Sie ist, das muss man ihr neidlos zugestehen, die Schnittigste, die Größte im Hafen von La Ciotat: die Amore Vero, pure Eleganz in Stromlinienform, blitzend weiß im Sonnenlicht und mit schwarzen Fensterreihen auf drei Decks. Andere Yachten hier, die auch nicht von schlechten Eltern sind, sehen daneben fast wie Nussschalen aus. Sie können immerhin ausfahren. Nicht aber die Echte Liebe, sie ist mit Tauen festgemacht. Ausfahrt verboten.

"Wie der Riese Gulliver in Ketten", meint ein Fischer auf der anderen Seite der Hafenausfahrt. "Sehen Sie die zwei orangen Taue über die Werfteinfahrt? Das soll die Russen daran hindern, in See zu stechen." Der geduldige Fischer, der hier im Hafenbecken Barrakudas fängt, sagt in einem Satz mehr als alle involvierten Amtsstellen zusammen. Die Zollbehörde, die Werftbetreiberin La Ciotat Shipyard und auch die Capitainerie, die Hafenpolizei, äußern sich nicht zur Anwesenheit der Amore Vero.

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Kein Entkommen für die Amore Vero.
Foto: REUTERS/ Albert Gea

Sie wollen nicht einmal wissen, wem das 87 Meter lange Schiff gehört. Dabei besteht kein Zweifel: Der eigentliche Besitzer ist Igor Setschin, Hauptaktionär des russischen Ölkonzerns Rosneft. Ein in Monaco ansässiger Yachtverwalter erklärte vor wenigen Tagen, nomineller Besitzer des schönen Schiffs sei nicht der Oligarch, sondern eine "Firma". Wie so oft bei Vermögenswerten russischer Milliardäre sind die Besitzverhältnisse verschachtelt, undurchdringlich.

Private Jagd auf Superyachten

Die französische Regierung hat die Amore Vero trotzdem festgesetzt. "Eingefroren", nennt dies Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Für eine formelle Beschlagnahme wäre ein Justizentscheid nötig. Doch dafür fehlte die Zeit. Viele Oligarchen, die wegen der russischen Ukraine-Invasion mit Sanktionen belegt sind, haben mit ihren Yachten längst das Weite gesucht – die Malediven, die Karibik oder Südamerika. Das Schiff von Roman Abramowitsch, dem Eigner des britischen Fußballklubs Chelsea, verließ etwa den Hafen von Barcelona gerade noch rechtzeitig Anfang März.

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Die Abramowitsch-Yacht Solaris Ende März in der Türkei.
Foto: REUTERS/Yoruk Isik

Das Minifürstentum Monaco, das schon immer ein Herz für Milliardäre hatte, gab die Superyacht von Sergej Galizki frei. Andere hatten dagegen nicht so viel Glück: Auf Mallorca wurde der schwimmende Palast von Alexander Michejew von den spanischen Behörden kaltgestellt. Zuvor hatte ein ukrainisches Besatzungsmitglied versucht, ihn zu versenken.

Einzelne Oligarchen haben ganz einfach das Navigationssystem AIS abgestellt, damit sie nicht geortet werden können. Ein flagranter Verstoß gegen das Seerecht. Häufig hat er den Verlust der Zulassung durch die Flaggenstaaten zur Folge. Seriöse Häfen nehmen solche fehlbaren Schiffe nicht mehr auf. Auch die Zollpolizei wirft ein wachsames Auge auf sie. Und auch Einzelpersonen machen mittlerweile privat Jagd auf die Superyachten: In Barcelona ist die ehemalige CIA-Agentin Alex Finley am Werk, in London ein gewisser Jack Sweeney.

Darth Vader und sein Spielzeug

Die Amore Vero aber bleibt auf der Webseite "Marine Traffic" auffindbar. Ohnehin in La Ciotat gefangen, hat der Kapitän keinen Grund, das AIS zu deaktivieren. Der Barrakuda-Fischer erzählt allerdings, die Russen hätten sich schon zweimal davonzustehlen versucht, das letzte Mal vor wenigen Tagen. Deshalb hielten sich nun französische Zöllner rund um die Uhr auf der Superyacht auf. "Die schlafen sogar dort", meint der Mann, der alle Bewegungen auf der Yacht verfolgt, wenn er nicht gerade seine Angelleine in weitem Bogen auswirft.

