In Europa finden aktuelle Huawei-Smartphones wie das P50 Pocket nur mehr wenige Abnehmer – in Russland boomen die Absätze aber nun.

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Mit dem Thema Sanktionen kennt man sich bei Huawei gut aus. Seit Jahren steht das Unternehmen auf einer Bannliste des US-Handelsministeriums. Die Konsequenz: War der chinesische Hardwarehersteller zuvor drauf und dran zur Nummer eins am Smartphone-Markt zu avancieren, folgte seitdem ein brutaler Absturz. Außerhalb Chinas spielt die Firma – zumindest in diesem Bereich – mittlerweile kaum mehr eine Rolle.

Nebenwirkungen

Nun haben Sanktionen jemanden anderen getroffen, und das hat für Huawei ungewohnte Konsequenzen. Das Unternehmen profitiert nämlich indirekt von den Strafmaßnahmen eines großen Teils der Staatengemeinschaft gegen Russland. Gleichzeitig könnte die Freude darüber von kurzer Dauer sein, bringt es Huawei doch in eine schwierige Situation, wie die "Financial Times" herausstreicht.

In der ersten Märzhälfte sind die Absätze von Huawei-Smartphones in Russland um 300 Prozent nach oben gegangen, dies zeigt eine Analyse von MTS, dem größten russischen Netzanbieter. Das Geheimnis dieses Erfolgs ist allerdings keines, ist doch wohlbekannt, wie es dazu kommt. Sowohl Apple als auch Samsung haben infolge der Sanktionen ihre Verkäufe in Russland eingestellt.

Die dadurch entstandene Lücke wird nun vor allem von Huawei gefüllt, andere chinesische Hersteller profitieren aber ebenfalls massiv. So sollen sich die Smartphone-Verkäufe von Anbietern wie Oppo und Vivo ebenfalls mehr als verdoppelt haben.

Unabhängigkeit

Dass Huawei in der aktuellen Situation besonders erfolgreich ist, könnte ironischerweise an den früher verhängten Sanktionen der USA liegen. Werden dadurch doch die Smartphones des Unternehmens vollständig ohne Google-Dienste ausgeliefert, was sie weniger anfällig für etwaige weitere westliche Sanktionen macht. Ein vollständiges Verbot für den Betrieb des Play Stores in Russland würde also an den Huawei-Geräten weitgehend spurlos vorübergehen, während es auf die Smartphones anderer Hersteller massive Auswirkungen hätte.

Netzausrüstung

Doch es geht im Fall von Huawei nicht bloß um Smartphones, sondern auch um Hardware für den Betrieb der Mobilfunknetze. Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat Russland dort die von europäischen Firmen wie Nokia und Ericsson gelieferte Hardware durch solche von Huawei und ZTE ersetzt.

Will man einen ähnlichen Schritt nun landesweit konsequent durchsetzen, wäre man erneut stark auf die chinesischen Partner angewiesen. Derzeit stammen noch "nur" zwischen 40 und 60 Prozent der Netzwerkausrüstung in Russland von den beiden Firmen, da gibt es also noch einige Luft nach oben. Doch auch jetzt ist Huawei schon stark in dem riesigen Land verankert, so hat es etwa die Hardware für den Aufbau von Russlands eigenem Finanzsystem Mir geliefert.

Riskantes Spiel

Russland braucht in der aktuellen Situation also Huawei und andere chinesische Firmen. Ob dies auf viel Gegenliebe stößt, ist allerdings eine andere Frage. Riskieren die Unternehmen doch damit selbst gegen Sanktionen zu verstoßen.

Denn auch wenn China selbst sich nicht an diesen beteiligt, nutzen doch alle diese Firmen zahlreiche westlichen Technologien für die Herstellung ihrer Geräte – und das gilt sowohl für die Netzwerkausrüstung als auch für die Smartphones. Vor allem bei der Chipfertigung kommt derzeit eigentlich niemand an US-Technologien vorbei. Das weiß Huawei nur allzu gut aus eigener Erfahrung, scheitern daran doch derzeit Bemühungen eigene Chips herzustellen.

Reaktion

Eine weitere Belieferung von Russland könnte also als Sanktionsverstoß gewertet werden und Strafmaßnahmen für die chinesischen Anbieter zur Folge haben. Das US-Handelsministerium stellte dabei vor wenigen Tagen sogar ein vollständiges Verkaufsverbot für die Firmen in Aussicht, so wie es in der Vergangenheit schon einmal gegen ZTE praktiziert wurde. Dazu kommt, dass es derzeit auch eine Fülle von Ausnahmegenehmigungen gibt, die westlichen Firmen eine Zusammenarbeit mit Huawei in einzelnen Fällen erlaubt.

Weitere Sanktionen würden die Situation für Huawei noch einmal erheblich schwieriger machen, zumal das Unternehmen natürlich eher darauf hofft, früher oder später wieder von der Liste des US-Handelsministeriums gestrichen zu werden – was dann wohl endgültig vom Tisch wäre.

Xiaomi und Co

Deutlich schlimmer wäre dies aber noch für andere chinesische Firmen, schlicht weil sie relativ gesehen mehr zu verlieren haben. Dabei dürfte eine Kalkulation schnell ins Spiel kommen, nämlich dass der russische Markt im Vergleich zu anderen Ländern von begrenzter Relevanz ist. Dies könnte vor allem für Xiaomi relevant sein, derzeit immerhin der weltweit zweitgrößte Hersteller von Android-Smartphones, der wohl kaum riskieren will, ebenfalls den Zugriff auf Google-Dienste zu verlieren.

Harmony OS

Apropos: In der Vorwoche kursierten Berichte, dass der russische Smartphone-Hersteller BQ künftig Huaweis Harmony OS als Betriebssystem nutzen will, da man kein offiziell von Google zertifiziertes Android mehr bekommt. Dem erteilt Huawei nun aber eine Absage: Man habe derzeit generell keine Pläne, Harmony OS außerhalb von China anzubieten.

Eine Aussage, die allerdings mit etwas Vorsicht zu genießen ist. Immerhin ist Harmony OS nur eine von Huaweis Google-freien Android-Varianten. Außerhalb Chinas bietet man die eigenen Smartphones mit einer anderen Software auf Basis der EMUI-Oberfläche an. Allerdings wird auch diese bislang nicht an externe Firmen weitergegeben.

Zurückhaltende Reaktion

Bei Huawei gibt man sich angesichts der komplexen Lage zurückhaltend. In einer Stellungnahme gegenüber der "Financial Times" betont die Firma, dass man die Sanktionen "sorgfältig evaluiere". (Andreas Proschofsky, 4.4.2022)