Alternativen à la Amsterdam

Das alte Arbeiterviertel de Pijp im Süden ist bekannt als Quartier Latin Amsterdams.
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Gleich drei neue Museen hat Amsterdam in den letzten beiden Jahren dazubekommen: im Süden das größte Instagrammuseum Europas The Upside, im Norden NXT, ein Museum für neue Medienkunst, und Straat, das größte Street-Art-Museum der Welt. Letztere liegen am Nordufer vom Ij, einem ehemaligen Hafen- und Werftgelände, auf dem ein neues Kreativviertel entstanden ist mit Galerien, Künstlerateliers und witzigen Cafés. Sein Wahrzeichen ist das niederländische Filminstitut Eye, ein Entwurf der Wiener Architekten Delugan & Meissl, der an ein soeben gelandetes Ufo oder eine gigantische Auster erinnert. Gleich daneben liegt seit Juni 2021 Amsterdam VR Ride, wo man eine virtuelle Achterbahnfahrt durch die Stadt machen kann. Zu erreichen ist der neue Norden mit einer Armada von kleinen Fährbooten, die hinterm Hauptbahnhof ausschwärmen und zu einer kostenlosen Seereise einladen.

Ebenfalls Neues gibt es auf den Wallen, wie das berüchtigte Rotlichtviertel heißt. Die Lockdowns haben die Bewohner als Erlösung empfunden, schon zuvor hatten sie einen Katalog an Maßnahmen aufgestellt. Die Stadtregierung, die sich seit langem mehr Kulturtouristen wünscht und weniger Kiffer, hat einige umgesetzt: Gruppenführungen sind verboten worden, die Prostituierten sollen in ein neues Erotikzentrum umziehen. Die Zahl der Grachtenrundfahrtboote wurde dezimiert, für die Stadt gilt eine Touristenquote von maximal 20 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Wer unbedingt auf die Wallen will, tut das am besten frühmorgens. Für den Rest des Tages empfiehlt sich der Jordaan, ein idyllisches Viertel im westlichen Grachtengürtel und das alte Arbeiterviertel de Pijp im Süden, bekannt als Quartier Latin Amsterdams. (Kerstin Schweighöfer aus Amsterdam)

Anreise: Zum Beispiel täglich mit dem Nachtzug von Wien oder Innsbruck, Abfahrt gegen 20 Uhr, Ankunft gegen 10.30 Uhr, im Liegewagen hin und retour ab € 100,–
Unterkunft: Das Hoxton wirkt wie aus dem Einrichtungsmagazin und ist auch von coolen Läden umgeben: Herengracht 255, 1016 BJ, ab € 159,–
Essen & Trinken: Das Hap-Hmm serviert seit 1935 traditionelle holländische Hausmannskost, ist stets günstig geblieben und
daher immer voll. Keine Reservierungen!
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Barcelonas Bezirk für Neues

Das künftige Barcelona will mehr sein als Gaudí, Fußball, Strand und Kneipen.
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Barcelona kämpft seit Jahren gegen das, was neudeutsch Overtourism heißt – gegen den Massentourismus, der alles bestimmt. Die Stadt zählte vor der Pandemie 50 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Das Zentrum rund um die Plaça de Catalunya war völlig überlaufen. Vor der Pandemie sah ein Viertel der Bevölkerung den Tourismus als Problem, und mehr als die Hälfte der Besucher beschwerte sich über den Massenbetrieb. Seit Corona kommen weniger Besucher. Schilder mit der Aufschrift "Zu verkaufen" bestimmen die Altstadt.

Der Tourismusbeauftragte der Stadtverwaltung Xavier Marcé hofft auf die Rückkehr der Touristen, allerdings nicht so, wie es einmal war. "Nachhaltigkeit" und "Dezentralisierung" heißen die Schlagwörter, mit der die links alternative Stadtverwaltung unter der Bürgermeisterin und ehemaligen Aktivistin gegen Zwangsräumungen von Wohnungen, Ada Colau, den zurückkehrenden Tourismus gestalten will. Das heißt, "weg vom reinen Freizeittourismus" der Scharen, die für ein Wochenende im Billigflieger kommen, hin zu "Tourismus mit Mehrwert".

Das künftige Barcelona will mehr sein als Gaudí, Fußball, Strand und Kneipen. Es geht ihm um Kultur, um Technologie, Design und Bildung. Ein Beispiel dafür, wie das aussieht, ist das Poblenou, der sogenannte Distrikt 22@. Das ehemalige Industriegebiet wurde in den letzten Jahren zum Aushängeschild für moderne Architektur, Start-ups und schicke Showrooms. Immer mehr Touristen besuchen die Gegend. Hotels und Restaurants entstanden.

