Florian Klein hofft, dass sich der ÖFB nicht nur in Österreich nach einem neuen Teamchef umschaut.

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Für das ÖFB-Team kam Klein auf 45 Länderspiele, bei der EM 2016 war er in allen drei Gruppenspielen im Einsatz.

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Unter Marcel Koller war Florian Klein als Außenverteidiger ein Fixpunkt im ÖFB-Team. Als Fußballexperte von Servus TV kritisierte der 35-jährige Linzer die Ära Franco Foda. Der neue Teamchef muss kein großer Name sein.

STANDARD: Österreich steht nach der gescheiterten Qualifikation für die WM in Katar wieder vor einem Neuanfang. Die Spieler sagen, es passen nur Kleinigkeiten nicht. Kritiker wie Sie können im ÖFB-Team keinen eigenen Spielstil herauslesen. Wo liegt die Wahrheit?

Klein: Beim Nationalteam ist es nicht leicht, einen eigenen Spielstil zu kreieren. Die Spieler kommen aus unterschiedlichen Mannschaften und Systemen. Das heißt aber nicht, dass es unmöglich ist, Richtlinien weiterzuentwickeln. Eine offensivere Ausrichtung, mehr mutiges Draufgehen auf den Gegner würde uns guttun.

STANDARD: Salzburg ist national unangreifbar, sorgt international für Furore. Ist der Red-Bull-Pressing-Fußball, den sich so viele Fans wünschen, im Nationalteam implementierbar?

Klein: Man sagt immer, Deutschland spielt wie der FC Bayern. Mit Neuer, Müller, Kimmich, Gnabry und Sane bildet aber auch die halbe Bayern-Mannschaft das Grundgerüst im DFB-Team. Mit Seiwald und Ulmer spielen gerade mal zwei Salzburger im ÖFB-Team. Natürlich gibt es aktuelle Teamspieler, die Red-Bull-Vergangenheit haben. Aber diese Art von Fußball musst du jeden Tag trainieren. Unter Roger Schmidt ist der Pressing-Fußball nach Salzburg gekommen. Wenn ich zehn Tage beim ÖFB-Team war, merkte man mir das bei meiner Rückkehr zum Klub an. Ich war nicht so schnell im Umschaltspiel, nicht so aktiv im Gegenpressing. Das ist kein leichter Spielstil.

STANDARD: Ist dieser Überfallfußball das Maß aller Dinge? David Alaba kommt nicht aus der Salzburger Schule, spielt beim renommiertesten Klub der Welt, ist der erfolgreichste österreichische Fußballer aller Zeiten.

Klein: Natürlich nicht. Um als österreichische Mannschaft international mithalten zu können, führt aber kein Weg am Salzburger Stil vorbei, dazu fehlt uns individuelle Qualität. Salzburg nimmt seinen Gegnern ihre Stärken. Sevilla setzt normalerweise stark auf Ballbesitz. Gegen Salzburg hatten sie in der Champions League keine Chance, sind nie ins Spiel gekommen. Bei Bayern war vor allem im Spiel in München die Qualität einfach zu groß. Topteams wie Real Madrid oder Manchester City brauchen nicht dauernd pressen.

STANDARD: Marcel Koller startete erfolgreich, aber auch die Ära des Schweizers endete wenig ruhmreich. Gab es damals positive Entwicklungen, an die man sich heute wieder erinnern sollte?

Klein: In der Qualifikation für die EM 2016 haben wir Pressing gespielt, mit Junuzovic, Arnautovic oder Harnik. Das ist schon möglich, halt nicht so extrem wie bei Salzburg. Koller wollte das. Das hat sich kontinuierlich über die Jahre hinweg entwickelt. Bei jedem Lehrgang waren die gleichen Spieler, es gab kaum Veränderungen im Kader. Die Startelf war quasi in Stein gemeißelt. Da wurde höchstens einmal auf der Innenverteidiger-Position rotiert, wo es unter Dragovic, Hinteregger und Prödl sehr starke interne Konkurrenz gab. Wir haben mutig gespielt, aber auch mal ein 1:0 verteidigen können.

STANDARD: Es ist immer von "goldener Generation" die Rede. Sportdirektor Peter Schöttel relativiert das, sieht einen Spieler bei einem Spitzenklub, manch andere seien keine Schlüsselspieler bei ihren Vereinen. Ist das ein Kader, wo man eine WM-Qualifikation einfordern kann?

Klein: Rein mathematisch ist es natürlich schwieriger sich für eine WM als für eine EM zu qualifizieren. Trotzdem muss eine Teilnahme unser Anspruch sein. Wir haben einen Weltstar, allerdings einen in der Defensive. Alaba wird kein Spiel offensiv entscheiden im Gegensatz zu einem Ronaldo. Wir haben sehr gute Spieler, die bei ihren Vereinen Stützen sind, wenn auch nicht durch die Bank wie etwa bei Dänemark oder der Schweiz.

STANDARD: Die Schweiz ist Stammgast bei Weltmeisterschaften. Was macht unsere Nachbarn besser als wir?

Klein: In Summe hat die Schweiz immer noch mehr Spieler, die bei ihren Vereinen größere Rollen übernehmen. Ebenso die Dänen, die mittlerweile viele Spieler haben, die bei großen Vereinen Verantwortung übernehmen. Das ist eine Qualität, die wir noch nicht haben, so ehrlich muss man sein.

STANDARD: Schöttel schlägt einen Teamchef vor, abgesegnet wird dieser durch die Landespräsidenten, also von Juristen, Managern und Ex-Bürgermeistern, deren Fachkompetenz kritisiert wird. Braucht der ÖFB nicht zuallererst einmal eine Verbandsreform, bevor ein neuer Teamchef bestellt wird?

