Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat einen Boykott russischen Gases bereits ausgeschlossen. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sucht Alternativen.

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Alle wollen raus aus russischem Gas. Die EU will ab 2027 kein Gas mehr aus Putins Reich beziehen, Deutschland will Moskau schon drei Jahre früher den Hahn zudrehen: Bis zum Sommer 2024 soll das Land unabhängig von russischem Gas sein, kündigte Wirtschaftsminister Robert Habeck an. Die Wirtschaft agiere hier "in einem Wahnsinnstempo", sagte der Grüne.

Italien plant, bis zur Jahresmitte die Hälfte des russischen Gases durch andere Quellen zu ersetzen. Innerhalb von drei Jahren will man bei den Lieferungen gänzlich unabhängig von Russland sein, sagte Roberto Cingolani, parteiloser Minister für ökologischen Umbau. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, plant das Land offenbar sogar den Bau zweier neuer Flüssiggasterminals an seinen Küsten.

Ein Plan? "Wir sind dran"

Und Österreich? Auch hierzulande will man Putins Geschäft nicht länger als unbedingt nötig fördern. "Einerseits müssen wir unsere Erdgaslieferländer diversifizieren und für den nächsten Winter vorsorgen", sagte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) zur Austria Presse Agentur, "gleichzeitig müssen wir jetzt mit aller Kraft raus den fossilen Energien und rein in die erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse." Und wie?

Einen konkreten Ausstiegsplan wie in den Deutschland oder Italien gibt es in Österreich nicht. "Wir sind dran", heißt es aus dem grünen Klimaschutzministerium. Man wolle die Lieferländer diversifizieren. Ein konkretes Ausstiegsdatum aus Russlands Gas gibt es aber nicht. Zudem stellt sich die Suche nach Alternativen als schwierig heraus.

Boykott ausgeschlossen

Denn Österreich ist nach wie vor stark abhängig von dem Rohstoff. Rund 80 Prozent des verbrauchten Gases kommt dabei aus Russland. Nicht nur die Industrie braucht das Gas, auch die rund 900.000 Haushalte mit Gasthermen müssen versorgt werden. Deren Anteil ist zuletzt sogar gestiegen: 2020 wurden bundesweit rund 46.000 Gaskessel installiert, im Vorjahr waren es 47.000. Nach Angaben der Vereinigung der Österreichischen Kessellieferanten wurde rund die Hälfte bei Sanierungen eingesetzt, die andere Hälfte im Neubau.

Wird Österreich also rasch weg vom Gas kommen? Die kurze Antwort lautet: Nein. Gas in dieser Menge könne nicht auf die Schnelle ersetzt werden, heißt es vonseiten der Grünen. Der Juniorpartner hat schon in seinem Wahlprogramm den Abschied vom Erdgas gefordert. Anders sieht es bei der ÖVP aus, diese hat Gas stets als Brückentechnologie am Weg zur Energiewende hochgehalten. Kanzler Karl Nehammer hat einen Boykott russischen Gases bereits ausgeschlossen.

Wirtschaftsbund vermisst "ehrliche Diskussion"

Der härteste koalitionsinterne Gegenspieler von Energieministerin Gewessler ist allerdings der Wirtschaftsbund. Die ÖVP-Teilorganisation wünscht sich "eine ehrlichere Diskussion um Österreichs Energiepolitik. Diese fehlt uns vonseiten der Energieministerin", heißt es in einem Statement. Es werde nach heutigem technischem Stand nicht vollständig ohne Gas gehen: "Hier müssen wir uns breiter aufstellen und unabhängiger von russischen Lieferungen werden."

Nicht nur die Verfügbarkeit von Alternativen sind ein Problem. Auf der Arabischen Halbinsel geben europäische Politiker einander gerade die Türklinke in die Hand. Auch der Zugang ist schwierig: Anders als etwa Italien mit seinen vielen Häfen kann Österreich Gas nicht einfach herschippern. Zudem sind manche Alternativen wie Flüssigerdgas aus den USA aus klimapolitischer Sicht nicht unbedingt eine attraktive Alternative.

Doch der Diskurs hat sich in den vergangenen Wochen deutlich verschoben. Nun könnte die Energiewende tatsächlich Rückenwind bekommen. Einmal mehr werden die Mittel für den Erneuerbaren-Ausbau aufgestockt werden, vor allem für Wind- und Solarenergie. Doch in der Umsetzung hakt es nach wie vor, etwa bei den verfügbaren Flächen und der Länge der Verfahren.

Wasserstoff für die Industrie

Bei der Energieversorgung der Industrie gibt es weitgehend Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern. Sie soll durch grünen Wasserstoff – der noch rar ist – befeuert werden. Die Industriebetriebe könnten mit einer Art Transformationsfonds gelockt werden, wie zu hören ist.

Die Volkspartei würde Energiegewinnung via Wasserstoff auch in der Mobilität gerne zum Standard machen. Für die Grünen ist das weitgehend ein No-Go. Auch beim Thema Raumwärme scheiden sich die Koalitionsgeister: Grünes Gas und Biomasse sind die Wünsche der türkisen, Wärmepumpen und Geothermie die Vorstellungen der grünen Seite.

Innerhalb der Regierung sind die Rollen also klar verteilt – und einem raschen Ausstieg aus (russischem) Gas stehen nicht nur Geografie und Wirtschaftsstruktur entgegen, sondern auch das schwierige türkis-grüne Koalitionsgefüge. (Nora Laufer, Sebastian Fellner, 2.4.2022)