Der Bundespräsident ist in Österreich nahezu unantastbar. Kaum jemand wagt es, sich ihm entgegenzustellen. Alexander Van der Bellen kann sich deshalb fast alles erlauben. Noch dazu ist er seit Jahren die einzige staatspolitische Konstante im Land. Wir haben gelernt: Auf die Verfassung ist Verlass; und immerhin auch auf den Bundespräsidenten. Aber aktuell macht er einen Fehler. Man könnte fast sagen: Van der Bellen verhält sich demokratiefeindlich.

Im Herbst soll die Bundespräsidentenwahl stattfinden. Das sieht die Verfassung so vor. So gut wie alle politischen Beobachterinnen und Beobachter rechnen damit, dass Van der Bellen noch einmal antreten wird. Und er selbst weiß nach mehr als fünf Jahren Bedenkzeit im Amt ganz gewiss, wie er vorgehen möchte. Doch er äußert sich dazu nicht.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird wohl wieder bei der Bundespräsidentenwahl antreten.
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Polittaktisch ist das schlau von Van der Bellen. Durch sein Schweigen verschafft er sich einen Vorteil – auf Kosten des demokratischen Wettbewerbs. Denn seine potenzielle Konkurrenz verhält sich wie gelähmt; keine andere Partei baut ernsthaft einen Gegenkandidaten oder eine Gegenkandidatin auf. In der SPÖ wie auch der ÖVP haben sich gewichtige Funktionärinnen und Funktionäre bereits dafür ausgesprochen, gegen Van der Bellen erst gar niemanden ins Rennen zu schicken. Selbst Norbert Hofer – der erfolgreich gescheiterte blaue Präsidentschaftskandidat von 2016 – möchte angeblich nur antreten, wenn es der ehemalige Grünen-Chef Van der Bellen nicht tut. Die FPÖ will zwar auf jeden Fall einen Kandidaten stellen – wen, hängt aber auch von Van der Bellens Beschluss ab.

Unklare Bedingungen

Konkret bedeutet das: Abseits von Außenseiterkandidaten bereitet diese Wahl niemand ordentlich vor – weil die Bedingungen nicht klar sind. Van der Bellen hingegen ist in den vergangenen Wochen so oft bei Veranstaltungen aufgetreten wie selten zuvor. Es scheint, er befindet sich bereits im Wahlkampf – offenbar mit sich selbst. Gleichzeitig raubt er durch seine Verzögerungstaktik den anderen Zeit, um je nach Spielaufstellung die richtige Entscheidung zu treffen.

Van der Bellen wird wohl antreten. Das steht allein aus diesem Grund fest. Er kann unmöglich so verantwortungslos sein, seine Kandidatur, von der alle ausgehen, kurzfristig abzusagen. Die Wahl würde er mutmaßlich gewinnen – deshalb bemüht sich ja derzeit sonst kaum jemand um den höchsten Job im Staat. Kandidiert er hingegen – wider Erwarten – nicht, müssten sich die anderen auf eine Wahl mit völlig offenem Ausgang einstellen. Und die Bevölkerung braucht Zeit, um sich über Kandidaten eine Meinung zu bilden. Das nennt man Demokratie – und diese sollte ein Präsident stärken, nicht behindern.

Im Jänner hat Van der Bellen angekündigt, seine Entscheidung bald zu verkünden. Jetzt ist April. Es ist auch noch nicht lange her, da hat er die Parteien aufgefordert, Taktik hintanzustellen. Österreicherinnen, Österreicher und alle, die hier leben, dürfen sich dasselbe von ihm erwarten: Er soll endlich offen sagen, was ist. Das Land braucht Klarheit, die Zeiten sind unsicher genug. (Katharina Mittelstaedt, 3.4.2022)