleger mit ihrem bereits versteuertem Einkommen für Investments erneut mit einer Steuer belastet werden, ist nicht fair. Fällt die Wertpapier-KESt, wäre das auch ein Anreiz, damit die Österreicher am Kapitalmarkt für ihre Pension vorsorgen. Eine Behaltefrist wäre eine fairere Lösung.

Sommer-Hemetsberger: Die positiven Effekte von Investitionen werden hierzulande viel zu wenig gesehen. Das Geld, das Investoren zur Verfügung stellen, dient den Unternehmen als Kapital, um zu wachsen, um Krisen zu überstehen. Dafür gibt es Dividenden. Mit einer Behaltefrist von einem Jahr und damit verbundener Steuerfreiheit kann sicher ein Anreiz gegeben werden, um Anleger in den Markt zu holen. (Bettina Pfluger, 31.3.2022)