Viktor Orbán: "Es ist ein riesiger Sieg, so riesig, dass man ihn sogar vom Mond aus sehen kann, aber aus Brüssel auf jeden Fall."

Quelle: APA

Ungarns Premier Viktor Orbán wird auch in den kommenden vier Jahren fest im Sattel sitzen. Seine rechtsnationale Regierungspartei Fidesz konnte einen überwältigenden Sieg bei der Parlamentswahl am Sonntag einfahren und sich offenbar eine Zweidrittelmehrheit sichern. Die oppositionelle Allianz Egységben Magyarországért (In Einheit für Ungarn) erlitt eine schwere Niederlage.

Laut dem vorläufigen Endergebnis nach Auszählung von rund 98 Prozent der Stimmen erreichte Fidesz 53,1 Prozent der Stimmen. Das Oppositionsbündnis unter Führung von Peter Marki-Zay bekam 35 Prozent. Demnach dürfte Orbáns Partei 135 Plätze im 199-köpfigen Parlament erhalten. Die oppositionelle Sechsparteienallianz erhielt demnach nur 56 Sitze. Selbst Spitzenkandidat Márki-Zay schaffte in seinem Wahlkreis kein Mandat. Der Liberalkonservative führt seit 2018 seine Heimatstadt Hódmezövásárhely als Bürgermeister, in diesem Wahlkreis trat er auch als Kandidat an.

"Es ist ein riesiger Sieg, so riesig, dass man ihn sogar vom Mond aus sehen kann, aber aus Brüssel auf jeden Fall", sagte Orbán in seiner Siegesrede in Budapest. "Wir haben die Unabhängigkeit und Freiheit Ungarns, seinen Frieden und seine Sicherheit beschützt", betonte der seit 2010 ununterbrochen regierende Ministerpräsident, der nun vor seiner insgesamt fünften Amtszeit steht.

Enttäuschte Opposition

Die Opposition, die erstmals geschlossen gegen Orbán angetreten war, zeigte sich schwer enttäuscht. "Wir erkennen Fidesz' Sieg an", stellte Márki-Zay am Wahlabend vor Anhängern klar. "Wir wussten im Vorhinein, dass das ein sehr ungleicher Kampf sein würde", so der Oppositionsführer. "Wir bestreiten allerdings, dass diese Wahl demokratisch und frei gewesen wäre. Fidesz hat nur aufgrund dieses (Wahl-)Systems gesiegt", beklagte er.

Überraschend konnte die rechtsextreme Bewegung Mi Hazánk (Unsere Heimat) die Fünfprozenthürde überspringen und dürfte mit sieben Mandaten ins Parlament einziehen. Ein weiterer Parlamentssitz kommt nach Angaben der Wahlbehörde einem Vertreter der deutschsprachigen Minderheit zu. Dieser hatte in den vergangenen Jahren durchwegs mit Fidesz gestimmt.

Niedrigere Wahlbeteiligung

Zuvor war eher ein Sieg von Fidesz ohne erneute Zweidrittelmehrheit erwartet worden. Eine Umfrage des Instituts Medián knapp vor der Wahl hatte 121 Parlamentssitze für Fidesz und 77 für das Oppositionsbündnis prognostiziert.

Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Wahlbehörde um 18.30 Uhr bei 67,8 Prozent und damit knapp hinter den Werten von vor vier Jahren. Insgesamt dürfte es die dritthöchste Beteiligung seit 1990 werden, nach 2002 (70,53 Prozent) und 2018 (70,22 Prozent).

"Tragödie" für Opposition

Erste Reaktionen sprechen von einer "Tragödie" für die Allianz der Oppositionsparteien. Deren Niederlage sei nicht auf ihre Wahlkampagne zurückzuführen, sondern es seien nicht so viele Wähler hinter der Allianz gestanden, wie von ihr gedacht, betonte der Politologe Gábor Török im Onlineportal szmo.hu.

Das Ausmaß der Tragödie hänge nun vom Verhalten der Opposition ab, betonte Àkos Hadházy auf Facebook, der in seinem Einzelwahlkreis als unabhängiger Kandidat gewann. Dabei habe es sich nicht um eine demokratische, faire Wahl gehandelt. Zudem habe die Regierungsseite keine Mittel gescheut, um der Opposition zu unterstellen, sie wolle das Land in den Krieg führen.

