Das Magazin des Vorarlberger Wirtschaftsbunds steht angesichts fragwürdiger Geldflüsse im Zentrum der Aufmerksamkeit.

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Es war eine turbulente Woche für den Vorarlberger Wirtschaftsbund, die mit zwei prominenten Rücktritten endete: Sowohl Direktor Jürgen Kessler als auch Obmann Hans Peter Metzler zogen die Konsequenzen. Metzler legte auch seine Funktion als Wirtschaftskammerpräsident zurück. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) kündigte an, dass es diese Doppelfunktion künftig nicht mehr geben werde. Auch das Mitgliedermagazin "Vorarlberger Wirtschaft" werde eingestellt.

Für all jene, die in der Causa den Überblick verloren haben oder wissen möchten, wie relevant die Vorgänge auch für die anderen acht Bundesländer sind, ein kleiner Überblick:

Frage: Was genau ist eigentlich der Wirtschaftsbund?

Antwort: Der Wirtschaftsbund ist eine von sechs Teilorganisationen der Volkspartei. Die Partei ist damit nicht nur territorial in Landesorganisationen, sondern auch funktional nach Interessen gegliedert. Die Teilorganisationen sind neben dem Wirtschaftsbund, der die Interessen von Unternehmerinnen und Unternehmern abbilden soll, die Junge Volkspartei, der Bauernbund, der Seniorenbund, der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbund und die ÖVP Frauen. Die meisten Mitglieder der ÖVP erwerben ihre Mitgliedschaft über eine dieser Teilorganisationen. Laut Parteistatuten sind sie wirtschaftlich, finanziell und, sofern sie als Verein registriert sind, auch vereinsrechtlich selbstständig. Letzteres gilt für den Wirtschaftsbund, worauf man sich in der Vorarlberger ÖVP in den letzten Tagen immer wieder berief. Österreichweit hat der Wirtschaftsbund etwa 100.000 Mitglieder.

Frage: Heißt das, der Wirtschaftsbund ist komplett unabhängig von der ÖVP – und umgekehrt?

Antwort: Keineswegs. Statuten und Programme der Teilorganisationen müssen laut ÖVP-Statuten mit denen der Gesamtpartei in Einklang stehen. Außerdem müssen sie bei der Umsetzung von Bundesthemen, -kampagnen und -wahlkämpfen mitwirken. Informationen der Bundespartei seien zudem "laufend an die Teilorganisationsfunktionäre weiterzugeben", heißt es unter anderem zu den Rechten und Pflichten. Inhaltlich gilt also: Wo Wirtschaftsbund draufsteht, ist ÖVP drin. Finanziell spielt der Wirtschaftsbund eine extrem wichtige Rolle für die Partei, man ist der wichtigste Geldgeber. So wurden beispielsweise Mitgliedsbeiträge fünf Jahre im Voraus kassiert, insgesamt 1,5 Millionen Euro, die von Unternehmerinnen und Unternehmern stammen.

Frage: Aber dass Teilorganisationen Geld an die ÖVP überweisen, ist doch erlaubt, oder?

Antwort: Ja. Kritik gibt es daran aber einerseits, weil nicht transparent ist, wie viel Geld die Teilorganisationen aus welchen Quellen haben, und zweitens bleibt meist auch intransparent, wie viel davon an die ÖVP fließt. In Vorarlberg verwies Landeshauptmann Markus Wallner stets auf den Rechenschaftsbericht der Partei. Dort waren die Geldflüsse aber nicht ersichtlich. Erst letzte Woche erklärte die Vorarlberger Volkspartei, wo die "Unterstützungsleistung" verbucht wurde. Demnach flossen 2014 und 2019, also jeweils zu Beginn einer Legislaturperiode, jeweils 400.000 Euro bzw. 500.000 Euro an die Partei. Verbucht wurde das unter dem Punkt "Parteisteuer".

Frage: Und was hat der Wirtschaftsbund mit der Wirtschaftskammer zu tun?