Diese Entwicklung wird durch eine Norm aus dem Jahr 2016 unterstützt, die neue Übernachtungsmöglichkeiten nur noch in Außenbezirken zulässt. (Reiner Wandler aus Barcelona)

Anreise: Zahlreiche Flüge (rund 3 h), Zug, am besten via Paris (19 h), und Bus (28 h) oder Zug nach Genua und Fähre
Unterkunft: Im Viertel Poblenou und nah am Strand z. B. das Hotel Paxton Barcelona, Zimmer um € 200,–
Essen & Trinken: Gehobene Küche zu vernünftigen Preisen findet man in Poblenou im L’Artesana
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Berlin bleibt in Bewegung

Die Berliner und Berlinerinnen waren immer schon ein Draußen-Volk.
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Die Berliner und Berlinerinnen waren immer schon ein Draußen-Volk. Erste Sonnenstrahlen, schwupp, schon sitzen sie vor dem Café. Die Pandemie hat das natürlich verstärkt, man musste während der diversen Lockdowns ja seinen Drink am Gehsteig schlürfen.

Jetzt sind die Lokale wieder offen, aber der Park ist nach wie vor das Wohnzimmer. Noch mehr Menschen hängen im Freien rum, zu noch größeren Anziehungspunkten sind Brücken geworden – durchaus die schönen ruhigen wie die Admiralbrücke in Kreuzberg oder die kleinen über den Landwehrkanal in Neukölln. Da reicht am Abend auch das Bier aus dem Späti. Mit diesem in der Hand und einem Zweitflascherl im Tascherl gesellt man sich auch auf größeren Brücke zueinander. Heimelig ist es weder an der Warschauer Straße über den S-Bahn-Gleisen noch an der Kottbusser Brücke. Dafür lohnt der Ausblick.

In den derzeit angesagten Neuköllner Reuterkiez braucht selbstverständlich niemand Flüssiges selbst mitbringen. Sudanesisches Essen, Bars, kleine Bäckereien, Läden – es ist alles da. An den Hauswänden sieht man auch mal einen Aufruf zur Anarchie, das erinnert an Kreuzberg, als es früher noch wilder war.

Wer es strukturierter und effizienter mag, bucht eine der vielen Berliner Food-Tours. Ob Börek oder Currywurst, angeboten wird die ganze Bandbreite, Stadtgeschichte gibt es obendrein. Die Kalorien kann man dann ja innerstädtisch gleich am Tempelhofer Feld abstrampeln. Rad ausleihen und ein paar Runden auf dem Rollfeld eines alten Flughafens drehen – das gibt es nur in Berlin. (Birgit Baumann aus Berlin)

Anreise: Zum Beispiel täglicher Nachtzug von Wien, Abfahrt 20.10 Uhr, Ankunft 10.03 Uhr, Liegewagen hin und retour ab € 100,–
Unterkunft: Nach völliger Umgestaltung hat am Gendarmenmarkt das Hotel Luc wieder offen, ab rund € 300,–
Essen & Trinken: Food-Touren wie die von Fork and Walk sind ideal, um Berlins kulinarische Nischen zu entdecken
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London lockt im Süden

In der Pandemie haben Bürgermeister Sadiq Khan und die Stadtbezirke vielerorts neue Radwege angelegt und mehr Platz für Fußgänger geschaffen.
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Die improvisierten Impf- und Testzentren sind aus dem Stadtbild verschwunden. Bemerkbar macht sich die Corona-Pandemie aber in London noch immer, und zwar auf positive Weise: Für viele Konzerte und Theatergigs, die sonst rasch ausverkauft sind, gibt es in diesen Wochen noch Karten. Auch die Museen und Kunstgalerien haben reichlich Tickets übrig. Sehenswert ist etwa die große Stonehenge-Schau im British Museum, wo der mysteriöse Steinkreis in seinen zeitgenössischen europäischen Zusammenhang gestellt wird. Die Courtauld-Galerie hat eine spektakuläre Zusammenschau der Selbstporträts von Vincent van Gogh zu bieten.

In der Pandemie haben Bürgermeister Sadiq Khan und die Stadtbezirke vielerorts neue Radwege angelegt und mehr Platz für Fußgänger geschaffen. Das macht die Erkundung der großen Stadt mit Leihrädern, viele mit E-Motor ausgestattet, noch attraktiver.

Abseits des großen Touristenstroms liegen im Süden der Stadt beispielsweise die angesagten Stadtteile Camberwell und Peckham. Letzteres Viertel hat seinen notorischen Ruf als Kriminalitätshotspot abgestreift, vergleichsweise günstige Mieten ziehen junge, kreative Leute an. Alte Fabriketagen bieten Künstlern billige Ateliers, eine florierende Jazzszene sorgt ebenso für Atmosphäre wie allerlei Hipster-Cafés oder das frühere Parkhaus Peckham Levels, wo sich jetzt Straßenbands und Verköstigungsbuden um die Stellplätze streiten. Das Bussey-Building lockt mit einer Rooftopbar und Comedyshows – Peckham ist allemal einen Ausflug wert. (Sebastian Borger aus London)

Anreise: Zahlreiche Flüge (rund 3 h), die Zugverbindungen via Frankfurt und Brüssel dauern gar nicht so absurd lange (13,5 h)
Unterkunft: Das Chiswick Hometel im Westen der Stadt wirtschaftet komplett klimaneutral, ab € 170,–
Essen & Trinken: In der Gegend rund um Copeland Park und Bussey-Building gibt es kulinarisch alles, was der Hipster-Magen begehrt
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Paris wirkt verkehrsberuhigter