Die Allianz Einheit für Ungarn sei in dem von Fidesz herausgebildeten System nicht funktionsfähig, sodass die Opposition unerwartet eine noch größere Ohrfeige erhalten habe als 2018, wertete der Politologe Richárd Szentpéteri Nagy im Onlineportal nepszava.hu das Wahlergebnis. Dabei könne zugleich keineswegs von einer freien Wahl gesprochen werden.

Demokratie ausgehöhlt

Rund 8,2 Millionen Ungarn waren dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Das Votum entschied darüber, ob Orbán ein viertes Regierungsmandat in Folge erhalten soll. Folglich hing vom Ausgang der Wahl ab, ob er die 2014 proklamierte "illiberale Demokratie" weiter ausbauen kann.

In den zwölf Jahren seiner zweiten Amtszeit – er war bereits von 1998 bis 2002 Regierungschef – hat Orbán die Demokratie ausgehöhlt, die Medienfreiheit eingeschränkt, die Justiz ihrer Unabhängigkeit beraubt, permanente Konflikte mit der EU provoziert und ein freundschaftliches Verhältnis zum autokratisch regierten, kriegführenden Russland etabliert.

Geeint gegen Orbán

Die Opposition trat erstmals seit Orbáns Machtantritt 2010 gemeinsam an. Das heißt, dass die Wählerinnen und Wähler für eine gemeinsame Liste und gemeinsame Kandidaten in den jeweiligen Direktwahlkreisen stimmen konnten. Die Direktkandidaten waren im vergangenen Herbst in selbstorganisierten Vorwahlen ermittelt worden.

Das gilt auch für den Spitzenkandidaten der Allianz, den 49-jährigen Marketing-Fachmann Márki-Zay. Der parteilose Konservative ist seit 2018 Bürgermeister der südostungarischen Kleinstadt Hódmezővásárhely, die vor seiner Zeit eine Fidesz-Hochburg gewesen war. Márki-Zay ist Vater von sieben Kindern und bekennender Katholik mit toleranten gesellschaftspolitischen Auffassungen.

Abänderung der Wahlgesetze

Um eine Mehrheit der Parlamentsmandate zu erringen, hätte die Opposition deutlich mehr Stimmen auf sich vereinen müssen als die Fidesz-Partei. Orbán hat nämlich die Wahlgesetze mehrfach ändern lassen, um die Regierungspartei zu bevorteilen.

106 von 199 Mandaten gehen an Direktkandidaten – und die Wahlkreise sind so zugeschnitten, dass sich die Opposition schwerer damit tut, in Städten mit ländlichem Umland diese Mandate zu gewinnen. Zusätzliche Parlamentssitze winken Fidesz außerdem durch Stimmen aus den Nachbarländern – ethnische Ungarn ohne Wohnsitz in Ungarn haben nämlich auch ein Wahlrecht und bedanken sich dafür mit Stimmen für Fidesz.

Wahlbetrug befürchtet

Wahlbeobachter befürchteten außerdem Wahlbetrug wie etwa Stimmenkauf. Lokale Fidesz-Potentaten auf dem Land haben oft weite Bevölkerungsteile in der Hand, etwa bei der Vergabe von Jobs. Die Befürchtungen wurden auch dadurch genährt, dass die Orbán-Regierung in den letzten Monaten die Anmeldung von Scheinadressen und das Abfotografieren des Stimmzettels in der Wahlkabine legalisierte. Aber auch die Indienststellung staatlicher Ressourcen für den Fidesz-Wahlkampf könnte als Betrug gewertet werden.

Überschattet wird die Wahl durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – und die Nähe Orbáns zu Kreml-Chef Wladimir Putin. Nur halbherzig trug Orbán die EU-Beschlüsse zur Verurteilung Moskaus und zur Bewaffnung der Ukraine mit. Im eigenen Land beteuerte er den ganzen Wahlkampf hindurch, dass nur er "Ungarn aus dem Krieg heraushalten" könne.

Kein Fan der Ukraine

Aus seiner Distanz zum geschlossenen Standpunkt des Westens und seiner Geringschätzung für die angegriffene Ukraine macht er kein Hehl. "An der Diskussion darüber, aus wie vielen Staaten, aus wie vielen Nationen das große slawische Meer östlich von uns besteht, haben wir uns nie beteiligt", schwadronierte er in einem seiner letzten Fernsehinterviews vor der Wahl.

Auf der Abschlusskundgebung der Opposition am Samstag in Budapest warf Márki-Zay dem Regierungschef "Landesverrat" vor. "Wir alle schämen uns für Viktor Orbán", sagte er. "Doch jetzt waschen wir diese Schande von uns ab." (Gregor Mayer aus Budapest, red, 4.4.2022)