Antwort: In der Wirtschaftskammer (WKO) stellt der Wirtschaftsbund mit Harald Mahrer den Wirtschaftskammerpräsidenten sowie alle neun Landespräsidenten. In Vorarlberg war der Wirtschaftskammerpräsident gleichzeitig Obmann des Wirtschaftsbunds, er legte am Freitag beide Funktionen zurück. Diese Doppelrolle solle es in Zukunft laut Landeshauptmann Markus Wallner auch nicht mehr geben. Bei der Wirtschaftskammerwahl 2020 kam der Wirtschaftsbund auf 69,6 Prozent. Allerdings ist die Wahlbeteiligung gering, und in vielen Fachgruppen gibt es neben dem Wirtschaftsbund keine Listen, die antreten. Die Kammer ist für den Wirtschaftsbund auch eine wichtige Finanzierungsquelle. 2020 wurden in der WKO insgesamt 24,7 Millionen Euro an die Fraktionen – und damit hauptsächlich an den Wirtschaftsbund – ausgeschüttet.

Frage: Wo liegt das Problem? Die erfolgreichste Fraktion bekommt eben am meisten Geld.

Antwort: Hier kommen die Wege ins Spiel, wie man zu der erfolgreichsten Fraktion wird bzw. sie bleibt. Im Zusammenhang mit der Causa Vorarlberger Wirtschaftsbund war nun vermehrt die Rede davon, dass der Wirtschaftsbund automatisch zehn Prozent der Aufwandsentschädigungen einbehalte, die Funktionäre für ihre Kammerarbeit erhalten. Außerdem meldeten sich ehemalige Kammerfunktionäre zu Wort und erzählten, dass der Wirtschaftsbund nicht nur aggressiv um Mitglieder in der Kammer werbe und diese versuche in einflussreiche Positionen zu bringen, sondern auch dass Druck für Inserate im Mitgliedermagazin gemacht wurde. Es flossen also Kammerbeiträge, die ja alle Unternehmerinnen und Unternehmer zahlen, zum Wirtschaftsbund – und dann weiter zur ÖVP.

Frage: Der Wirtschaftsbund finanziert sich also über Mitgliedsbeiträge und über die Wirtschaftskammer.

Antwort: Und – wie das Beispiel Vorarlberg zeigt – mitunter auch über Mitgliedermagazine. Im Ländle heißt das "Vorarlberger Wirtschaft" und dürfte jährlich bis zu einer Million Euro eingebracht haben. Genaue Zahlen wurden noch immer nicht veröffentlicht. Allerdings gab es bei dem Heft einige Auffälligkeiten: Einerseits blieb der Preis für ein ganzseitiges Inserat mit 3.000 Euro knapp unter jenem Wert, mit dem Inserate in Parteimedien auch als Spenden deklariert werden müssen, das gilt ab 3.500 Euro. Außerdem war der Anteil an Inseraten – bis zu 70 Prozent – für ein Gratismagazin mit einer Auflage von 20.000 Stück und einer beschränkten Zielgruppe – Unternehmer – extrem hoch. Kritik gab es außerdem, weil auch Landesunternehmen kräftig Werbung schalteten, etwa die Hypo Vorarlberg. Die Opposition wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass Steuergeld über den Umweg des Magazins bzw. des Wirtschaftsbunds direkt zur ÖVP und in deren Wahlkämpfe fließe. Und auch die Kammer inserierte im Magazin des Öfteren.

Frage: Ist das nur in Vorarlberg so?

Antwort: Das dürfte nicht der Fall sein. Die Grüne Wirtschaft machte vergangene Woche darauf aufmerksam, dass die Finanzierung des Wirtschaftsbunds in ganz Österreich intransparent sei. Und bezüglich der Inserate gebe es zumindest auch im Burgenland und in Kärnten auffällig hohe Buchungen in Wirtschaftsbund-Blättern. Man betrachte die Kammer offenbar als Selbstbedienungsladen, hieß es in der Aussendung.

Frage: Ist all das nicht schon länger bekannt?

