Wien – Anton Schlögls Welt dreht sich seit 50 Jahren ums Ei. Sein erster Hühnerstall im Burgenland zählte 10.000 Legehennen. Mittlerweile hat er hundert Bauern unter Vertrag. Täglich verlassen bis zu eine Million Eier die Packstation seiner Familie, die Hälfte davon ist bunt gefärbt. Jedes zweite in Österreich konsumierte gekochte Osterei entspringt seinem Betrieb.

Viele Bauern verkaufen ihr Getreide lieber, als es an Hennen zu verfüttern.
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70 Jahre alt sei er nun, erzählt Schlögl, aber so etwas wie jetzt habe er noch nie erlebt. Seine Generation sei die erste gewesen, die vom Krieg unbehelligt blieb. Niemals hätte er damit gerechnet, dass eine Krise in Europa derart eskalieren könne und sogar seinen Markt erfasse.

Seit die Ukraine als großer Getreide- und Futtermittelexporteur wegbricht, geht in Europas Lebensmittelindustrie die Angst vor kostspieligen Engpässen um. Fleischriesen wie der deutsche Tönnies-Konzern, der auch Österreich beliefert, wenden sich in Notbriefen an den Handel, um höhere Preise einzufordern, da sie sich nicht mehr in die Lage sehen, die Versorgung sicherzustellen.

Fünf Cent auf der Waage

Allein Tönnies fehlten wöchentlich gut 3.000 Tonnen Hühnerfilets, die bisher die Ukraine produzierte, geht aus dem Schreiben hervor, das dem STANDARD vorliegt. Bei Rindfleisch gehe bis Ostern das Schlachtvieh aus. Die Schweinemast erlebe eine Rekordverteuerung.

In ihrer Existenz bedroht sieht sich in Ermangelung von Futtermitteln, Rohstoffen und Arbeitern aus der Schwarzmeerregion aber nicht nur die internationale Fleischwirtschaft. Alarm schlägt kurz vor ihrer Hochsaison auch die Eierbranche.

Sie verlangt in Österreich vom Einzelhandel fünf Cent mehr pro Ei. Andernfalls seien Landwirte nach den Osterfeiertagen nicht mehr dazu imstande, neue Junghennen einzustallen. Die Folge: eine Unterversorgung mit Eiern in Österreich spätestens im Frühherbst.

Fünf Cent mehr für ein Ei auf einen Schlag – das habe es noch nie gegeben, sagt Schlögl. Die Alternative aber sei der Ausstieg zahlreicher Landwirte aus der Produktion.

Die Preise für Getreide schießen durch die Decke. Für viele Betriebe sei es angesichts exorbitanter Energiekosten wirtschaftlich vernünftiger, dieses zu verkaufen, als Geflügel zu halten.

Kein Flüssigei mehr aus der Ukraine

Schlögl bezahlt seinen Bauern seit dieser Woche um rund 30 Prozent mehr, um sie als Lieferanten nicht zu verlieren. Alois Hütter, der in Gnas in der Steiermark von 150 Landwirten und ihren in Summe 1,5 Millionen Legehennen versorgt wird, kam ihm dabei zuvor. "Und das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange." An knappen Eiern in ganz Europa wird sich seiner Erfahrung nach so rasch nichts ändern.

Spanien, das zwei Drittel seines Futters aus der Ukraine und Russland importierte, keulte Hühner im großen Stil. In Italien und Frankreich raffte die Vogelpest Millionen Tiere hinweg. Länder wie Rumänien und Bulgarien seien mittlerweile selbst mit Eiern unterversorgt.

Gehörig ins Schwitzen gerät vor allem die Industrie und Gastronomie, die Tonnen an Flüssigei aus der Ukraine holte. Dieses entstammt zwar zu 80 Prozent von Hennen aus Käfighaltung, war aber um ein Drittel billiger als Ware aus Österreich.

Seit Ausbruch des Krieges explodierte der Preis für ein Kilo Industrie-Ei aus Bodenhaltung von 1,20 auf mehr als zwei Euro, sagt Hütter. Verteuert sich dieses zu stark, fließe Ei statt in den Lebensmittelhandel vermehrt zu großen Verarbeitern. "Derzeit wird alles, was der Markt hergibt, aufgekauft."

Importierte Käfigeier

Sein Familienbetrieb ist der Einzige, der Eipulver aus ausschließlich österreichischen Eiern herstellt. Die Hälfte davon geht in den Export. "Es wird uns aus ganz Europa aus den Händen gerissen." Viele Lebensmittelhersteller hierzulande zogen es jedoch bislang vor, günstigere Eier ohne Herkunftskennzeichnung aus dem Ausland zu importieren.

Österreich hat die klassische Käfighaltung als erstes EU-Land 2009 verboten. Knapp 15 Prozent der Hühner legen laut Agrarmarkt Austria Bio-Eier. Rund ein Drittel darf ins Freie. EU-weit hat hingegen nach wie vor geschätzt die Hälfte der Hühner keinen Auslauf. In Drittländern leben mehr als 90 Prozent auf engstem Raum.