Klein: Man darf nicht den Fehler machen und gleich alles verteufeln. Wir haben eine super Ausbildung in den Akademien, unsere Nachwuchs-Nationalteams sind erfolgreich. Wir hatten vier Klubs im Europacup, drei davon haben dort überwintert. In der Teamchefsuche kann es sicher nicht schaden, so viele Informationen wie möglich einzuholen. Auch von ehemaligen ÖFB-Legionären, die über viel Erfahrung verfügen, wie Fußball in anderen Ländern erfolgreich gespielt wird. Dass Entscheidungsträger keine große Fußballvergangenheit haben, erlebt man häufig. Da ist Offenheit gegenüber Meinungen von Fachleuten gefragt.

STANDARD: Marc Janko glaubt nicht an eine baldige Reform des föderalistischen Systems im ÖFB. Das sei in etwa so wahrscheinlich, wie dass Kim Jong-un Südkoreaner wird.

Klein: Ich finde es wichtig, dass es nicht nur Jasager gibt. Peter Schöttel hat seine ganze Fußballkarriere in Österreich verbracht, ihm fehlt womöglich der Weitblick. Da macht es sicherlich Sinn, sich von Kollegen aus der Branche Ratschläge zu holen. Ich hoffe, der ÖFB macht es sich nicht zu einfach.

STANDARD: Salzburgs Sportdirektor Christoph Freund gilt als Einflüsterer von Schöttel.

Klein: Freund hat sich mit Salzburgs Erfolgen ein tolles Standing im internationalen Fußball erarbeitet. Es geht um Informationsaustausch. Wie installiert Salzburg seine Trainer, entwickelt seine Philosophie? Dort werden laufend sowohl neue Spieler als auch neue Trainer geformt, greifen die Räder vom Nachwuchs bis zu den Profis Hand in Hand. Das ist im Nationalteam so nicht möglich, weil zu wenig Zeit vorhanden ist. Aber vielleicht kann man sich Ansätze zu eigen machen.

STANDARD: Ist es für den Verband überhaupt realistisch, einen Trainer wie Adi Hütter oder Oliver Glasner in deren besten Jahren zu bekommen? Viele Trainer sehen den Teamchefposten als letzten Job vor der Pension.

Klein: Gegenfrage: Wer garantiert dir, dass es mit einem Glasner, Hütter oder Hasenhüttl funktioniert? Die Bestellung von Foda war prinzipiell nicht falsch, er war in Österreich Meister und Cupsieger, Sturm Graz spielte einen starken Fußball. Nach einer Zeit gilt es aber, zu evaluieren. Foda hat nicht zu den Spielertypen gepasst. Vielleicht ist es gar nicht notwendig, einen großen Namen zu holen.

STANDARD: Franco Foda verabschiedete sich mit einer Wutrede, kritisierte sowohl ORF-Analytiker Roman Mählich als auch Sie explizit.

Klein: Ich habe Fodas Erfolge gelobt, ihn nicht persönlich angegriffen. Wenn er so reagiert, dann ist das sein Problem.

STANDARD: Wen würden Sie sich als Teamchef wünschen?

Klein: Es werden immer die gleichen Namen genannt. Koller hatte damals niemand auf dem Radar, und er hat eingeschlagen. Einen Wunschkandidaten habe ich nicht. Wäre ich Sportdirektor, würde ich mir zehn, 15 Spiele von jedem Kandidaten anschauen. Und zwar komplette Partien, sowohl gegen stärkere als auch gegen schwächere Gegner. Am Beispiel Peter Stöger: Überall, wo er Erfolg hatte, ob bei der Austria oder in Köln, gab es immer ein Team ohne richtige Stars. Eine kompakte Einheit, mit schnellem Umschaltspiel, aber kein wildes Pressing oder zu viel Fokus auf Ballbesitz. Ich muss genau wissen, wofür der jeweilige Trainer steht. Die Zeit im Fußball ist so schnelllebig und intensiv, man muss auch auf Berater zugehen und mit Kandidaten reden, die vielleicht nicht in der engeren Auswahl stehen. Um daraus weitere Schlüsse zu ziehen.

STANDARD: Was muss explizit ein Teamchef noch mitbringen außer eine klare taktische Handschrift?

Klein: Er muss eine gute Krisenfeuerwehr sein, wenn es sportlich nicht so gut läuft, also extrem viel nach außen kommunizieren können, wenn es Kritik hagelt. Und er darf nicht schnell beleidigt sein, worunter seine Arbeit womöglich leidet.

STANDARD: Sollte der neue Teamchef deutschsprachig sein?

Klein: Es wäre sinnvoll, ist aber in meinen Augen kein Muss. Ein guter Trainer, der Englisch spricht, kann seine Inhalte auch rüberbringen. Auf Klubebene ist der Faktor Sprache wichtiger. Das ist auch ein Punkt, den Bayern-Trainer Julian Nagelsmann angesprochen hat. Als Real Madrid bei ihm anrief, sagte er ab mit der Begründung, dass er er kein Wort Spanisch spricht.

STANDARD: Würden wir heute ein anderes Gespräch führen, wenn Christoph Baumgartner nicht die Latte, sondern zur Führung gegen Wales getroffen hätte?

Klein: Egal, ob man erfolgreich ist oder nicht, zwischendurch bedarf es rationaler Analysen. Hätten wir die Chance genützt, hätte es im Gesamten vielleicht trotzdem nicht gepasst. Im Augenblick des Erfolgs schaut man gerne über Dinge hinweg, die auf lange Sicht problematisch werden können. (Florian Vetter, 2.4.2022)