Antwort: Doch. Bereits 2010 machten die Grünen und die SPÖ in Vorarlberg darauf aufmerksam, dass verhältnismäßig viel Geld von der Wirtschaftskammer in den Wirtschaftsbund fließe. Es war auch danach immer wieder einmal Thema, Dynamik kam aber erst seit letztem Herbst in die Sache. Nach Berichten von Ö1 und des STANDARD folgten nicht nur parlamentarische Anfragen von SPÖ, Neos und FPÖ an Wallner. Der nun zurückgetretene Wirtschaftsbunddirektor Jürgen Kessler musste auch Anteile an einer Firma verkaufen, die das Anzeigengeschäft mehrerer Magazine verantwortet – unter anderem für die Wirtschaftskammer-Magazine. Kessler hielt – über eine Firma – 50 Prozent an diesem Unternehmen, nun gehören 75 Prozent Russmedia, 25 Prozent dem Geschäftsführer. Kessler dementierte, jemals ins operative Geschäft eingebunden gewesen zu sein. Die Doppelrolle Wirtschaftsbunddirektor und Teilinhaber der Anzeigenfirma hatte auch schon sein Vorgänger inne.

Frage: Und was hat es mit dieser Selbstanzeige auf sich?

Antwort: Vergangenen Montag wurde die ganze Causa Wirtschaftsbund-Magazin wieder aktuell, Der STANDARD berichtete über eine im Rahmen einer Betriebsprüfung erfolgte Selbstanzeige bei der ÖVP-Teilorganisation. Im Raum steht, dass zu wenig Steuern abgeführt wurden. Geprüft werden dürfte dem Vernehmen nach außerdem die erwähnte Firma, an der Kessler Anteile hielt. Und auch jene Firma, über die Kessler diese Anteile hielt, dürften die Prüfer im Blick haben. Die Prüfung im Wirtschaftsbund soll diese Woche abgeschlossen werden. Eine Schlussbesprechung, die für letzten Freitag angesetzt war, musste wegen einem Krankheitsfall verschoben werden.

Frage: Um wie viel Geld und welche Steuern geht es?

Antwort: Den Inhalt der Selbstanzeige haben Wirtschaftsbund bzw. ÖVP nicht öffentlich gemacht. Allerdings soll es, laut ÖVP-Aussagen, um zwei Aspekte gehen: Einerseits ist die Versteuerung der Inserate im Mitgliedermagazin "Vorarlberger Wirtschaft" ein Thema. Hier heißt es, der Wirtschaftsbund habe für jedes Inserat bislang fünf Prozent Steuern abgeführt. Die zweite Thematik dreht sich um die Zuwendungen vom Wirtschaftsbund an die ÖVP – hier dürfte es um insgesamt 900.000 Euro gehen und um die Frage, ob dafür 15 Prozent Umsatzsteuer fällig gewesen wäre. Der Wirtschaftsbund will keine Fehler gemacht haben: Der langjährige Steuerberater habe fortlaufend die Ansicht vertreten, dass die Tätigkeit des Vorarlberger Wirtschaftsbunds unter die üblichen Parteiaktivitäten zu subsumieren sei und daher keine Umsatz- bzw. Körperschaftssteuer abzuführen sei, hieß es am Freitag in einer Stellungnahme. "Nach einer allenfalls von dieser Einschätzung abweichenden Beurteilung der Finanzbehörde wird der Vorarlberger Wirtschaftsbund nach Abschluss des Betriebsprüfungsverfahrens selbstverständlich Rechnung tragen."

Frage: Welche Konsequenzen drohen?

Antwort: Sollten tatsächlich zu wenig Steuern abgeführt worden sein, muss sich der Wirtschaftsbund bzw. die ÖVP auf jeden Fall auf eine Nachzahlung einstellen. Die Selbstanzeige wird dabei berücksichtigt. Sie kann, wenn sie nicht viel zu spät erfolgte, strafmildernd wirken. Zu welchem Zeitpunkt der Prüfung die Selbstanzeige erfolgte, ist aber nicht klar.

Frage: Sind auch strafrechtliche Konsequenzen möglich?