Die Terrassen mögen noch etwas weniger voll sein als früher, die Autostaus weniger dicht; dazu ist die Rue de Rivoli heute verkehrsberuhigt. Doch wer würde sich darüber beklagen?
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Die Defätisten an der Seine meinten schon, sie hätten in der Pandemie endlich recht behalten. "Paris wird nie mehr sein wie zuvor", klagte Le Nouvel Economiste im Mai 2020, als die französische Hauptstadt im Lockdown zeitweise wie ausgestorben wirkte. Irrtum: Wie der Stadtslogan "Fluctuat nec mergitur" besagt, schwankt Paris vielleicht ab und zu – aber ohne je unterzugehen. Die Terrassen mögen noch etwas weniger voll sein als früher, die Autostaus weniger dicht; dazu ist die Rue de Rivoli heute verkehrsberuhigt. Doch wer würde sich darüber beklagen?

Im Gegenteil hat die Stadt die Ruhe des ersten Covid-Jahres dazu genutzt, ein paar neuen Hotspots des Pariser Lebens den letzten Schliff zu geben. Mitte 2021 eröffnete der Unternehmer François Pinault seine starke Sammlung zeitgenössischer Kunst in der ehemaligen Handelsbörse, der Bourse de commerce. Für Stadtwanderer liegt sie mitten in der imaginären Museumsmeile zwischen Musée du quai Branly, Musée d’Orsay, Louvre und Centre Pompidou.

Noch fast ein Geheimtipp ist das restaurierte Hôtel de la Marine am Concorde-Platz: Das Stadtpalais präsentiert seit Ende 2021 eine ebenso spektakuläre Sammlung von Kunstschätzen des katarischen Scheichs Hamad. Der ehemalige Sitz der französischen Marine zeigt authentische Räume des Ancien Regime und des Second Empire. Das Café Lapérouse, das die Atmosphäre eines vornehmen Wiener Kaffeehauses verströmt, mausert sich zu einem neuen Treffpunkt der Pariser Trendsetter. Nein, die Seine-Stadt geht so schnell nicht unter. (Stefan Brändle aus Paris)

Anreise: Zum Beispiel Nachtzug von Wien (19.40 Uhr, Mo, Do und Sa), Ankunft 09.42 Uhr, Liegewagen hin und retour ab € 100
Unterkunft: Das Hôtel Marais Home liegt mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis nahe République, ab rund € 170,–
Essen & Trinken: Die Karte des Café Lapérouse ist fast so lang und
luxuriös wie jene der großen Restaurant-Schwester
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Rom entdeckt seine Arbeiterviertel

Rom heißt ja nicht umsonst die "Ewige Stadt". Das Kolosseum, das Pantheon, der Petersdom, das Forum Romanum: Sie bleiben die zentralen Attraktionen
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Eine Stadt wie Rom, die fast dreitausend Jahre Geschichte auf dem Buckel und schon mehrere Barbaren-Invasionen erlebt hat, lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Auch nicht von einer Pandemie. Aber die lange Geschichte macht etwas träge und resistent gegen Veränderungen: Rom heißt ja nicht umsonst die "Ewige Stadt". Das Kolosseum, das Pantheon, der Petersdom, das Forum Romanum: Sie bleiben die zentralen Attraktionen für alle Besucherinnen und Besucher. Noch in tausend Jahren, ist anzunehmen.

Auch die Gastro- und Ausgehmeilen sind auf den ersten Blick immer dieselben, seit Jahrhunderten: das Trastevere, der Testaccio, der Campo de’ Fiori, das Monti-Quartier. Aber für die jungen und trendigen Römerinnen und Römer spielt die Musik nun abseits des Centro Storico: Die Movida hat sich in den letzten Jahren ins Studentenquartier San Lorenzo, ins ehemalige Arbeiterviertel Garbatella und vor allem in das Multikulti-Viertel Pigneto verschoben.

Das zwischen den beiden Ausfallstraßen Via Prenestina und Via Casilina eingequetschte ehemalige Proletarierviertel ist zu einem kulturell und gastronomisch lebendigen Bezirk geworden, mit unzähligen Bars, Trattorien, Enotheken, Musikschuppen, Boutiquen, Läden und Märkten. Einer der Ersten, der das Quartier entdeckte, war Pier Paolo Pasolini, der 1961 rund um die Trattoria Necci dal 1924 seinen Film Accattone drehte. Das Necci ist heute noch einer der beliebtesten Treffpunkte – aber es hat sehr viel und sehr gute Konkurrenz erhalten. (Dominik Straub aus Rom)

Anreise: Zum Beispiel täglicher Nachtzug von Wien (19.23 Uhr) und Salzburg (22.02 Uhr), Ankunft 10.45 Uhr, Liegewagen hin und retour ab € 100,–
Unterkunft: Besser als die frühere Papst-Residenz Eitch Borromini kann ein Hotel in Rom nicht liegen, ab € 200,–
Essen & Trinken: An der Piazza del Pigneto reiht sich ein lässiges Lokal ans andere, z. B. die Trattoria Pigneto Roma ans Restaurant Va.Do.
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