Die Schmiererei auf seiner Ziegelwand las sich verwirrend, aber Peter Krajc-Vesely wusste sie zu deuten. "Putin tötet Putin", war in weißen Buchstaben auf sein russisches Restaurant Feuervogel gesprayt worden. Was sollte das heißen? "Auf jeden Fall, dass sie keine Freude mit dem Wladimir Putin haben", sagt Krajc-Vesely nüchtern, ein paar Wochen nach dem Vorfall.

Der 74-jährige Gastronom, weißer Schnauzer, gepunktete Krawatte, sitzt an einem späten Nachmittag in seinem Restaurant. An den Wänden leuchten Chochloma-Malereien – volkstümliche Bilder, zum Beispiel von Fischen und Blumen. Schon am Eingang erwarten einen Samoware, die alten russischen Teekessel, und Matrjoschka-Holzpuppen. Folklore wird im Feuervogel großgeschrieben.

Krajc-Vesely führt das traditionsreiche Restaurant in der Alserbachstraße seit 1994. In dritter Generation, seine Großmutter aus Kiew hatte es vor fast hundert Jahren eröffnet. Draußen in der Auslage hängen ein Foto der russischen Flagge und eines vom Kreml in Moskau. Nach der feindseligen Spraybotschaft wollte Krajc-Vesely etwas klarstellen und legte einen Zettel dazu: "Das Abendrestaurant Feuervogel befindet sich seit 1923 im Besitz einer ukrainischstämmigen Familie!!!!" Mit vier Rufzeichen.

Nach Putins Überfall auf die Ukraine kam es zu Schmierereien an der Wand des russischen Lokals in Wien. Dabei befindet sich das Restaurant seit 1923 im Besitz einer ukrainischstämmigen Familie.
Foto: Regine Hendrich

Ungerechte Sippenhaftung

Krajc-Vesely hat nach fünf Kriegswochen seine eigene Bilanz gezogen, sie hat nichts zu tun mit Nachschublinien und Schützenpanzern. Nach dem Einmarsch am 24. Februar sei der Umsatz an manchen Tagen um 40 Prozent gesunken. Derzeit seien es immer noch minus 25 Prozent. Viele der 60 Plätze bleiben nun leer, dabei glaubte das rund fünfköpfige Team noch im Februar an bessere Zeiten nach der endlosen Pandemie-Flaute. "Wenn ein Land irgendwelche Grauslichkeiten begeht, haben die Leute im Hinterkopf: Ich will die nicht noch unterstützen und dort essen gehen", glaubt Krajc-Vesely, der selbst österreichischer Staatsbürger ist. Da könne man als "kleiner Gastwirt" nicht viel dagegen tun. Dabei sei er "absolut gegen den Krieg". Er habe einen Großcousin in Moskau und eine Großcousine in der ukrainischen Hafenstadt Odessa, die sich große Sorgen mache.

In seiner Küche ist die Welt noch in Ordnung, die Speisekarte des Feuervogels ist ein friedlicher Streifzug durch Russland, die Ukraine und den Kaukasus. Dort findet sich etwa die berühmte Hühnerbrust "Kiew", ein flach geklopftes, gerolltes und paniertes Filet mit einem Stück Kräuterbutter in der Mitte. Borschtsch, die russische Nationalsuppe mit roten Rüben, gibt es in zwei Versionen: "Moskovsky – mild" und "Ukrainsky – herzhaft würzig". Auch Boeuf Stroganoff und Schaschlik bekommt man hier. "Wir bieten russische, ukrainische und auch georgische Küche", sagt Krajc-Vesely.

Der Feuervogel wird seit 1994 von Gastronom Peter Krajc-Vesely geführt.
Foto: Regine Hendrich

Er selbst sei das letzte Mal im Mai 2018 in Russland gewesen. 2019, im letzten Reisejahr vor der Pandemie, sei er lieber nach Australien und Neuseeland geflogen. Die Welt sei "viel zu groß", um jedes Jahr nur nach Russland zu reisen. Ein Faible hat Krajc-Vesely für die russische Geschichte, da kommen natürlich auch allerhand Kriege vor. Hinten im Feuervogel gibt es ein Extrazimmer, das früher die Raucherstube war. Dort hängt ein Gemälde vom Nationalhelden Dmitri Donskoi. Der Großfürst hatte im Jahr 1380 die Goldene Horde, einen Zusammenschluss von Mongolen, vernichtend geschlagen. Das Bild hat der russische Militärattaché dem Wirt geschenkt.

