Nach zwei Jahren Corona und noch nicht überstandener Pandemie gilt es für Tourismusbetriebe die nächste schwere Belastungsprobe zu meistern. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, den Bildern zerbombter Städte, dem unermesslichen Leid und Millionen Vertriebener ist für die Branche nichts mehr wie es vor dem 24. Februar war, dem Überfall von Putins Truppen auf das Nachbarland. Standen die Zeichen vorher klar auf Aufschwung, hängt nun ein Fragezeichen mehr am Firmament.
"Anhand der bisherigen Rückmeldungen blicken wir einem sehr guten Sommer entgegen," sagte Robert Seeber, Obmann der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft, bei einem Tourismusseminar in Hochfügen. Die Buchungslage sei durchwegs gut, auch zu Ostern und auch in der Stadthotellerie, die am stärksten unter dem Ausbleiben internationaler Gäste in der Pandemie gelitten hatte und sich zuletzt durch Messen, Kongresse und Firmenveranstaltungen wieder aus dem Tief herauszubewegen schien.
Krieg als große Unbekannte
Die große Unbekannte aber sei der Krieg in der Ukraine. Sollte sich dieser noch länger hinziehen, werde es wohl nichts mit einer raschen Rückkehr von Gästen aus den USA oder Asien nach Europa. "Dort wird nicht differenziert nach Ländern," sagte Seeber. "In Europa ist Krieg, das hat sich schon in den Köpfen festgesetzt."

Der Ausfall russischer und ukrainischer Gäste, die in Vor-Corona-Zeiten für etwa zwei Prozent der Gesamtnächtigungen in Österreich verantwortlich waren, sei "schmerzhaft, aber verkraftbar". Wien war in den vergangenen Jahren das Ziel Nummer eins von russischen Gästen, dicht gefolgt von Tirol mit Hot Spots wie Sölden, Mayerhofen, Ischgl und Kitzbühel. Die schwerwiegendere Auswirkung des Kriegs an Europas Außengrenze seien die nach oben geschnellten Energiepreise, die sich in deutlich höheren Lebenshaltungskosten niederschlagen. Das werde zur Beschleunigung eines Trends beitragen, der sich laut Zukunftsforscher Andreas Reiter bereits abgezeichnet habe: Eine Ausdünnung der Mitte bei gleichzeitig aufgehender Schere zwischen ganz günstig und sehr teuer.
Sinkende Kaufkraft
Die hohe Inflation führe zu einem Rückgang der Kaufkraft. "Das heißt aber nicht, dass die Menschen zuhause bleiben; viele werden aufgrund ihrer verschlechterten finanziellen Situation vermehrt Low-Budget-Angebote suchen," sagt Reiter vorher. Nicht zuletzt aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, die von den Hoteliers weitergereicht werden müssten, werde Urlaub in Österreich teurer. Wer es sich leisten könne, sei durchaus bereit, mehr zu zahlen – vorausgesetzt, das Angebot ist entsprechend gut. Betriebe der Zwei- oder Drei-Sterne-Kategorie, die das mittlere Segment abdecken, kämen hingegen zunehmend unter Druck. So mancher Betrieb würde dem Druck, geschwächt noch von Corona, wohl nicht standhalten können und werde wohl Insolvenz anmelden müssen.

Investitionen in Qualität und Nachhaltigkeit bis hin zur Frage, wie mit dem Zug anreisende Urlaubsgäste zu ihrer Unterkunft gebracht werden, könnten die Resilienz, sprich die Widerstandsfähigkeit der Branche erhöhen, sagt Mike Peters vom Institut für strategisches Management, Marketing und Tourismus der Universität Innsbruck. Der Tourismusexperte befürwortet auch Obergrenzen, sowohl was die Zahl der Zimmer pro Betriebsstätte als auch die Zahl der Nächtigungen in Tourismushochburgen betrifft. Nur so könnten mittel- bis langfristig Konflikte zwischen Einheimischen und Gästen vermieden werden.
Omikron treibt um
Kurzfristig treibt die Touristiker noch ein anderes, nur zu gut bekanntes Gespenst um: Omikron bzw. neue Varianten oder Mutanten davon. Um im Herbst nicht neuerlich in einen Lockdown zu stürzen fordert Spartenobmann Seeber "eine faktenorientierte Diskussion", wie man mit dem Impfen in Österreich weitermacht. Vorstellbar für ihn sei, dass die Impfpflicht auf vulnerable Personen, insbesondere Menschen über 55 oder 60 Jahre, eingeschränkt wird. Seeber: "Man muss das jetzt diskutieren und eine Entscheidung treffen, im Herbst ist es zu spät." (Günther Strobl aus Hochfügen, 2.4.2022)