Macron braucht nun im Schlusspurt ein Feuerwerk seiner Wahlkampfkunst.

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Wird es zum Schluss doch noch spannend? Monatelang schien Emmanuel Macron seine Wiederwahl sicher zu sein. In der Corona-Pandemie und im Ukraine-Krieg legte der seit fünf Jahren amtierende Staatschef dank einer bewussten Beschützerpose kräftig zu: Für den ersten Wahlgang wurden ihm mehr als 30 Prozent prognostiziert, doppelt so viel wie seiner schärfsten Rivalin Marine Le Pen.

Jetzt rückt die Parteichefin des Rassemblement National aber näher. Laut einer neuesten Umfrage vom Sonntag kommt Le Pen (22 Prozent) bis auf fünf Prozentpunkte an Macron (27 Prozent) heran. Die zwei Widersacher von 2017 haben damit beste Chancen, auch am kommenden Sonntag in die Stichwahl vom 24. April einzuziehen. Der Rechts-außen Éric Zemmour, der Linke Jean-Luc Mélenchon und die Konservative Valérie Pécresse scheinen derweil abgeschlagen.

Gefährlich für Macron würde es, wenn Le Pen sogar den ersten Wahlgang für sich entscheiden könnte. Das würde ihr eine starke Dynamik verleihen – und die Vorzeichen im Vergleich zu 2017 umkehren. Im zweiten Wahlgang werden der Rechtspopulistin derzeit 47 Prozent eingeräumt, während Macron auf 53 Prozent kommt.

All diese Zahlenspiele beruhen einzig auf den Internetbefragungen der Umfrageinstitute. Trotzdem kommentieren die Pariser Medien bereits, der Staatschef sei "in der Defensive". Im Macron-Lager – und nicht nur dort – schrillen die Alarmglocken. Bisher hatte der Präsident versucht, sich als Staatenlenker in Kriegszeiten aus der Wahlpolitik herauszuhalten.

Neues Schlagwort

Am Samstag organisierte Macron seine einzige Wahlveranstaltung. Was als Pflichtübung gedacht war, diente ihm nun aber dazu, das Steuer herumzureißen. Vor 35.000 Anhängern nahm er in der La Défense Arena westlich von Paris nicht etwa Kurs nach rechts, wo bisher der Schwerpunkt der ganzen Kampagne gelegen hatte. Vielmehr predigte er Solidarität und Gleichheit, sozialen Fortschritt und öffentlichen Dienst. In einem zweistündigen Soloauftritt bemühte er immer wieder das neue Schlagwort des Wahlkampfs, die "Kaufkraft". Steigende Preise für Benzin, Heizöl oder Nahrungsmittel sind gerade bei Schlechterverdienenden ein Thema – und die wählen häufiger Le Pen als Macron, der das Stigma eines "Präsidenten der Reichen" trägt.

Macron bestätigte in La Défense zwar, dass er das Pensionsalter von 62 auf 65 Jahre erhöhen und die Arbeitszeit verlängern wolle. Neu gedenkt er die Mindestpension von 1000 auf 1100 Euro zu erhöhen. Erwerbstätigen verspricht er eine steuerfreie Kaufkraftprämie von bis zu 6000 Euro im Jahr.

Allein für die Stabilisierung der Strom- und Gaspreise hat Macron bereits 20 Milliarden Euro lockergemacht, wie er seinen Anhängern zurief. Alleinerziehenden Müttern verspricht er mehr Hilfen, den Arbeitslosen höhere Zulagen.

Diese Bevölkerungskategorien neigen alle Le Pen zu. Sie hatte als Erste erkannt, dass das Thema Kaufkraft für viele Wähler von primärer Bedeutung ist – noch vor der Ukraine oder der Pandemie. Das zahlt sich nun für sie aus. (Stefan Brändle aus La Défense, 3.4.2022)