Nicht alles im Restaurant Feuervogel, das nach einem Ballett von Igor Strawinsky benannt ist, wirkt stilsicher in diesen Tagen. So kann man unter anderem ein "Kremldinner" inklusive üppiger Vorspeisen wie Lachsröllchen und Kaviareiern bestellen. Darüber, diesen Namen von der Karte zu streichen, habe er noch nicht nachgedacht, sagt Krajc-Vesely: "Zu viel Anpassung ist Feigheit." Und ja, man sehe die Flagge Russlands in seiner Auslage, "aber Russland wird nicht ewig ein Pariastaat bleiben".

Gulasch trotz Orbán

Im Sommer 2006 führte Deutschland eine Patriotismusdebatte, weil Abertausende während der Fußball-WM schwarz-rot-goldene Flaggen an ihre Autos montierten. Im Feuilleton lief manchen Kommentatoren angesichts der deutschen Geschichte und der Verbrechen des Nationalsozialismus ein kalter Schauer über den Rücken, die meisten Fußballfans sahen schon damals keinen Anlass zur Scham. Krajc-Vesely wäre damals wohl auf der Seite der Entspannten gestanden. Man müsse das Land und die politische Führung voneinander trennen, sagt er heute: "Ich bin auch nicht unbedingt immer ein Fan vom Viktor Orbán in Ungarn, trotzdem esse ich gerne ein Gulasch. Essen ist ja nicht politisch."

Peter Krajc-Vesely vor seinem Lokal.
Foto: Regine Hendrich

Der Angriffskrieg von Putin und seinen Schergen macht ihn aber fassungslos. "Das mit der Krim hätte alles eleganter gemacht werden können, mit ein bisschen Fantasie", wie er es formuliert. Wenn es nach ihm gegangen wäre und Krajc-Vesely das Gasthaus gegen den Kreml tauschen könnte, hätte es auf der Krim ein Referendum gegeben, unter Uno-Aufsicht. Alles friedlich, diplomatisch und am Ende wäre ein feierlicher Bruderschaftsvertrag in New York unterzeichnet worden. "Die Krim ist wirklich russisch", sagt er.


Foto: Regine Hendrich

Warum Putin Kiew und die gesamten Ukraine angriff, kann sich Krajc-Vesely nur mit falscher Beratung des Präsidenten erklären. Eine ähnliche Analyse lieferte übrigens dieser Tage der britische Geheimdienstchef Jeremy Fleming. Der Gastwirt sagt, das sei wohl ähnlich wie in der erfundenen Anekdote über Katharina die Große, wonach für die Kaiserin vom Feldmarschall Potjomkin hübsche Attrappendörfer entlang ihrer Wegstrecke errichtet worden seien, um ihr ein erfolgreiches Russland vorzugaukeln – die sprichwörtlichen Potemkin’schen Dörfer. "Dem Putin haben sie wohl so etwas Ähnliches weisgemacht über die Stärke der russischen Armee", vermutet Krajc-Vesely.

Nun ist er gekommen, der große Krieg. Damit wurde nicht nur das Klima für das älteste russische Restaurant in Wien rauer, sondern auch für die Russen und Russischstämmigen, die in Österreich leben. Man hört von Beleidigungen und Drohungen gegen Russinnen und Russen. Krajc-Vesely erzählt von einer Studentin, die gelegentlich bei ihm kellnert und an der Universität mit ihren Landsleuten mittlerweile lieber Englisch spricht. Auf Facebook und in anderen sozialen Medien entlädt sich gegen manche russischen Profile ohnehin die blanke Wut.

Frieden im Alsergrund

Der Feuervogel wird jedenfalls weiterhin fliegen, davon ist der Besitzer überzeugt. "Wir haben schon hundert Jahre lang alles überlebt. Und es wird hoffentlich bald einen Waffenstillstand geben", sagt er. Vielleicht ja sogar echten Frieden. Das wären zugleich gute Nachrichten für die Welt und für das kleine Restaurant in der Alserbachstraße. (Lukas Kapeller, 31.3.2022)