Der Nachweis von schweren neutralen Leptonen würde die Neutrino-Forschung weiterbringen.

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Neutrinos geben Physikerinnen und Physikern seit langem Rätsel auf. Die neutralen Elementarteilchen mit sehr geringer Masse wechselwirken mit der gewöhnlichen Materie ganz anders als viele andere Elementarteilchen. Zu den ungelösten Rätseln von Neutrinos zählt beispielsweise, warum unter ihnen bisher nur "Linkshänder" ausfindig gemacht werden konnten – bei denen etwa Spin und Drehimpuls entgegengesetzt gerichtet sind. Denn von allen anderen Teilchen konnten sowohl die linkshändige wie auch die rechtshändige Form aufgespürt werden. Nicht aber bei den Neutrinos – bloß warum?

Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass rechtsgerichtete Neutrinos zwar existieren, aber sehr schwer sind und daher viel schwieriger erzeugt werden können. Diese neuen Teilchen, die als schwere neutrale Leptonen bezeichnet werden (wegen der englischen Bezeichnung "heavy neutral leptons" werden sie mit HNLs abgekürzt), wären nicht nur des Rätsels Lösung für die rechtshändigen Neutrinos. Sie würden auch erklären, warum die uns bekannten Neutrinos so leicht sind.

Jenseits des Beuteschemas

Auf der Suche nach solchen schweren Neutrinos hat das Team der Atlas Collaboration am europäischen Kernforschungszentrum Cern eine neue Form von Teilchen in Betracht gezogen, die gewöhnlich nicht zum "Beuteschema" der Teilchenphysiker zählen: Die meisten Teilchen, die am Cern erforscht werden, haben eine äußerst geringe Lebenszeit und zerfallen quasi sofort nach der Kollision – so etwa auch das Higgs-Teilchen. Langlebigere Teilchen (sie werden mit LLPs für long-lived particles bezeichnet) legen im Detektor jedoch eine gewisse Strecke zurück, bevor sie zerfallen.

Auf der Suche nach schweren Neutrinos haben die Physikerinnen und Physikern nach Leptonen Ausschau gehalten, die in einem gemeinsamen Punkt ein wenig vom Kollisionspunkt entfernt entstanden sind. Schwere neutrale Leptonen könnten in eine Mischung von Elektronen und Myonen, sowie fehlender Energie zerfallen sein. Bei der Analyse der Zerfallsprodukte konnten sie die mögliche Masse von möglichen schweren neutralen Leptonen bestimmen und den Massebereich auf das Intervall von drei bis etwa 15 Gigaelektronenvolt (GeV) eingrenzen, wie das Team kürzlich bei einer Fachkonferenz bekannt gab. Ein eindeutiger Nachweis auf die hypothetischen Teilchen blieb bisher aber aus.

Neue Suchmethoden

Da mit den bestehenden Messmethoden die Hypothese der neuen schweren Teilchen nicht bestätigt werden konnte, wirft das auch Zweifel darüber auf, ob sich die Teilchen vielleicht vor den Standard-Suchmethoden verstecken können. In einem nächsten Schritt wollen die Physikerinnen und Physiker im kommenden Run des Large-Hadron-Colliders LHC mit unterschiedlichen Möglichkeiten den hypothetischen Teilchen auf die Schliche kommen. Wenn die neuen Teilchen jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik bestätigt werden könnten, wären die rätselhaften Neutrinos jedenfalls um ein Mysterium ärmer. (trat, 2.4.2022)