Bis auf die ÖVP fordern alle Parteien den Rücktritt Wolfgang Sobotkas (ÖVP) als U-Ausschuss-Vorsitzender.

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Wer am Donnerstag im U-Ausschuss dessen Vorsitzenden Wolfgang Sobotka beobachtete, hätte keinen Unterschied zu anderen Sitzungstagen bemerkt – er agierte so, als wäre nichts gewesen. Doch tags zuvor hatte sich etwas Gewaltiges getan: Da wurde bekannt, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) den türkisen Politiker nun als Beschuldigten führt. Es geht um mutmaßlichen Amtsmissbrauch in Sobotkas Zeit als Innenminister. Daran, den Vorsitz im U-Ausschuss abzugeben, denkt er aber trotz allem nicht, obwohl das inzwischen alle Parteien bis auf die ÖVP vehement fordern.

Der Fall, um den es geht, liegt mittlerweile fast fünf Jahre zurück und betrifft eine Postenbesetzung der Wiener Landespolizei. Damals bewarb sich mit Andrea Jelinek eine gut qualifizierte Kandidatin dafür. Die Juristin ist seit 2013 Leiterin der Datenschutzbehörde und blickt auf eine lange Karriere im Innenministerium und in der Polizei samt Führungspositionen zurück. Wie es scheint, hatte sie aber eines nicht: das richtige Parteibuch. Sie wurde zu ihrem Nachteil der SPÖ zugerechnet.

"Wen habt ihr denn zum LPD-Vize gemacht, über den sich die Sozen so aufregen?
Eine ehemalige Vertraute Gernot Blümels"

Chats von Sobotkas Kabinettschef, Michael Kloibmüller, zeigen, dass es der ÖVP sehr wichtig war, Jelinek mit allen Mitteln zu verhindern. Diese Riege dachte sogar darüber nach, eine Scheinkandidatin aufzustellen, um Jelinek zum Rückzug zu bewegen. Kloibmüller hatte für Sobotka aber gute Nachrichten: "Aber wie ich gesehen habe, dass wir unseren Mann durchbringen, dachte ich, den Sozen zu zeigen, wo der Hammer hängt."

Schlussendlich wurde dann mit Franz Eigner jener Mann Vizepolizeipräsident, den die ÖVP favorisierte. Das unterstrich Kloibmüller noch einmal, als sich eine Vertraute Gernot Blümels erkundigte, wen "ihr denn zum LPD-Vize gemacht habt, über den sich die Sozen so aufregen?".

Fast verjährt

Dem STANDARD liegt die Niederschrift der damaligen Begutachtungskommission vor. Auffällig erscheint dabei, dass bei Jelinek in der Bewertung wohl eine richtungsweisende Entscheidung vorgenommen wurde. Und zwar durch die Vorsitzende der Kommission selbst, die in der Polizei sowie im Innenministerium eine steile und einflussreiche Karriere hingelegt hatte und darüber hinaus einen engen Draht zu Kloibmüller gepflegt haben dürfte, wie Chats nahelegen. Jene Beamtin machte in der Sitzung am 5. April 2017 von ihrem Dirimierungsrecht Gebrauch. Das heißt, dass die Vorsitzende die Einschätzung über Jelineks Tauglichkeit für den Posten selbst in die Hand nahm. Am Ende war jene Kandidatin, der fehlende Kompromissbereitschaft attestiert wurde, nur in "hohem Ausmaß" geeignet und nicht in "höchstem Ausmaß" wie Eigner. Dieser leitete damals übrigens eine Abteilung im Innenministerium und hatte Erfahrung im Bereich Verfassungsschutz, was der Kommission bei Jelinek abging.

Nun wird gegen Sobotka sowie gegen Kloibmüller ermittelt. Ersterem wird vorgeworfen, seinen Ex-Kabinettschef angewiesen zu haben, die Besetzung Eigners vorzubereiten, und dass dies aus parteipolitischen Gründen passiert sei. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Dabei wäre die Causa beinahe schon verjährt. Die Abschrift der Chats soll über ein Jahr lang beim Bundeskriminalamt, das dem türkisen Innenressort untersteht, gelegen und nicht an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden sein, wie die ZiB 2 berichtete.

Sobotka hat es in der Hand

Der ehemalige grüne Abgeordnete Peter Pilz dürfte nun aber genau mit dem Hinweis der Verjährung Anzeigen eingebracht haben, wodurch die Justiz rasch tätig wurde. Pilz, der auch Herausgeber des Onlinemagazins Zackzack ist, berichtete als Erstes über die Chats von Kloibmüllers Handy und übergab sie auch der WKStA. Erwähnenswert erscheint, dass die Ermittlungen gegen Sobotka wohl erst durch die Außenstelle der Korruptionsjäger in Linz in die Gänge kamen.

Trotz alldem denkt Sobotka nicht daran, zur Seite zu treten und den Vorsitz im U-Ausschuss abzutreten. Selbst der grüne Koalitionspartner redet dem Nationalratspräsidenten mittlerweile deshalb ins Gewissen. Doch Sobotka ist davon unbeeindruckt, wischt die Ermittlungen mit dem Argument weg, dass er schon fünf Mal angezeigt worden sei. Letztlich bleibt es seine Entscheidung. Nur er kann den Vorsitz gemäß Verfahrensordnung an die anderen Nationalratspräsidentinnen abgeben. (Jan Michael Marchart, 1.4.2022)