Yachtbesitzer Setschin – wenn er denn der Besitzer ist – darf sich grün und blau ärgern. Er, der enge Putin-Freund, der vielleicht einflussreichste Oligarch, den selbst Moskauer Medien nach dem Bösewicht der "Star Wars"-Reihe "Darth Vader" nennen – dieser Machtmensch hat keine freie Hand mehr über sein liebstes Spielzeug, sein Statussymbol.

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Igor Setschin, ein enger Putin-Vertrauter, beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg 2014.
Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin

Ähnlich ergeht es Alischer Usmanow Für den usbekischen Industriellen hatte die Riviera-Stadt Antibes sogar den Hafen umgebaut, damit seine über 150 Meter lange Megayacht Dilbar einen Stammplatz fand. Jetzt liegt das mit zwei Helikopter-Landeplätzen ausgestattete Luxusschiff in einer Werft in Hamburg vor Anker und wartet auf bessere Zeiten. Denn diese haben sich radikal geändert.

Villen als Wahlkampfthema

Von heimlichen Herrschern über die Côte d'Azur sind die Oligarchen aus Moskau hier zu geächteten Parias geworden. Vorbei das Prestige, das Prassen und Protzen. Ein mondäner Mittelpunkt russischer Sommerfrischler an der "Côte", die Villa des Oligarchen Kiril Schamalow in Roquebrune, ist heute ebenfalls "eingefroren". Der 40-jährige Lebemann wird erstmals selbst von westlichen Sanktionen verfolgt. Dabei zählte der ehemalige Schwiegersohn Putins – er war mal mit seiner jüngeren Tochter Jekaterina verheiratet – einmal selbst zu den Unberührbaren.

Die Alta-Mira-Villa von Kiril Schamalow.
Foto: GAIZKA IROZ / AFP

Die neun Millionen Euro schwere Traumvilla erhielt Schamalow von seiner neuen Frau, der moldauischen Jetsetterin Janna Wolkowa, zum Geschenk. Jetzt verkommt das diskrete Deluxe-Anwesen zu einem schnöden Wahlkampfthema in Frankreich.

Die konservative Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse will die russischen Villen an der Riviera ganz beschlagnahmen und darin ukrainische Flüchtlinge beherbergen. Das wäre eine politische Geste erster Güte. Die Organisation Transparency International unterstützt die Idee. Ihre Sprecherin Sara Brimbeuf sagt, die russischen Luxusimmobilien in Cannes, Saint-Tropez oder Nizza dienten häufig der Geldwäscherei.

Nicht nur Freude über Sanktionen

Als Besitzer dienten wie bei den Yachten oft ganze Kaskaden von Strohmännern. An ihnen prallen Sanktionen oft wirkungslos ab. Deshalb will die französische Regierung die Gesetzgebung verschärfen: Auch die Vermögen von Ehefrauen und Kindern sanktionierter Oligarchen sollen festgesetzt werden können. "Sie dürfen sich nicht länger hinter Finanzkonstruktionen verstecken", sagt Minister Le Maire.

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Nicht alle sind glücklich über die Sanktionen in La Ciotat. Sie zeigen die Abhängigkeit.
Foto: REUTERS/ Albert Gea

In La Ciotat herrscht allerdings nicht nur Freude darüber. Der Wegfall der russischen Luxusausgaben trifft die lokale Wirtschaft hart. Laut David Sieur vom Riviera Yachting Network, einem Firmenverbund für den Bootsbau und -unterhalt, gehen die Absagen und Verluste an der Côte d'Azur bereits in die Millionen. Und das sei erst der Anfang.

"Unsere Branche setzt in Frankreich zwei Milliarden Euro im Jahr um. Jetzt bleiben nicht nur die Russen aus; auch die Amerikaner sagen ihre Yachtreisen an die Riviera ab. Das Mittelmeer ist für sie gleich neben der Ukraine."

Die Werft von La Ciotat, wo weltweit ein Siebentel aller Großyachten überholt und repariert wird, hat für diesen Sommer schon zahlreiche Aufträge verloren. "Eine Katastrophe", meint die anonym bleibende Vertreterin eines lokalen Dienstleisters, der in La Ciotat und anderswo bis zu 50-köpfige Yachtmannschaften stellt. "Wir merken erst jetzt, wie abhängig wir von unserer russischen Klientel sind." (Stefan Brändle aus La Ciotat, 31.3.2022)

Ukrainische Mütter werden in einem tschechischen Schloss untergebracht.
DER STANDARD