Antwort: Ja. Dafür spielt die Frage eine Rolle, ob wissentlich zu wenig Steuern abgeführt wurden. Ist das der Fall, kommt beispielsweise der Straftatbestand Geldwäsche infrage. Landeshauptmann Wallner hat letzte Woche in die andere Richtung argumentiert: Wenn zu wenig bezahlt worden sei, dann deswegen, weil man es nicht besser gewusst habe. Für die Einschätzung, ob strafrechtliche Folgen infrage kommen, ist aber selbstverständlich nicht Wallner zuständig, sondern die Finanzprüfer bzw. die Staatsanwaltschaft, an die allenfalls ein Bericht der Prüfer übermittelt werden würde.

Frage: Die türkis-grüne Koalition im Bund hat sich doch gerade erst auf neue Regeln für Parteifinanzen geeinigt – wird das etwas an diesem Beispiel ändern?

Antwort: Wenn es so umgesetzt wird wie derzeit geplant: ja. Der Entwurf sieht deutlich detailliertere Rechenschaftsberichte vor. Demnach müssten Parteien künftig alle Geldflüsse von und zu ihren Teilorganisationen aufschlüsseln. Das betrifft sowohl Landes-, Bezirks und Gemeindeparteien als auch nicht-territoriale Organisationen – wie etwa den Wirtschaftsbund. Tritt das Gesetz so in Kraft, wüsste die Öffentlichkeit dann also genau, wie viel Geld vom Wirtschaftsbund an die Volkspartei fließt. Und: Künftig müssten die Namen von Inserenten in Parteimedien schon ab einem Anzeigevolumen von 2.500 Euro genannt werden, nicht erst ab 3.500 Euro.

Frage: Was würde sich durch das neue Gesetz noch ändern?

Antwort: Für diesen Fall womöglich relevant wären auch die neuen Einschaurechte für den Rechnungshof: Der darf die Parteikassen kontrollieren – allerdings nur, wenn ein "begründeter Verdacht" auf Malversationen besteht. Das wäre angesichts der Selbstanzeige des Wirtschaftsbunds wohl der Fall.

Frage: Wann treten die neuen Regeln für Parteifinanzen in Kraft?

Antwort: Das ist derzeit völlig unklar. Weil es sich beim Gesetz um eine Verfassungsänderung handelt, braucht die Koalition auch die Stimmen von FPÖ oder SPÖ. Beide haben sich zwar vorsichtig wohlwollend dazu geäußert, aber die Verhandlungen stehen erst bevor.

Frage: Wie geht es in Vorarlberg weiter?

Antwort: Alle warten gespannt auf den Abschluss der Betriebsprüfung und welche Ergebnisse diese bringt. In der Wirtschaftskammer gibt es bereits einen Nachfolger als Präsident. Im Wirtschaftsbund sind Personalfragen noch offen.

Frage: Und auf politischer Ebene?

Antwort: Hier sind die Oppositionsparteien mit den erfolgten Rücktritten in Wirtschaftsbund bzw. Wirtschaftskammer nicht zufrieden, wiewohl der Schritt als "längst überfällig" bezeichnet wurde. Erstmals wurde in Vorarlberg von Neos, SPÖ und FPÖ gemeinsam ein Sonderlandtag einberufen, der so rasch wie möglich stattfinden solle. Die drei Parteien forderten in einer gemeinsamen Pressekonferenz außerdem umfassende Prüfrechte für den Landes-Rechnungshof bezüglich der Parteien und ihrer Vorfeldorganisationen, außerdem solle es genügend Vollzeitstellen am Landesrechnungshof geben. Und auch umfassendere Kontrollmöglichkeiten für den Landtag stehen auf der Wunschliste, diese sollen in Arbeitsgruppen mit Expertinnen evaluiert werden und in der Folge Verbesserungen ausgearbeitet werden. Ob es einen Untersuchungsausschuss geben wird, ist derzeit unklar – vorerst entschied man sich dagegen. Hier gebe es die Problematik, dass man zwar die Verwaltung, nicht aber ÖVP, Wirtschaftsbund und Vorfeldorganisationen überprüfen könne. Auf Bundesebene wurden Unterlagen für den U-Ausschuss, wie bereits berichtet, beim Finanzministerium angefordert. Ob auch eine Auskunftsperson aus Vorarlberg geladen wird, wird geprüft. (Sebastian Fellner, Lara Hagen, 4.4.2022)