Tödliche Begegnung mit dem Auto und dann in den Himmel?

Pascal Victor

Der verstorbene Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat einmal behauptet, Mozart sei eigentlich nie jung, als Komponist wäre er von Anbeginn an ein Vollendeter gewesen. In seinen Werken, so möchte man ergänzen, schwebt immer auch eine zarte Melancholie mit, aus der zudem eine reife Ahnung von Endlichkeit und der Unausweichlichkeit des Todes mittönt.

All das ist natürlich in verdichteter Form in dessen Requiem zu finden, das Mozart, der im Alter von nur 35 Jahren starb, nicht vollenden konnte. Und es versteht sich, dass Regisseur Romeo Castellucci die Totenmesse in Hinblick auf die Themen Vergänglichkeit und Verschwinden in Szenen, Bilder und Rituale fasst.

Seine subjektive Meditation startet im Museumsquartier beim Prolog der Wiener Festwochen mit dem gregorianischen Choral "Christus factus est" und einem Bett, auf dem eine alte Frau liegt. Sie hat ihre letzte Zigarette geraucht, einen letzten Schluck Wasser genommen, nun liegt sie da, um nach und nach zu verschwinden. Im Laufe des Stücks taucht sie – quasi immer jünger werdend – wieder auf. Das Leben eines Menschen wird bei Castellucci also en passant im Rückwärtsgang erzählt, bis die alte Frau und ihre jüngeren Alter Egos am Ende ein Baby auf die Bühne tragen, das mit den Blicken des Publikums – hörbar nicht zu seinem Vergnügen – alleingelassen wird.

Feste des Lebens

Zuvor hatte Castellucci im Album des Werdens und Vergehens geblättert. Während der Chor bei dramatischen Passagen (wie bei "Confutatis") sich in höfischen oder folkloristischen Tänzen ergeht, die Feste des Lebens symbolisieren, werden im Hintergrund Begriffe projiziert, es entsteht ein Wortmuseum des Untergangs. Es erzählt von nicht mehr existenten Tierarten, zerstörten Bauwerken (auch das durch Bomben zerstörte Theater im Ukrainischen Mariupol wird erwähnt), verschwundenen Sprachen oder untergegangenen Ethnien. Das Sterben der Mutter ist dabei, auch das Sterben des Jetzt.

Uneindeutig schön

Dieser Wortstrom hat zwar etwas Aufzählungspädagogisches, andererseits vermittelt er eindringlich das Gefühl von Flüchtigkeit aller Existenz. Und auch wenn manch Szenenwechsel etwas lapidar und uninszeniert vonstattengeht, wird man durch eine Ausstellung der Menschheitsgeschichte geführt, deren essenziele Kernpunkte zeigen: Castellucci ist der fantasievolle Maler, der mit theatralischen Mitteln magische Gemälde entstehen lässt. Ihre Faszination und Schönheit rührt auch von ihrer Uneindeutigkeit her, aus der das Konkrete herausbricht.

Das reicht von quasi archäologischer Nostalgie mit drei nackten Urzeitmännern vor dem vielleicht ersten Feuer bis zu jener Szene, in der rund um ein Autowrack tödliche Unfallszenen simuliert werden (im "Benediktus"). Das reicht von minimalistischen Momenten bis zum Finale, bei dem durch eine Schräge der dreckige Restmüll einer Zivilisation Richtung Orchester gekippt wird, bevor ein Knabe den gregorianischen Choral "In paradisum" anstimmt.

Voller Substanz

Dirigent Raphaël Pichon und das Ensemble Pygmalion sind hier zentrale Mitgestalter. Sie kombinieren atmosphärisch starke, aber dosierte Klangpracht mit Detailarbeit. Die Koordination mit dem Chor und den glänzenden Solisten und Solistinnen (Sopran Sandrine Piau, Alt Sara Mingardo, Tenor Anicio Zorzi Giustiniani, Bass Nahuel di Pierro ) darf da und dort noch besser klappen. Die aus Aix-en-Provence kommende Arbeit war in Summe aber auch so ein Fantasiewerk der starken Bilder. (Ljubisa Tosic, 2.4.2022)