In Ägypten werden die Straßen für den Ramadan geschmückt.

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US-Außenminister Antony Blinken drückte sich in Algerien, der letzten Etappe seiner Tour im Nahen Osten und Nordafrika, vor Journalisten drastisch aus: Der Ukraine-Krieg scheine weit weg zu sein, aber er werde eine "tödliche" Wirkung in der arabischen Welt haben. Die steigenden Lebensmittelpreise stellten eine "schwerwiegende Bedrohung für die Sicherheit" gewisser Staaten dar. Nicht nur die Knappheit der Güter befeuert den Preisschub, sondern auch die steigenden Energiekosten für Transport und Verarbeitung.

Am Samstagabend beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan, in dem sich Muslime und Musliminnen weltweit untertags jeder Art von Konsumation enthalten – und nach Einbruch der Dunkelheit Familie und Freunde umso üppiger bewirten.

In normalen Zeiten ist die Ramadan-Tafel mit einer Vielfalt der jeweils für das Land typischen Speisen gedeckt. Aber dieses Jahr werden viele Familien im Nahen Osten und in Nordafrika froh sein, wenn sie überhaupt etwas auf den Tisch bringen. Auch die Wohlfahrtsnetzwerke, die im Ramadan Essen für Ärmere organisieren, drohen teilweise auszufallen, berichten Aktivisten.

Krieg und Dürre

Praktisch alle Grundnahrungsmittel sind betroffen – in Gesellschaften, in denen sich viele Menschen ohnehin fast ausschließlich davon ernähren: Mehl, Öl, Reis sowie Zucker, Tee und Datteln, die fürs Fastenbrechen traditionell üblich sind. Zum durch den Ukraine-Krieg drohenden Ausfall von Weizen und Sonnenblumenöl kommt in manchen Ländern, etwa in Marokko, die Dürre. Nicht nur Fleisch und Fisch werden zum Luxus, sondern teilweise auch Gemüse und Obst. Und von den neuen Kleidern, die man sich für den Ramadan kauft, können Millionen nur träumen.

Auch die Ausfuhrsperren werden nur vorübergehend helfen. Marokko hat den Export von Tomaten gestoppt, Ägypten jenen von Getreide und Hülsenfrüchten. Gleichzeitig bemüht sich Kairo um Finanzhilfe beim Internationalen Währungsfonds sowie in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Rund 80 Prozent der ägyptischen Weizenimporte kommen aus der Ukraine und Russland. In dieser Beziehung noch schlimmer dran sind der Libanon mit 96 Prozent und der Sudan mit 92. Im Jemen sind es zwar weniger als 50 Prozent, aber im Kriegsland sind immer mehr Menschen direkt vom Hungertod bedroht. Eine UN-Spendenkonferenz Mitte März brachte ein Drittel der vom World Food Program (WFP) benötigten Mittel auf, einer Afghanistan-Konferenz am Donnerstag erging es nur marginal besser.

Nach Syrien, wo die Menschen nicht nur an den Kriegsfolgen, sondern auch unter harten Sanktionen leiden, hat Russland die Weizenimporte reduziert, obwohl es mit dem Regime von Bashar al-Assad verbündet ist. Obwohl die Regierung versuchte, durch Pensionserhöhungen entgegenzusteuern, brachen im Süden des Irak bereits Mitte März Proteste aus, als sich die Preise von Weizen und Öl verdoppelten. Es gibt kaum ein Land in der Region, das nicht betroffen ist.

Erinnerung an 2011

Zwar passte das nicht so sehr zur damaligen westlichen Erzählung über die nach Freiheit strebenden Menschen, aber auch 2011, beim sogenannten Arabischen Frühling, spielten die – verkürzt ausgedrückt – "Brotpreise" eine wichtige Rolle. Die Ausläufer der weltweiten Finanzkrise hatten damals auch die arabischen Staaten erfasst. In Tunesien und Ägypten konnten die morschen Regime den Massenprotesten von meist jungen perspektivlosen Menschen nicht standhalten, in Libyen half die Nato nach, im Jemen organisierten die Golfstaaten den Exit des Machthabers.

Aber seit dem Umsturzjahr ist die soziale und die wirtschaftliche Situation fast überall noch schlechter geworden, nicht nur die Kriegsländer wie Syrien, Libyen und der Jemen sind wirtschaftlich schwer gezeichnet. Der Ramadan, sonst ein Monat der Freude, wird den Menschen ihre Misere noch deutlicher vor Augen führen.

Die Revolten von 2011 wurden nicht vorausgesagt. Aus den Worten Blinkens ist zu schließen, dass die USA mit der Möglichkeit neuer Aufstände in der Region rechnen. Wenn die Menschen verzweifelt genug sind, dann wird das Argument Stabilität nicht mehr zählen, mit dem etwa Abdelfattah al-Sisi Ägypten nach Jahren der Unruhe mit harter Hand befriedet oder Tunesiens neuer Autokrat Kais Said das demokratische Experiment beendet hat.

#RevolutionDerHungrigen

Sisi hat das 2016 gegebene Versprechen, dass die Preisstützungen für Brot nie angetastet werden, längst gebrochen. Auf sozialen Medien kursiert der Hashtag #RevolutionDerHungrigen. Ob die Mobilisierung jemals eine kritische Masse erreicht, ist unklar. Die letzte Revolution hat in den Augen vieler alles nur noch schlechter gemacht. Und Sisi ist nicht Hosni Mubarak, der 2011 nach dreißig Jahren seinen eigenen Militärs zur Last geworden war. Wenn es einen Gewinner der Sisi-Jahre gibt, dann ist es die Armee.

Aber unter der Oberfläche brodelt es in vielen Ländern. In Beirut stürmten am Freitag Demonstranten das Energieministerium, Bilder von Präsident Michel Aoun – dessen Amtszeit ohnehin bald abläuft – wurden zerrissen. Im Mai soll im Libanon gewählt werden. Allerdings braucht die staatliche Elektrizitätsgesellschaft 16 Millionen US-Dollar, um am Wahltag landesweit für Strom zu sorgen. Die Regierung weiß jedoch nicht, woher sie das Geld nehmen soll. Im Libanon ist der Staat im Grunde bereits kollabiert.

Im Jemen einigten sich die Kriegsparteien – die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen sowie die international anerkannte Regierung, für die auch eine saudisch-geführte Koalition mit einem Luftkrieg kämpft – am Freitag aus Anlass des Ramadans immerhin auf einen zweimonatigen Waffenstillstand. Für die Versorgung der Bevölkerung werden sowohl der Flughafen von Sanaa als auch der Hafen in Hodeidah geöffnet. Ob die geplanten Hilfslieferungen bei den Menschen ankommen und nicht in dunklen Kanälen versickern – und von den Kriegsgewinnlern zu viel Geld gemacht werden –, ist die andere Frage. (Gudrun Harrer, 2.4.2022)