"Turbohennen"

Tierschützer üben dennoch scharfe Kritik an der österreichischen Geflügelwirtschaft. Laut aktuellen Studien leide ein Großteil der Legehennen unter Brustbeinfrakturen, berichtet Vier Pfoten. Die Hühner seien dermaßen auf Hochleistung gezüchtet, dass sie jährlich bis zu 300 Eier legten. Dafür brauche es enorme Mengen an Kalzium, das teilweise aus den Knochen mobilisiert werde. Vier Pfoten fordert eine Rückkehr von "Turbohennen" zu Zweinutzungsrassen: Jedes Huhn sollte nicht nur zum Eierlegen, sondern auch zur Mast geeignet sein, auch wenn dies die Legeleistung reduziere.

236 Eier essen die Österreicher im Jahr im Schnitt, zwei Drittel davon frisch. 35 Prozent der hierzulande gelegten Eier werden über den Lebensmittelhandel vertrieben. Ein Viertel vertreiben die Landwirte direkt. Den Rest verarbeiten Gastronomie, Gewerbe und Industrie.

Derzeit erhalten Erzeuger für ein Ei aus Bodenhaltung knapp mehr als acht Cent. 19 Cent gibt es für sie für Bioqualität.

40 Sekunden Arbeit für ein Ei

21 Minuten musste ein Österreicher 1960 arbeiten, um sich ein Ei zu verdienen. Nunmehr sind es lediglich 40 Sekunden, rechnet Franz Karlhuber, Obmann der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Geflügelwirtschaft, vor. Er hält es für Konsumenten für verdaubar, jährlich um rund 18 Euro mehr für Eier auszugeben. Zumal die Betriebe viel in Tierwohl investiert hätten.

Ohne höhere Preise riskiere Österreich die Vollversorgung an österreichischen Eiern mit all ihren Richtlinien und Qualitätsstandards, sagt Franz Kirchweger, Obmann der EZG Frischei. Derzeit sei es seiner Branche nicht mehr möglich, kostendeckend zu produzieren, zumal die Auflagen des Handels in den vergangenen Jahren stark gestiegen seien. Ein massiver Einbruch der österreichischen Produktion drohe.

Supermarktketten haben auf die Hilferufe der Eierproduzenten und Packstellen zwar teilweise reagiert, unterm Strich aber zu langsam, klagen Branchenvertreter. Ein Hühnerhalter mit 10.000 Legehennen habe seit Herbst zugleich allein für Futter um 100.000 Euro mehr ausgelegt.

Tagespreise

Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger stellt Händlern leere Regale in Aussicht, sollten sie ihre Preispolitik nicht rascher anpassen. Die Landwirtschaft sei mittlerweile mit Tagespreisen konfrontiert, während der Handel immer noch von Quartalspreisen rede. "Uns hilft keine Alibierhöhung." Österreich brauche rund um Lebensmittel eine neue Wertediskussion.

45 Kilo Futter braucht eine Legehenne im Jahr, das 60 Prozent ihrer Haltekosten ausmacht. Ihr Leben währt 14 Monate. Auf das Gramm genau werden Mais, Soja, Weizen und Wirkstoffe, wie das der Knochenstärke dienende und auf dem Weltmarkt ebenso knappe Monocalciumphosphat, gemischt. Wie sich die einzelnen Komponenten ersetzen lassen, ohne Abstriche in der Produktivität in Kauf nehmen zu müssen, daran wird intensiv gearbeitet.

"Kriegswirtschaft"

"Wir sind nahe einer Kriegswirtschaft", sagt Karlheinz Uhl. Der Chef des steirischen Eierhändlers Nestei mit 150 Bauern als Partner rief vor zwei Wochen den Krisenmodus aus. Seither telefoniere er zehn bis zwölf Stunden am Tag, um Getreide für die eigenen Futtermittelwerke und ausreichend Eier sicherzustellen.

Die Ausgabe des Futters wurde rationiert, um zu verhindern, dass es in Silos gebunkert werde, was die Spekulation anheizt. Allein für gentechnikfreies Soja, das an die österreichischen Hühner verfüttert wird, werden Fantasiepreise bezahlt, gibt Uhl zu bedenken. Statt 350 Euro die Tonne wie im Vorjahr seien nun gar 1000 Euro zu wenig dafür.

Uhl geht davon aus, dass konventionelle Eier ab Mitte April im Handel so viel kosten wie Bio-Eier im Vorjahr. Das Gros der österreichischen Konsumenten habe den Bezug zum Wert eines Lebensmittels aufgrund starker Rabattkultur aber längst verloren, resümiert er bitter. "Wer zu normalen Preisen einkauft, fühlt sich über den Tisch gezogen." (Verena Kainrath, 31.3.2022)